Eine Frau raucht einen Joint.
Ab 1. April darf in Deutschland legal gekifft werden. Bildrechte: picture alliance / dpa | Torsten Leukert

Cannabis-Legalisierung Kiffen statt knuffen – der DDR-Drogenrausch als Selbstversuch

02. April 2024, 16:51 Uhr

In der DDR waren, wie anderswo auch, illegale Drogen verboten. Aber eines Verbots bedurfte es eigentlich nicht, denn außer der Volks-Droge Nummer Eins, dem Alkohol, gab es eigentlich nichts, um sich zuzudröhnen. Aber der Mangel machte erfinderisch – mit zweifelhaften Folgen, wie sich Uli Wittstock erinnert.

Kommentar Wittstock Reformationstag
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"practic" – so hieß die Zeitung in der DDR für den engagierten Hobby-Bastler, herausgeben vom FDJ-Verlag Neues Leben. Das Heft war begehrt und eine echte Ideenschmiede. Da lernte man zum Beispiel übers Wasser zu gehen, ohne Jesus, dafür aber mit selbst gebauten Schwimm-Skiern, oder man fand auch Löt-Anleitungen, zum Beispiel für den Bau einer Disco-Beleuchtung.

Anwalt mit Akten 1 min
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Mit der Teillegalisierung von Cannabis haben Polizei und Justiz in Sachsen-Anhalt mehr zu tun, so die Erwartung.

MDR SACHSEN-ANHALT Sa 30.03.2024 11:06Uhr 01:08 min

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Flackerndes Licht, mehr Bewusstseinserweiterung wollte aber die Staatsführung der DDR-Jugend nicht zugestehen, sieht man mal vom Alkohol ab. Doch als die Haare länger wurden, wuchs natürlich auch die Sehnsucht nach anderen Erfahrungen, nach Rebellion und Party. Denn auch, wenn man den obersten Knopf vom FDJ-Hemd offen trug, blieb ja die DDR ein enges Land für junge Leute, und das im Wortsinn.

Langeweile im Mauer-Schatten

Freiheit gab es allenfalls Radio zu hören, wobei auch der Westen damals überwiegend Schlager dudelte. Das Internet war noch nicht erfunden und im Fernsehen gab es einen Sendeschluss. Nur an Polizeikontrollen mangelte es nicht, sofern man längere Haare hatte. In dieser Spießer-Republik lag also die Idee nicht fern: Kiffen statt knuffen im Schatten der Mauer – wie schön wäre das gewesen.

Doch leider war ja die DDR-Mark zu weich, und das selbst für weiche Drogen. Welcher Drogenboss hätte auch nur einen Joint für Ostmark geschmuggelt? Zwar gab es wohl in Berlin, Hauptstadt der DDR, die eine oder andere Möglichkeit, aber die Provinz blieb auch drogen-mäßig ein grauer Fleck. Und so passierte das, was ohnehin Mangel-Wirtschaftlichkeit Alltag war, nämlich Heimwerken unter schwierigen Bedingungen.

Drogen-Küche im Plattenbau

Im Freundeskreis besaß jemand einen DDR-Chemie-Baukasten mit verheißungsvollem Inhalt, wie zum Beispiel Salzsäure, Schwefel oder Natriumpermanganat, also alles, was gut zischt und blubbert, aber leider nicht high macht. Zum Glück konnte man damals noch nicht Chemie als Unterrichtsfach abwählen, das bewahrte uns vor unsinnigen Verkostungen.

Ein Gerücht, das seinerzeit die Runde machte, empfahl stattdessen Cola mit Spee. Die Mischung sprudelte zwar verheißungsvoll im Glas, aber leider nicht im Kopf. Der Geschmack hielt auch von weiteren Versuchen ab, Waschmittel ist nichts, was man zu sich nehmen sollte. Aber auch das Rauchen von getrockneten Bananenschalen wurde empfohlen, ein Gerücht, das wohl schon in Woodstock erzählt wurde. Allerdings waren in der DDR ja auch Bananen Mangelware.

Canna und Cannabis

Da schien eine andere Pflanze verheißungsvoller zu sein – Canna, vorne mit C geschrieben. Klingt wie Cannabis und ist unter Gärtnern auch als indisches Blumenrohr bekannt. Und an Canna herrschte im ostdeutschen Stadtbild irgendwie kein Mangel. Getrocknet zeigte das jedoch keinerlei Wirkung, zum Glück aber gab es ja den Chemie-Experimentierkasten. So hätte das Jugendzimmer zum Drogenlabor werden können, nur leider erwies sich Canna trotz aller Versuche eben nur als Zierpflanze tauglich, high wurde man davon jedenfalls nicht.

Dann geriet der Klatschmohn in den Blick: Also die Samenkapseln anritzen, die Milch auffangen und dann im Reagenzglas aufkochen, was leider nur schwarze Schlacke hinterließ. Auch die Brühe mit weniger Hitze aufzukochen und das Ganze dann zu filtrieren, erwies sich als erfolglos. Wir hätten uns weniger mit Chemie als vielmehr mit Biologie beschäftigen sollen, denn Klatschmohn hat nur einen sehr geringen Drogen-Anteil. Dass in Thüringen echter Schlafmohn auf Feldern angebaut wurde, das wussten wir freilich nicht.

Handwerk und Hanf

Später, als Partys in Abrisshäusern modisch wurden, erinnere ich mich an Abende, wo zu später Stunde Wasserhähne herausgeschraubt wurden, um das Dichtungshanf in die selbst gedrehten zu krümeln. Und immer die Frage – merkst du schon was? Bei genügend Alkohol konnte man dann mit ja antworten, wenn auch nur ein wenig kleinlaut. Das konnte nicht das ersehnte Drogen-Paradies sein.

Zu schnüffeln an Klebstoffen oder Tankdeckeln galt hingegen als pubertär, es ging schließlich um Bewusstseinserweiterung und nicht um Kopfschmerz.

Stattdessen kam die Muskatnuss in den Anwender-Horizont: Ab fünf Gramm berauschend, das sind etwa zwei ganze Muskatnüsse, die man aber erstmal malen muss. Allerdings können drei Muskatnüsse schon tödlich sein. Dies erschien als kein gutes Verhältnis von Aufwand, Nutzen und Risiko, zumal Muskat in Mengen auch wegen des Geschmacks nicht leicht zu konsumieren ist.

Drogen von der Schwester-Schülerin

Wer allerdings Beziehungen ins Gesundheitswesen hatte, für den konnte der graue DDR-Alltag durchaus etwas heller scheinen, denn die DDR-Pharmazie bot so einiges an wirkungsvollen Substanzen, nicht selten verstärkt durch Alkohol. Besonders beliebt in der Szene war Faustan, die DDR-Variante von Valium, auch bekannt als "Rosa Brille auf Rezept". Zu Faustan gab es sogar einen beliebten Szene-Spruch: "Falle Auf Und Singe Trotz Aller Not"

Mit medizinischem Hintergrund ließ es sich auch in anderer Hinsicht viel besser feiern, denn es gab Aponeuron, kleine rote Pillen, die ziemlich lange wach hielten und so ähnlich wie Speed wirkten. Menschen im Schichtdienst nutzten sie ebenso wie die Party-People am Wochenende.

Doch mit der D-Mark verschwanden die Tabletten und Chemie-Baukästen, es wurde ernst, auch mit den Drogen. Seit Montag also können wir nun gesamtdeutsch kiffen, öffentlich und ohne Reue – wer kann denn so was noch cool finden?

MDR (Uli Wittstock, Felix Fahnert)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 01. April 2024 | 10:00 Uhr

26 Kommentare

Basstian vor 4 Wochen

Vor allem, damals rauschte wirklich noch der Wald. Heutzutage rauscht der Verkehr und kippt die Luftfahrt ihren akustischen Abschaum flächendeckend über den letzten ruhigen Winkeln, wo man ohne Chemikalien Entspannung finden könnte, aus. Ich brauche heutzutage angesichts des Wohlstandslärms Beruhigungsmittel.

Basstian vor 4 Wochen

Und Mopeds, die im Gegensatz zu den 45 km/h-Verkehrshindernissen im Westen brauchbar waren, gabs als Freizeitbeschäftigung auch. In meinem Fall war wohl eher mein schon runtergeritten gekauftes S 50, an dem es immer was zu tun oder zu verschlimmbessern gab, mein Suchtmittel.

Ralf G vor 4 Wochen

Gut recherchiert, Herr Wittstock. Das eine oder andere dieser "Rezepte" ist mir auch noch in Erinnerung. Kann mich auch noch an den Tipp zum Tripp mittels Faustan und Cola erinnern. Hab's allerdings nie ausprobiert.

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