Analyse von Uli Wittstock zum Krieg
MDR Reporter Uli Wittstock hat mit wichtigen Kirchenfunktionären über den Krieg in der Ukraine gesprochen. Bildrechte: Collage: Uli Wittstock/Matthias Piekacz / picture alliance/dpa/AP | Mstyslav Chernov

Düstere Aussichten Analyse: Sachsen-Anhalts Kirchen und der Krieg in der Ukraine

von Uli Wittstock, MDR SACHSEN-ANHALT

27. Dezember 2023, 11:34 Uhr

Kirchen aus Sachsen-Anhalt übernehmen gegenüber Russland häufig eine wichtige Funktion für den Frieden – aber im Ukraine-Krieg scheint es kaum Kontakte zu geben, findet MDR-Reporter Uli Wittstock. "Der Dialog zwischen Russland und Deutschland ist tot", sagt Kirchenpräsident Joachim Liebig. Der Landesbischof Friedrich Kramer warnt vor einer Aufrüstung in Deutschland. Eine Analyse.

Kommentar Wittstock Reformationstag
Bildrechte: Uli Wittstock/Matthias Piekacz - DPA

  • Landespräsident Joachim Liebig war früher Teil des Petersburger Dialogs, mit dem die deutsch-russischen Beziehungen gepflegt werden sollten.
  • Er sagt mit Blick auf den Krieg in der Ukraine: Der Dialog ist tot.
  • Währenddessen spricht der Bischof der evangelischen Kirche Mitteldeutschlands, Friedrich Kramer, sich gegen Aufrüstung aus.

Im Kalten Krieg waren es die Kirchen, die über die System-Grenzen hinweg den Kontakt hielten. Auch die Friedensbewegungen in Ost und West waren über diese kirchlichen Strukturen verbunden. Doch mit Blick auf den russischen Krieg in der Ukraine scheint nicht nur die unmittelbare Frontlinie festgefahren zu sein, sondern auch jenseits der Kampfhandlungen gibt es kaum Kontakte, auch nicht unter den Kirchen.

Der frühere NATO-General und Generalleutnant a.D. Erhard Bühler 61 min
Bildrechte: MDR / Erhard Bühler

Zugleich verschärft sich auch in Deutschland die Debatte. Der Bundesverteidigungsminister will die Kriegs-Fähigkeit Deutschlands verbessern und ein ehemaliger grüner Außenminister denkt öffentlich über eine atomare Bewaffnung Deutschlands nach. Von den Kirchen hört man bislang kaum Einsprüche, obwohl Christen aus Sachsen-Anhalt eine wichtige Rolle spielen in der Friedens-Debatte.

"Der Dialog ist tot"

Joachim Liebig ist der Kirchenpräsident von Anhalt und hat lange auch als Pfarrer gearbeitet. Er kennt sich also auch mit Beerdigungen aus. Insofern muss man es ernst nehmen, wenn Liebig feststellt: "Der Dialog ist tot, und ich muss leider sagen, dass im Moment keinerlei Hoffnung besteht, diesen Dialog aktuell wieder aufzunehmen."

Die Rede ist vom Petersburger Dialog. Dieser wurde im Jahr 2001 vom damaligen Bundeskanzler Schröder und dem russischen Präsidenten, Putin, gegründet, um, so die offizielle Begründung, die Kooperation zwischen Deutschland und Russland jenseits der Wirtschaftsbeziehungen zu verbessern. Gemeinsam mit zwei weiteren Vertretern der evangelischen Kirche in Deutschland war Joachim Liebig bis zur Auflösung des Petersburger Dialogs Mitglied der deutschen Delegation.

Große Enttäuschung

Schon seit der Annexion der Krim durch russische Truppen im Jahr 2014 war der Dialog eher schwierig geworden. Dennoch hätten sich auf privater Ebene durchaus Freundschaften entwickelt, so Liebig: "Ich hatte lange Zeit den Eindruck, dass da durchaus freundschaftliche Beziehungen entstanden waren. Dann aber ändert sich alles. Und ich lernte die Menschen, mit denen ich lange gut zusammengearbeitet habe, noch einmal ganz anders und neu kennen."

Für Russland kann ich tatsächlich sagen, da ist erst ein Friedensbedürfnis vorhanden, wenn das Kriegsziel erreicht ist.

Joachim Liebig Kirchenpräsident Anhalts

Es klingt einiges an Enttäuschung durch, wenn man Liebig zuhört, denn von einem Dialog sei dann nach dem Einmarsch in die Ukraine nichts mehr zu spüren gewesen, so Liebig. Dass der Krieg durch Verhandlungen beendet werden kann, ist ja derzeit die Hoffnung vieler. Doch Joachim Liebig sieht dazu derzeit wenig Möglichkeiten: "Alle, die jetzt sagen, man muss mehr um den Frieden verhandeln, müssen wissen, dass man Beteiligte braucht, die Frieden wollen. Und für Russland kann ich tatsächlich sagen, da ist erst ein Friedensbedürfnis vorhanden, wenn das Kriegsziel erreicht ist." Das sei der Hauptgrund, warum es derzeit keinen Dialog gebe.

Kein Abbruch der Beziehungen

Allerdings sind die Kontakte nicht vollständig eingefroren. Demnächst wird ein neuer Pfarrer der deutschen Gemeinde in Moskau eingeführt. Da werden dann auch wenige Vertreter der evangelischen Kirche in Deutschland anwesend sein und wie bei solchen Gesprächen üblich wird es wohl Kontakte mit Vertretern der russischen Kirche geben.

Joachim Liebig, Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts, steht in der St. Jacobi Kirche.
Kirchenpräsident Joachim Liebig hat keine großen Hoffnungen für den Dialog mit Russland. Bildrechte: picture alliance/dpa | Stefan Sauer

Aber offizielle Gespräche gebe es im Augenblick nicht, so Kirchenpräsident Liebig. Was bei allen Meldungen aus dem Kriegsgebiet bislang kaum eine Rolle spielt, ist der Umstand, dass in den Schützengräben auf beiden Seiten Menschen sitzen, die sich als Christen bezeichnen. Doch eine Friedens-Perspektive lässt sich daraus derzeit wohl nicht ableiten.

Atomdebatte in Deutschland

Der Bischof der evangelische Kirche Mitteldeutschlands, Friedrich Kramer, ist Friedensbeauftragter der evangelischen Kirche und kritisiert seit Längerem die Waffenlieferungen ins Kriegsgebiet, was auch innerhalb der Kirchen nicht unwidersprochen bleibt. Jetzt sieht er die Gefahr eines erneuten Wettrüstens, auch mit Nuklearwaffen: "Die Waffen sind faktisch schon geächtet, und jetzt eine Rückwärts-Rolle zu machen und zu sagen, wir müssen darüber nachdenken, ob wir Atomwaffen brauchen, ist absurd."

Öffentlich gemacht hat diese Debatte der ehemalige Außenminister Joschka Fischer, der für die EU einen eigenen atomaren Schutzschirm forderte, als Reaktion auf das nukleare Drohpotenzial Russlands. Die Ukraine besaß ja nach dem Ende der Sowjetunion das drittgrößte Atom-Arsenal der Welt. Die Waffen gab sie freiwillig an Russland, gegen Sicherheitsgarantien, die allerdings nicht eingehalten wurden.

Friedrich Kramer, Bischof der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland, Magdeburg
Friedrich Kramer warnt vor neuer atomarer Aufrüstung. Bildrechte: MDR/ Nora Große Harmann

Doch daraus dürfe man nicht eine neue atomare Rüstungs-Runde ableiten, so Friedrich Kramer: "Wenn wir aber zu einer neuen atomaren Aufrüstung kommen, kombiniert mit künstlicher Intelligenz, ergibt das ein Szenario, das fürchterlich ist und von den Konsequenzen nicht beherrschbar ist."

Deutschland muss friedensfähig werden

Bundesverteidigungsminister Pistorius sorgte unlängst für Schlagzeilen, als er davon sprach, dass Deutschland "kriegs-fähig" werden müsse. Für Bischof Kramer ist das ganz klar eine falsche Wortwahl: "Kriegs-Fähigkeit ist ein absurder Begriff, weil er nicht mehr deutlich macht, dass es um Verteidigung geht. Man kann debattieren, ob wir Milliarden für die Verteidigung ausgeben. Es gibt ein dafür und dagegen. Aber dass wir uns auf einen Krieg vorbereiten? Nein, das geht überhaupt nicht."

Wir müssen eine verlässliche Friedensmacht sein in Europa.

Friedrich Kramer ischof der evangelische Kirche Mitteldeutschlands

Auch unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges und neuer globaler Konflikte erarbeitet die evangelische Kirche in Deutschland derzeit ein neues Konzept zum Thema Frieden. Für Bischof Kramer ist klar: "Wir müssen eine verlässliche Friedensmacht sein in Europa, damit gerade solche Töne nicht um sich greifen. Und wir wissen ja alle nicht, wie sich das politisch weiterentwickelt. Pistorius ist kein Kriegsminister, sondern Verteidigungsminister, und er sollte auch bei der Wortwahl dem entsprechen."

MDR (Uli Wittstock, Alisa Sonntag, Leonard Schubert)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 27. Dezember 2023 | 12:00 Uhr

209 Kommentare

hinter-dem-Regenbogen vor 17 Wochen

@anita L.
Da die Botschaft nicht vom Himmel hoch herkommt , muß diese von Erden her erfolgen.

Was wäre der Krieg in der Ukraine , ohne das Geld der Westalliierten ?
Wer wird alles mit diesen vielen Milliarden Dollars und Euro bezahlt ?
Und wieviel Menschen wären nicht gestorben, wenn es dieses Geld nicht gäbe ?

Erkauft sich die westliche Macht womöglich eine Ukraine ?

Anita L. vor 18 Wochen

"Was würden wohl die Ukrainer für uns tun, hätten die Russen Deutschland überfallen? Empfehle ehrliches Nachdenken."

Wenn Sie mal Ihrer Empfehlung folgten, würden Sie feststellen, dass solche Was wäre wenn-Fragen hier überhaupt nichts verloren haben.

Sie erinnern mich mit diesem Denken an den Mann, der einen Nagel in die Wand schlagen will und seinen Nachbarn, als er auf sein Klingeln die Tür öffnet, anschreit: "Behalten Sie Ihren Hammer!"

Anita L. vor 18 Wochen

"Ich habe keine Lust, die Rüstungsbosse mit den Steuern meiner schwer erarbeiteten Rente noch reicher werden zu lassen."

Beschweren Sie sich in Moskau. Der von allen gewünschte Frieden kann leider nur auf zwei Weisen zustandekommen: Entweder der Kriegsführende kommt zur Einsicht und beendet seinen Krieg (ist leider nicht in Aussicht) oder man zwingt ihn zum Aufhören (was leider nicht mit Wattestäbchen möglich ist). Voraussetzung ist grundsätzlich das Verständnis für "Frieden", das mehr als Abwesenheit von Krieg und eben auch kein Einknicken vor der "Stärke der russischen Armee" bedeutet.
Warum Herr Selenskij seine Ansicht geändert hat? Erinnern Sie sich an Butscha. Der ehemalige Innenminister Israels und damalige Verhandlungsführer sagte, als er von dem Massaker erfuhr, zu den Verhandlungen, denen er eh eine Chance von 50:50 gegeben hatte: "Es ist vorbei." Ich habe bisher noch keine Einsicht Russlands in seine Verantwortung mitbekommen. Sie?

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