Medizinisches Cannabis Frustrierte Schmerzpatienten: Welche Hoffnung sie in die Cannabis-Legalisierung setzen

22. März 2024, 10:58 Uhr

Zu medizinischen Zwecken ist Cannabis in Deutschland längst legal. Doch bislang verschreiben es Ärzte kaum, berichten zwei Schmerzpatienten. Sie hoffen nun, dass die Cannabis-Legalisierung daran etwas ändern könnte.

MDR San Mitarbeiter Daniel George
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

Teillegalisierung von Cannabis inzwischen beschlossen Dieser Artikel ist vor der inzwischen beschlossenen Teillegalisierung von Cannabis entstanden. Reaktionen zu der Entscheidung im Bundesrat finden Sie hier:

Die Sonne scheint auf den Balkon. Heute ist Garten-Arbeitstag. "Meine Pflanzen und Blümchen werden versorgt", sagt Ursula Reisch. Ob in ihren Blumenkästen bald auch Cannabis-Pflanzen gezüchtet werden? Die 70-Jährige sitzt im Wohnzimmer ihrer Wohnung, schaut nach draußen und lacht. "Das funktioniert wegen meiner Lungenprobleme nicht", sagt die Hallenserin. "Ich nutze ja kein Sauerstoffgerät, damit ich anfangen kann, zu kiffen."

Und trotzdem: "Ich bräuchte das in Tropfenform. Das gibt es ja. Und das will ich haben", sagt Reisch. "Ich stehe der Legalisierung von Cannabis sehr positiv gegenüber, weil ich es gegen meine Schmerzen ausprobieren will." Und mit der Legalisierung ist für die Rentnerin die Hoffnung verbunden, künftig leichter auch medizinisches Cannabis beziehen zu können. Und die Hoffnung, dass der Einsatz weniger tabuisiert wird. Denn: "Bislang bekomme ich es nicht, obwohl es legal ist. Und das verstehe ich einfach nicht."

Cannabis-Legalisierung: "Leben und leben lassen"

Am 1. April sollte die Teil-Legalisierung von Cannabis in Kraft treten. Doch nun wackelt die Umsetzung – und das mehr als deutlich. Der Bundesrat könnte am Freitag den Vermittlungsausschuss anrufen. Das Gesetz wäre vorerst gescheitert. Wird das Kiffen also doch nicht legal? Auch in Sachsen-Anhalt wächst jedenfalls der Widerstand gegen die geplante Cannabis-Legalisierung.

Ursula Reisch hat dafür kein Verständnis. "Leben und leben lassen, das ist mein Motto", sagt die 70-Jährige. "Sicherlich: Kinder und Jugendliche müssen geschützt werden. Das verstehe ich. Aber dort Aufklärung zu betreiben, ist vor allem Aufgabe der Eltern und der Schulen. Die Jugendlichen kommen doch auch jetzt trotzdem schon an Cannabis, wenn sie es konsumieren wollen. Durch die Legalisierung verliert es vielleicht sogar den Reiz des Verbotenen."

Ursula Reich aus Halle
Bildrechte: MDR/Reisch

Ich weiß ja gar nicht, ob es mir hilft, aber ich will es einfach ausprobieren dürfen.

Ursula Reisch aus Halle über medizinisches Cannabis

Medizinisches Cannabis seit 2017 legal

Medizinisches Cannabis ist längst nicht mehr verboten. Bereits seit März 2017 kann Patientinnen und Patienten unter bestimmten Voraussetzungen eine Therapie mit Cannabis verordnet werden. Die Ärztekammer Sachsen-Anhalt erklärt auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT: "Ärzte dürfen im Einzelfall als Behandlungsalternative Cannabisrezepte ausstellen, die in den Apotheken eingelöst werden. Die Patientinnen und Patienten leiden in der Regel unter schwerwiegenden Erkrankungen."

Weiter heißt es: "Die jetzige geplante Gesetzes-Novellierung betrifft lediglich den privaten Konsum. Die Regelungen zum Medizinal-Cannabis bleiben davon unberührt." Allerdings gibt es Erleichterungen: Eine Verschreibung auf einem speziellen Betäubungsmittelrezept ist bei Medizinalcannabis laut Gesetz nicht länger erforderlich, vielmehr reicht für die Einlösung in der Apotheke künftig ein reguläres Rezept.

MDRfragt – das Meinungsbarometer für Mitteldeutschland – hat in einer nicht-repräsentativen Umfrage herausgefunden, dass die Mehrheit der Teilnehmenden den Einsatz von Cannabis für medizinische Zwecke befürwortet.

Cannabis für medizinische Zwecke
Nur drei Prozent der MDRfragt-Mitglieder sprachen sich gegen medizinisches Cannabis aus. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Medizinisches Cannabis: "Kein Arzt verschreibt es bislang freiwillig"

Ursula Reisch hofft also, künftig leichter an medizinische Cannabis-Produkte zu gelangen. "Bislang verschreibt es kein Arzt freiwillig, weil es mit so viel Aufwand verbunden ist", erzählt die 70-Jährige. "Ich habe es versucht. Aber mein Arzt hat mich dann gefragt, wofür ich das denn brauche."

Ihre Antwort: gegen die Schmerzen, im Knie und Rücken vor allem. "Ich hatte teilweise vor einiger Zeit solche Schmerzen, dass ich nicht mehr laufen konnte", erzählt Reisch. "Ich habe dann Targin verschrieben bekommen. Ein richtig schweres Schmerzmittel, von dem du süchtig wirst. Und ich war dann auch abhängig von diesem Schmerzmittel." Die Rentnerin sagt: "Es hat ein eiserner Wille dazu gehört, um davon wieder runterzukommen." Und die Hilfe einer Schmerztherapeutin.

Reisch sieht in Cannabis eine Alternative. "Ich weiß ja gar nicht, ob es mir hilft, aber ich will es einfach ausprobieren dürfen", sagt sie. "Und ich will es mir auch nicht auf dem Schmarzmarkt kaufen, sondern mit einem Rezept in der Apotheke holen. Das muss doch möglich sein."

Cannabis-Verkauf
Wo sollte Cannabis verkauft werden? Das denken die MDRfragt-Mitglieder. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Ärztekammer ringt um Position zur Cannabis-Legalisierung

Die Ärztekammer Sachsen-Anhalt erklärt, an der Studienlage zur Wirkung von medizinischem Cannabis werde noch immer geforscht, sie sei überschaubar. Zur geplanten Legalisierung von Cannabis ringt die Ärzteschaft noch um eine Position. Auf einer Klausurtagung am Wochenende solle entschieden werden, wie sich die Ärztekammer positioniert, heißt es. Die Bundesärztekammer vertritt bereits eine eindeutige Positon und lehnt die Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken strikt ab.

Doch darum geht es auch Reinhard Müller gar nicht. Genau wie Ursula Reisch klagt auch der 72-Jährige aus Magdeburg seit Jahren über starke Schmerzen, die in seinem Fall "über den Rücken bis in die Beine ausstrahlen", wie er sagt. Die Ärzte seien nicht in der Lage, ihm zu helfen, beklagt Müller.

Bereits jetzt nutze er CBD-Öl, sagt der Rentner. Und: "Es gibt mir ein Gefühl der Linderung." Das Cannabidiol (CBD) und THC sind beides Cannabinoide der Hanfpflanze. Sie unterscheiden sich allerdings in ihren Effekten. Als bedeutendster Unterschied gilt der Einfluss der Cannabinoide auf die Psyche: THC wirkt psychoaktiv, CBD nicht. CBD ist unter bestimmten Voraussetzungen in vielen Ländern frei verkäuflich und legal.

MDRfragt-Community befürwortet medizinisches Cannabis

"Ich sehne die Legalisierung von Cannabis herbei", sagt Müller. Denn er hofft, dass Ärzte dann auch medizinische Cannabisprodukte eher verschreiben würden. Auch der Magdeburger scheiterte bislang mit entsprechenden Anfragen bei seinem Arzt. Außerdem könne man sich im Zuge einer Legalisierung auch eventuell mit dem Anbau und der Aufbereitung von Cannabis beschäftigen, so Müller.

Sowohl Reinhard Müller als auch Ursula Reisch haben an der nicht-repräsentativen MDRfragt-Umfrage zur Legalisierung von Cannabis teilgenommen. Fast alle Befragten, nämlich 95 Prozent, befürwortetendarin den Cannabis-Einsatz für medizinische Zwecke, der in Deutschland bereits erlaubt ist. Bei dieser Frage gibt es große Einigkeit in allen Altersgruppen. Wenngleich eine Mehrheit der Teilnehmenden von MDRfragt aus unterschiedlichen Gründen gegen die geplante Legalisierung von Cannabis ist.

So oder so: Ursula Reisch hofft zumindest auf eine Erleichterung der Verschreibung von medizinischen Cannabis-Produkten. Acht Jahre lang, von 2012 bis 2020, habe sie in Israel gelebt, erzählt die Rentnerin. "Dort ist medizinisches Cannabis auch verschreibungspflichtig, wird aber wesentlich häufiger eingesetzt, zum Beispiel in Altenheimen", sagt sie. "Die Menschen dort waren dadurch zum großen Teil zufriedener und hatten weniger Schmerzen." Wonach auch sie sich sehnt.

Gäste in einem Fernsehstudio. 59 min
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59 min

Fakt ist! Mo 18.03.2024 22:10Uhr 59:18 min

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MDR (Daniel George)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 21. März 2024 | 19:00 Uhr

19 Kommentare

astrodon vor 5 Wochen

@Anni: Aber Canabis war doch illegal. Deswegen haben Ärzte die Verordnung gescheut wie der Teufel das Weihwasser. Man hätte ihnen ja nachsegen können ... , oder der Patient könnte es ja weitergeben ... , oder sonstwas. Jetztist das deutlich entspannter, gut so. Und die Produzenten des med. Canabis können nun endlich auch in D richtig produzieren. Durch die bisherigen Regeln waren z.B. die Anbaumengen sehr beschränkt.

Opa gegenLinks vor 5 Wochen

Was spricht denn dagegen, Cannabis für Schmerzpatienten freizugeben ? Ein Zettel vom Arzt genügt. Will man jetzt über diese Schiene rechtfertigen, diese Droge schon für Jugendliche freizugeben ? Billiger Versuch.

sebastian01 vor 5 Wochen

Medizinisches Cannabis ist keine Regelleistung der gesetzlichen Krankenkasse. Das bedeutet das bei GKV Versicherten ein Antrag zur Kostenübernahme gestellt werden muss. Damit dieser positiv entschieden wird sind drei Voraussetzungen notwendig: 1. eine schwerwiegende Erkrankung, 2. bisherige etablierte Therapieverfahren sind ausgeschöpft oder nicht ausreichend, 3. es besteht eine realistische Chance auf Verbesserung der Symptomatik durch med. Cannabis. Eine Verschreibung ist ohne Antrag via Privatrezept auf eigene Kosten möglich. Ebenso ist bei PKV Versicherten die Kostenübernahme i.d.R. einfacher. Bei den oben geschilderten Fällen von chronischen Schmerzen sollte ein (Schmerz)Arzt die Sinnhaftigkeit von med. Cannabis bewerten und ggf. einen Antrag bei der Krankenkasse stellen. Die Teillegalisierung von Cannabis zum Freizeitgebrauch hat auf diesen Prozess keine Auswirkung.

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