Ein Mann steht 2020 am Fenster einer Flüchtlingsunterkunft.
Mehr als 372.000 wohnungslose Menschen waren zum Stichtag Ende Januar 2023 in sozialen Einrichtungen untergebracht - auch Geflüchtete aus Ukraine werden hinzugezählt. Bildrechte: picture alliance/dpa | Arne Dedert

Aktionsplan Bundesregierung will Wohnungslosigkeit überwinden

25. April 2024, 18:52 Uhr

Mieten steigen, sozialer Wohnraum wird immer knapper und die Zahl der Wohnungslosen stieg zuletzt - auch, weil Geflüchtete aus der Ukraine mitgezählt werden. Mit einem Aktionsplan will die Bundesregierung das Thema Wohnungslosigkeit angehen. Im Aktionsplan fehlen konkrete Lösungsansätze, kritisieren Sozialverbände.

Bis 2030 will die Bundesregierung Wohnungslosigkeit überwinden. Festgehalten wurde dieses gerade noch in weiter Ferne liegende Ziel am Mittwoch im Bundeskabinett. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) sprach bei der Vorstellung des Aktionsplans von einer "Mammutaufgabe". Oberstes Ziel sei es, dass jede und jeder Betroffene "bis 2030 ein passendes Wohnungsangebot erhält", heißt es in dem Aktionsplan. Dazu seien abgestimmte Präventionsmaßnahmen nötig, um "deutschlandweit ein Hilfs- und Unterstützungssystem zur Verfügung zu stellen". Im Notfall soll ein Rechtsanspruch auf Unterbringung greifen.

Für Menschen ohne Krankenversicherung soll außerdem der Zugang zur Gesundheitsversorgung geklärt werden. Auch sollen die digitale Teilhabe der Betroffenen gestärkt und über Bildungsarbeit die Diskriminierung von Wohnungslosen und Obdachlosen bekämpft werden. Um das Ganze umzusetzen, will die Bundesregierung ein nationales Forum gegen Wohnungslosigkeit einrichten.

Zahl der Wohnungslosen nur schwer zu ermitteln

Eine konkrete Zahl der Obdachlosen und Wohnungslosen in Deutschland ist schwer zu ermitteln. Nach Hochrechnungen der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungslosenhilfe waren zum Stichtag Ende Juni 2022 in Deutschland rund 447.000 Menschen wohnungslos – sie verfügten also nicht über eine eigene Wohnung. Viele kommen allerdings zumindest zeitweise bei Bekannten oder Verwandten unter und leben deshalb nicht auf der Straße.

Geschätzt wird, dass mehrere zehntausend Menschen ganz ohne Unterkunft auf der Straße leben. Das Bundesbauministerium gab auf der Grundlage von Daten des Statistischen Bundesamts die Zahl der "untergebrachten wohnungslosen Menschen" zum Stichtag Ende Januar 2022 mit bundesweit rund 178.100 an. Ein Jahr später, Ende Januar 2023, gab die Behörde die Zahl der untergebrachten wohnungslosen Menschen mit 372.000 an - der deutliche Anstieg binnen eines Jahres ergab sich demnach aber auch durch eine verbesserte Datenlage sowie die hinzugezählten Geflüchteten aus der Ukraine. Die BAG erklärt zu diesen Zahlen, dass sie nicht diejenigen Menschen umfassen, die bei Freunden und Bekannten unterkommen oder auf der Straße leben. Dadurch ergebe sich kein vollständiges Bild.

Insgesamt stieg die Zahl der Wohnungslosen Schätzungen zufolge zuletzt sehr deutlich, vor allem durch Geflüchtete aus der Ukraine. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, betonte: "Auch Eingewanderte oder Geflüchtete sollen möglichst schnell selbstbestimmt in vier Wänden wohnen." Oft aber hätten Bewerber mit ausländischen Nachnamen oder Kopftuch Nachteile bei der Wohnungssuche. 

Mangel an bezahlbarem Wohnraum als große Hürde

In den Jahren 2022 bis 2027 will der Bund 18,15 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau bereitstellen. Bislang ist davon wenig zu spüren, denn noch immer fallen mehr Sozialwohnungen aus ihrer Preisbindung, als neue gebaut werden. Bei immer weiter steigenden Mieten werden bezahlbarer und preiswerter Wohnraum immer knapper. "Die vorgeschlagenen Maßnahmen des Aktionsplans reichen jedoch nicht aus, um die Obdach- und Wohnungslosigkeit zu überwinden", sagt der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten. "Die aufgeführten Finanzhilfen des Bundes für den sozialen Wohnungsbau sind nicht ausreichend, um den Rückgang des Sozialwohnungsbestandes aufzuhalten", sagte Siebenkotten weiter. "Leider soll es im Mietrecht keine über den Koalitionsvertrag hinausgehenden Impulse zur Senkung der Wohnkostenbelastung geben." Gerade im Mietrecht müssten allerdings die Weichen gestellt werden, um Wohnungslosigkeit zu vermeiden, sagte Siebenkotten. Er forderte eine scharfe Mietpreisbremse, die Ahndung von Wuchermieten, einen Mietenstopp im Bestand und einen stärkeren Kündigungsschutz.

Die wohnungspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Caren Lay, äußerte bereits vor der Vorstellung des Aktionsplans scharfe Kritik an der Bundesregierung. "Solange die angekündigte soziale Mietrechtsreform ausbleibt und die Bundesregierung ihre Ziele für den sozialen Wohnungsbau krachend reißt, ist die Veröffentlichung des Aktionsplans Wohnungslosigkeit Augenwischerei", sagte sie den RND-Zeitungen. "Viele sinnvolle Einzelmaßnahmen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Wurzeln des Problems die Mieterhöhungen und der Mangel an bezahlbarem Wohnraum sind." Sie forderte mehr sozialen und gemeinnützigen Wohnungsbau und einen Mietenstopp, um die Zunahme der Wohnungslosigkeit zu verhindern.

Welche Wohnung ist angemessen?

Generell hat jeder Mensch in Deutschland das Recht darauf, Bürgergeld zu beziehen. Damit einher geht das Recht auf Übernahme der Kosten einer angemessenen Wohnung bzw. Unterkunft, also auf die Miete, die Betriebskosten und die Heizkosten. Das Problem liegt jedoch im Wort "angemessen". Eine bundesweit einheitliche Regelung gibt es nicht, sondern die örtlichen Gegebenheiten sind entscheidend für die Frage nach der Angemessenheit der Miete - und "angemessen nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte ist ein Mietpreis im unteren (das ist nicht der unterste) Bereich der ortsüblichen Mieten", heißt es etwa auf der Webseite des Bürgergeld Verein für Soziales Leben e.V.

Anders als bei Hartz IV ist ein Anspruch auf Bürgergeld nicht mehr mit einem festen Wohnsitz verbunden. Obdachlose müssen dem Jobcenter keine Postanschrift angeben können, um Bürgergeld zu erhalten. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel im vergangenen Jahr beschlossen. (Az. B 4 AS 12/22 R)

Notunterkünfte nur als Zwischenlösung

Besonders in den Metropolen ist die Konkurrenz um bezahlbare Wohnungen hoch - so hoch, dass Wohnungslose kaum eine Chance haben, selbst eine Unterkunft zu finden. Notunterkünfte sind keine Dauerlösung - auch wenn viele Betroffene monatelang hier unterkommen. Andere nutzten die Hilfe gar nicht, heißt es im Aktionsplan des Bauministeriums. Sie kämen nicht klar mit so vielen Menschen auf engem Raum, mit dem Mangel an Privatsphäre, erlebten Gewalt und Diebstahl. Außerdem gebe es zu wenig Angebote spezifisch für Frauen oder Hilfesuchende mit Haustieren.

Doch das ist nicht das einzige Problem: Wer auf der Straße lebt, ist häufig gesundheitlich angeschlagen. Doch einen Hausarzt zu finden, ist besonders für Obdachlose schwierig. Ihr Versicherungsstatus sei oft nicht geklärt. Dazu komme Scham, die Angst vor Sprachproblemen. Dabei hätten viele Wohnungslose Traumata, weil Gewalt für sie auf der Tagesordnung stehe. Bloh berichtete von Kämpfen um Schlafsäcke, aber auch von roher Gewalt durch Jugendliche, die gezielt Obdachlose angriffen.

MDR, Afp, dpa (nvm)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 24. April 2024 | 22:47 Uhr

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