Eine Mutter hält ihr kleines Baby.
Der kleine Miro kam mit als erstes Baby im neuen Kreißsaal zur Welt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Natürliche Geburt in der Klinik Erste Babys im Arnstädter Hebammenkreißsaal zur Welt gekommen

17. August 2023, 08:33 Uhr

In Arnstadt sind die ersten Kinder im neuen Hebammenkreißsaal der Ilm-Kreis-Kliniken auf die Welt gekommen. Eine möglichst natürliche Geburt soll dort ermöglicht werden. MDR THÜRINGEN hat sich vor Ort ein Bild des neuen Betreuungsmodells gemacht.

Anfang Juni hat Thüringens erster Hebammenkreißsaal an den Ilm-Kreis-Kliniken in Arnstadt eröffnet. Seitdem können sich Schwangere über das neue Angebot des Krankenhauses informieren. Der nur von Hebammen geleitete Kreißsaal soll den Frauen eine interventionsarme Geburt ermöglichen. Ohne Eingriffe wie Wehen- oder Schmerzmittel und ohne Zeitdruck. Dabei ist die Sicherheit der Klinik mit allen ärztlichen Kompetenzen im Hintergrund.

Die ersten drei Babys sind nun im Arnstädter Hebammenkreißsaal zur Welt gekommen. Welche Erfahrungen die Frauen damit gemacht haben und welche Bedeutung das Betreuungsmodell für die Hebammen hat - darüber hat MDR THÜRINGEN mit einer Mutter und den Hebammen gesprochen.

Vertrauen in den eigenen Körper

Der kleine Miro kam zwei Wochen zu früh, doch gesund und munter zur Welt. "Kurz und knackig" war die Geburt, sagt die stolze Mutter Katharina Müller aus Erfurt. Für das zweite Kind hat sich die 37-Jährige bewusst für eine Entbindung im Hebammenkreißsaal entschieden. Bei der ersten Klinikgeburt ihres Kindes sei es zwar auch schnell gegangen, doch es musste nachgeholfen werden.

Ich glaube wir müssen in unsere Gesellschaft wieder lernen, dass eine Schwangerschaft was Normales ist, was Physiologisches ist.

Anika Buntrock Leitende Hebamme

"Da dachte ich, vielleicht hätte man mit weniger Werten von Bildschirmen und Monitoren und mehr Instinkt von Mama und Hebamme, die eine oder andere medizinische Notwendigkeit nicht gebraucht", erzählt sie. Also weniger Überwachungsgeräte, sofern es die Situation denn zulässt, und mehr Zeit und Vertrauen in den eigenen Körper und das Hebammenhandwerk.

Eine Frau hat ihr Kind auf dem Arm
Katharina Müller hat sich bewusst für den Hebammenkreißsaal entschieden. Dadurch hat sie eine natürlich und selbstbestimmte Geburt erleben können. Bildrechte: MDR/Lisa Wudy

Natürlich und selbstbestimmt

Ein Geburtshaus oder eine Hausgeburt kam für Katharina Müller aus mehreren persönlichen Gründen nicht in Frage. Vor allem auch eine ärztliche Versorgung im Notfall war ihr wichtig: "Dass, wenn irgendwas ist, eben auch ärztliche Hilfe für Mama und Kind schnell da ist, ohne dass man mit einer Verlegung Zeit verliert." Dennoch wollte sie ein natürliches Geburtserlebnis, sprich so wenig Eingriffe wie möglich sowie eine selbstbestimmtere Geburt. Bei ihrem zweiten Kind Miro sei das möglich gewesen. Dabei habe gegenseitiges Vertrauen und der eigene Instinkt eine große Rolle gespielt.

Es gibt Ultraschall, aber es gibt auch meine Hände, die den Bauch abtasten.

Anika Buntrock Leitende Hebamme

Den Bedürfnissen der Schwangeren soll durch das neue Angebot mehr Raum gegeben werden. "Ich glaube wir müssen in unsere Gesellschaft wieder lernen, dass eine Schwangerschaft was Normales ist, was Physiologisches ist. Dass das normale Prozesse sind, die wir stärken und auch unterstützen müssen", sagt die leitende Hebamme Anika Buntrock. Seit über 20 Jahren ist sie in ihrem Beruf tätig und hat das bereits bestehende Konzept des Hebammenkreißsaals auf die Klinik in Arnstadt mit angepasst.

Hauptgebäude Ilm-Kreis-Kliniken aus Backstein
Der Hebammenkreißsaal in Arnstadt gehört zu den Ilm-Kreis-Kliniken. Bildrechte: MDR/Lisa Wudy

Neue Wahlmöglichkeit bei risikoarmen Schwangerschaften

Schwangere Frauen, die keine Komplikationen erwarten, können sich seit mehreren Wochen für das neue Betreuungsmodell am Klinikum entscheiden. Dort können sie natürlich, in einer geschützten Atmosphäre, zusammen mit Hebammen entbinden und werden vor, während und nach der Geburt von ihnen begleitet. Es gibt eine Eins-zu-eins-Betreuung. Die Geburt selbst wird von zwei Hebammen begleitet. Kommt es zu Komplikationen, werden Ärztinnen und Ärzte hinzugezogen. Diese müssen deshalb zum Zeitpunkt der Geburt immer in Bereitschaft sein. Entscheidet sich eine Frau für den Hebammenkreißsaal, wird in Gesprächen und anhand von Risikokriterien geprüft, ob das möglich ist.

Drei Frauen stehen in einem Klinikzimmer
Annika Wanierke vom Hebammenlandesverband, leitende Hebamme Anika Buntrock und Chefärztin Christine Stapf im Gespräch. Sie sind sich einig: Hebammenkreißsäle verbessern die Geburtshilfe. Bildrechte: MDR/Lisa Wudy

"Das heißt, wir gehen davon aus, dass es eine physiologische, ganz gesunde Schwangerschaft ist und ein gesundes Kind", sagt Chefärztin Christine Stapf. "Sodass man erlauben kann, gewisse kontinuierliche Überwachungsmaßnahmen wie zum Beispiel die CTG-Schreibung (auch Kardiotokografie oder Wehenschreiber genannt) großzügiger anzuwenden. Immer in der sicheren Annahme, dass zum Beispiel der Mutterkuchen immer noch eine volle Funktion hat und das Kind voll versorgt ist". Es sei wichtig, so die Chefärztin weiter, dass den Frauen eine interventionsarme Geburt angeboten werde. Das sei nicht nur für die Frauen eine Bereicherung, sondern auch für die Geburtshilfe an sich.

Beispielkriterien für die Geburt im Hebammenkreißsaal - Einling
- Normal großes Kind
- Gesunder Schwangerschaftsverlauf
- Mindestens zwei Hebammengespräche in der Klinik

Hebammen arbeiten selbstständig und eigenverantwortlich

Hebamme Anika Buntrock hat im Klinikum bisher immer im Ärzteteam zusammengearbeitet. "Jetzt erweitere ich nochmal mein Feld", so die Fachfrau. Die Hebammen haben im neuen Kreißsaal die alleinige Verantwortung. "Klar ist das Ärzteteam ganz in der Nähe, aber in dem Moment muss ich ganz alleine entscheiden." Durch das neue Betreuungsmodell werde auch das Handwerk selbst gestärkt. "Es gibt Ultraschall, aber es gibt auch meine Hände, die den Bauch abtasten. Die können genauso gut ein Schätzgewicht machen", so Buntrock und manchmal wären ihre Hände sogar besser als die Maschinen. Sie würde sich wünschen, dass das Konzept überall Anwendung findet.

Eine Hebamme horcht am Bauch einer schwangeren Frau
Hebamme Anika Buntrock hört mit einem geburtshilflichen Stethoskop, dem sogenannten Pinard-Rohr, die Herztöne des Kindes ab. Bildrechte: MDR/Lisa Wudy

Konzept soll Handwerk attraktiver machen

Dass durch den Hebammenkreißsaal das Handwerk gestärkt wird, sagt auch Annika Wanierke. Sie ist die erste Vorsitzende des Thüringer Hebammenlandesverbandes. Gleichzeitig sei es ein attraktiver Arbeitsplatz: "Ich halte es tatsächlich für ein sehr gutes Modell, Kolleginnen zu motivieren. Wir haben ja häufig die Problematik, dass Hebammen nicht so lange im Beruf bleiben. Das hat unterschiedliche Gründe." Die hebammengeleitete Geburtshilfe könne dem entgegenwirken.

In den Ilm-Kreis-Kliniken in Arnstadt kommen laut Buntrock pro Monat etwa 50 bis 60 Neugeborene zur Welt. Sie rechnet damit, dass zukünftig etwa zehn Prozent aller Geburten hebammengeleitet sind. Bisher gebe es bereits 20 Anmeldungen bis Ende Oktober.

Eine blonde Frau mit Brille
Die Hebammen arbeiten im Hebammenkreißsaal selbstständig und eigenverantwortlich. Dadurch könne der Arbeitsplatz attraktiver gestaltet werden, sagt Annika Wanierke. Sie ist die erste Vorsitzende des Thüringer Hebammenlandesverbandes. Bildrechte: MDR/Lisa Wudy

MDR (cfr)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 16. August 2023 | 19:00 Uhr

1 Kommentar

Eddi58 vor 39 Wochen

Es gibt in diesen Zeiten tatsächlich gute Nachrichten. Danke das der MDR darüber berichtet.

Was mich allerdings irritiert, ist die Tatsache, das die Gesundheitsversorgung wichtigstes Thema für die Wahlentscheidung in Thüringen sein soll.(Der MDR berichtete) Wie wenig Aufmerksamkeit das Thema in den Kommentarspalten erhält, steht im Widerspruch dazu?!

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