Clubkultur Trauer und Tränen beim letzten Tanz in der Distillery in Leipzig

29. Mai 2023, 21:07 Uhr

Ostdeutschlands ältester Techno-Club, die Distillery, hat sich von Freitag bis Pfingsmontag mit einem 72-Stunden-Rave vom Standort im Leipziger Süden verabschiedet. Weil ein Investor ein neues Stadtviertel auf der Brache direkt neben dem Club bauen will, muss die "Tille" umziehen. Zum Abschied wurde nicht nur getanzt, auf einer Demo verlangten die Clubgänger auch mehr Schutz für ihre Clubszene.



12 Uhr mittags am Pfingsmontag ist der Stecker gezogen worden. In der Distillery drehte sich zum letzten Mal der Plattenteller am alten Standort in der Leipziger Kurt-Eisner-Straße. Danach demonstrierten mehrere hundert Fans vor Ostdeutschlands ältestem Techno-Club. Unter dem Motto #clubsAREculture forderte die Szene mehr Schutz für die Clubkultur. "Die Distillery steht exemplarisch für das Weggentrifizieren von Clubs", kritisierte Tille-Chef Steffen Kache im Vorfeld des "letzten Tanzes" in seinem Wohnzimmer.

Die Distillery steht exemplarisch für das Weggentrifizieren von Clubs.

Steffen Kache Clubbetreiber Distillery

Tränen, Emotionen und jede Menge Beats

72 Stunden lang nahmen die Fans der Distillery mit einem Rave Abschied vom alten Standort in der Kurt-Eisner-Straße. Darunter junge Menschen, Clubgänger der ersten Stunde und Neugierige, die die Atmosphäre des legendären Techno-Tempels noch einmal in sich aufsaugen wollten. Da floss so manche Träne, wie bei Maxi und Susan.

Die beiden Frauen waren ab 1998 regelmäßig in der "Tille". Es sei der Club ihrer Jugend gewesen, sagen die beiden Frauen, die völlig emotional auf ein Herz aus Kerzen starren, das auf dem Boden des Clubs so vor sich hinflackert. "Ich stelle es mir für Steffen Kache total schwer vor", sagt Maxi. "Es ist sein Lebenswerk. Irgendwann stehen hier die Bagger und machen den Club platt. Und er sieht, wie alles, was er über 30 Jahre aufgebaut hat, einfach so platt gemacht wird für ein Wohnviertel."

Es ist sein Lebenswerk. Irgendwann stehen hier die Bagger und machen den Club platt. Und er sieht, wie alles, was er über 30 Jahre aufgebaut hat, einfach so platt gemacht wird für ein Wohnviertel.

Maxi Gast der Distillery

Issy und Markus könnten vom Alter her die Kinder von Maxi und Susan sein. Auch sie trauern um das Ende der Distillery am alten Standort in der Kurt-Eisner-Straße. Markus findet es scheiße, dass der Club umziehen muss. "Die Location macht den Charme aus", sagt er. Sein Freund Issy stimmt ihm zu. Der neue Standort auf der Alten Messe werde ein anderer Club, findet er. "Da gibt es nicht die gleiche Vibes wie in der Tille", befürchtet er.

Die Location macht den Charme aus. Der neue Standort auf der Alten Messe wird eben auch ein anderer Club. Da gibt es nicht die gleiche Vibes wie in der alten Tille.

Markus und Issy Gäste der Distillery

Trauer und viel Emotion auch bei den Team-Mitgliedern um Betreiber Steffen Kache. Ob Justus der Techniker oder Miss Mandy Cleenex, die Dragqueen des Clubs, alle hatten mit ihren Gefühlen ziemlich zu kämpfen. "Es fühlt sich an wie nach Hause kommen. Und irgendwie will man auch nicht wahrhaben, dass es tatsächlich in ein paar Stunden vorbei ist", sagt Mandy.

Clubs sind Kulturstätten

Während es für die Fans und für das Team der Distillery recht emotional zuging, hat der Bundesverband LiveKomm (Livemusikkommission) nochmals Forderungen erneuert und überarbeitet. Unter anderem soll der Bundestagsbeschluss schnell umgesetzt werden, Clubs und Livespielstätten als Kultur-Locations einzustufen. Gefordert wird auch eine Kulturschallverordnung. Diese sieht vor, Kulturgeräusche nicht länger mit Industrie- und Gewerbelärm gleichzusetzen.

Der Bundesverband LiveKomm hat zudem ein Forderungspapier zur kulturellen Stadtentwicklung erarbeitet. Ein Kulturraumschutzgesetz soll verhindern, dass Clubs von finanzkräftigen Investoren verdrängt werden. Außerdem soll ein Bundes-Schallschutzprogramm Kulturorten mit Geld bei Arbeiten zur Schalldämmung unterstützten.

Neuanfang auf der Alten Messe

Eigentlich sollte die Distillery auf das künftige Gleisdreieck ziehen. Weil sich die Baupläne jedoch verzögern, ist wohl erst von einem Baustart Mitte der 2030er-Jahre auszugehen. Solange wird der Club eine Interimslösung auf der Alten Messe als Domizil nutzen. In der Halle 7 gebe es Einbauten wie ein Restaurant und eine Küche, so Kache. "Wir hoffen, dass wir die Energie und das Flair von hier dorthin transportieren können, es wird anders sein, aber es wird vergleichbar sein", erklärt Clubbetreiber Kache.

Wir hoffen, dass wir die Energie und das Flair von hier dorthin transportieren können, es wird anders sein, aber es wird vergleichbar sein.

Steffen Kache Betreiber Distillery

Es ist bereits das zweite Mal, dass der Techno-Club umziehen muss. Schon 1995 zog er vom Standort der ehemaligen Kronen-Brauerei in Connewitz an die Kurt-Eisner-Straße um.

MDR (bbr)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Leipzig | 26. Mai 2023 | 11:30 Uhr

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