Aleksandar Vučić, Präsident Serbien
Serbiens Präsident Aleksandar Vučić präsentiert sich als Bezwinger der Inflation. Bildrechte: IMAGO / Le Pictorium

Skurriler Stimmenfang Serbiens Präsident Vučić als Wurst-Verkäufer

29. September 2023, 14:01 Uhr

Die Inflation macht auch den Menschen in Serbien zu schaffen. Präsident Vučić will daraus politisches Kapital schlagen. Er präsentiert sich als Retter in der Not: 36 verschiedene Lebensmittel können die Bürger künftig zu stark verbilligten Preisen erwerben – darunter eine Hühnerwurst, mit der er sich vor laufender Kamera ein Sandwich machte. Der skurrille Auftritt des Staatsoberhauptes ging viral und sorgte für Lacher. Bei den sozial Schwachen kann er damit aber vor anstehenden Wahlen punkten.

Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vučić spricht gern in Superlativen. Und das tut er sehr oft: in diesem Jahr wandte er sich schon 200 Mal an sein Volk, im vergangen Jahr konnten ihn serbische Bürger rund 300 Mal im Fernsehen bewundern.

Zum ständigen Repertoire seiner Ansprachen gehört das Selbstlob, was alles tolles Serbien erreicht habe, seit er vor elf Jahren das Staatsruder übernommen hatte: die größten Gehaltserhöhungen in der Geschichte des Landes, die höchsten Renten, das größte Wirtschaftswachstum, die höchsten Auslandsinvestitionen in der Region. Er habe die meisten Fabriken eröffnet, verkündet der Präsident, und der Ausbau der Infrastruktur breche alle Rekorde, kurzum: Serbien sei ein balkanischer Tigerstaat geworden... Kein Wunder, pflegt Vučić zu sagen, dass die Nachbarstaaten ihn aus reinem Neid auf die unglaubliche serbische Wirtschaftsleistung beseitigen wollten. Ja, das sagt er tatsächlich!

Präsident Vučić wirbt für Billigwurst

Doch vor zwei Wochen stand plötzlich ein ganz anderer Vučić vor dem Fernsehpublikum in Serbien. Kein Wort von selbstfahrenden Autos "made in Serbia" und sonstigen Wundern aus der fantastischen Zukunft, auf die Serbien unter seiner Führung angeblich zusteuert.

Stattdessen stand neben ihm ein roter Einkaufskorb, so einer wie man sie in Supermärkten verwendet. Im Korb lagen zwanzig Produkte, von Kartoffeln bis hin zu Windeln, die man nun bis zu 40 Prozent günstiger in allen Supermärkten des Landes kaufen könne, erklärte der Präsident. Er griff zuerst zur Hühnerwurst, stellte sie vor die Kamera und gab bekannt, dass ein Kilo nur noch 259 Dinar (umgerechnet rund 2,20 Euro) kosten würde.

Präsident Aleksandar Vučić präsentiert in einer TV-Ansprache das Programm "Guter Preis" mit verbilligten Lebensmitteln.
Vučić bei einer TV-Ansprache: Dass Staatsoberhäupter sich mal im Fernsehen mit einer Botschaft ans Volk wenden, kommt vor – ein Warenkorb als Requisite ist aber ungewöhnlich. Bildrechte: Radio-Televizija Srbije

Sofort wurde diese "Extrawurst" zum Politikum. Sie war in aller Munde, auch buchstäblich. Die Opposition sprach von skrupellosem Populismus, Vučić und seine Gefolgschaft von ihrer Sorge um verarmte Mitbürger und einer Maßnahme gegen die 11,5 Prozent hohe Inflation – durch die Verbilligung einer bestimmten Anzahl von Produkten (36 sind es bis jetzt) wolle man sie drosseln.

Wurstbrot-Challenge auf Instagram

Es wurde immer wilder um die Wurst. Der Wirtschaftsexperte und Chefredakteur des regierungskritischen Wochenmagazins "NIN", Milan Ćulibrk, sagte, dass die Verbilligung von einigen Produkten keinen Einfluss auf die Inflation haben werde, hinterfragte kritisch die Zusammensetzung der Billigwurst und fragte, ob Vučić und seine Minister sie denn essen würden.

Die Herausforderung wurde angenommen, er werde die Wurst essen und den Verzehr für Instagram und Facebook aufzeichnen, sagte der serbische Staatspräsident. Gesagt, getan. Im Video ist zu sehen, wie sich im Arbeitszimmer des Präsidenten das Staatsoberhaupt persönlich, zusammen mit dem Handelsminister Tomislav Momirović und dem Finanzminister Siniša Mali, aus einem Pfundsbrot, Mayonnaise und der Billigwurst ein Sandwich zubereiten.

Vučić erklärte dabei, was er gerade tut: "Ich mache jetzt die Mayo aufs Brot, jetzt nehme ich die Wurst..." Danach legte er genau drei dünne Scheiben Wurst auf die enorme Brotmenge, die Minister machten es ihm nach und begannen, fleißig zu kauen. Der Präsident wurde beim Kauen allerdings nicht gefilmt.

Vučić als begabter Populist

Viele Serben lachten oder weinten – oder taten beides gleichzeitig – wegen der grotesken Performance des Präsidenten. Witze wurden gemacht, wie zum Beispiel: Die präsidiale Billigwurst sei zum Fasten geeignet – warum? – weil gar kein Fleisch enthalten sei.

Doch Vučić ist kein Clown. Er ist ein begabter Populist, und das hat er schon oft bewiesen. Was manchen wie eine Groteske vorkommt, haben Werbeexperten mit Focusgruppen untersucht, so auch die jüngste Kampagne "Besserer Preis" mit der billigen Wurst.

Eine Frau beim einkaufen im Supermarkt in Belgrad.
Supermarkt in Belgrad: Immer mehr Serben merken beim Einkauf, dass sie sich durch die Inflation weniger leisten können als früher. Bildrechte: IMAGO / Winfried Rothermel

Denn trotz der weitgehenden Unterordnung der Medien und der tausendmal wiederholten Märchen vom nimmer besseren Leben: In Wahrheit sinkt der Lebensstandard in Serbien, und diejenigen, bei denen das Geld nur für Essen, Miete und Rechnungen reicht, und das ist die Mehrheit der Serben, spüren am eigenen Leibe, dass sie immer ärmer werden.

Ćulibrk erklärte nach dem öffentlichen Wurstessen des Präsidenten: In drei Jahren seien die Nahrungsmittelpreise in Serbien um rund 57,8 Prozent gestiegen. In der gleichen Zeit seien die Renten im Schnitt um 36 Prozent und das Medianeinkommen um 43 Prozent gestiegen. Wie kann Vučić also angesichts dieser Zahlen die bedürftigen Menschen überzeugen, dass sie unter seiner Herrschaft immer besser leben?

Propaganda im Fernsehen

Kann er nicht mehr. Aber er kann ihnen drastisch verbilligte Produkte anbieten und sie überzeugen, dass sie verrecken würden, wenn er die Macht verlöre, denn alle, die gegen ihn sind, seien Bösewichte und Feinde Serbiens, das sie ausplündern wollten.

Diese Propaganda wirkt – auch deshalb, weil sich rund 80 Prozent der Serben übers Fernsehen informieren und die Mehrheit von ihnen die beiden einzigen regimekritischen Sender nicht empfangen kann. Sie empfangen Vučić – fast jeden Tag.

Und sie verfängt, weil viele Menschen tatsächlich in kargen Verhältnissen leben oder gar Not leiden. In Serbien leben 1,65 Millionen Rentner und eine Durchschnittsrente betrug in diesem Jahr laut dem staatlichen Statistikamt rund 37.800 Dinar (umgerechnet 323 Euro). Rentner stellen etwa ein Viertel aller Wahlberechtigten in Serbien.

Viele Serben leben in Armut

Inflation setzt serbischen Rentern zu
Besonders Rentner müssen in Serbien durch die Inflation kürzer treten. Bildrechte: IMAGO / Bihlmayerfotografie

Mehr als 445.000 Serben leben unter der Armutsgrenze. Ein Drittel der Einwohner kommt nur schwer über die Runden, während fast die Hälfte Schwierigkeiten hat, mit ihren Einkommen auszukommen, so die offizielle Statistik. Und neue Preissteigerungen sind für den Herbst angesagt: bei Fernwärme, Gas, Holz und Kohle, um nur einige Beispiele zu nennen.

Kein Wunder, dass die Nachfrage nach den Billigprodukten riesig ist. Viele Menschen sprechen von der "Vučić-Wurst" oder vom "Vučić-Waschmittel". Sie empfinden den Präsidenten als ihren Erlöser, nicht als den Verantwortlichen für ihre Misere.

Billigwurst als Wahlkampfgeschenk?

Und Vučićs Rechnung ist einfach: Gewinne die Herzen – und den Magen – der Verarmten, und du gewinnst die Wahlen. Und die Wahlen rücken immer näher: Im Frühjahr finden Kommunalwahlen sowie Wahlen in der autonomen Provinz Vojvodina statt, außerdem hat Vučić vorgezogene Parlamentswahlen in Aussicht gestellt. Die Opposition fordert vorgezogene Wahlen in Belgrad, wo Vučićs Serbische Fortschrittspartei (SNS) am wenigsten Rückhalt hat.

Die Verzehrung der billigen Extrawurst war wohl der Start der Wahlkampagne des Staatspräsidenten, der seine SNS auf allen Wahlebenen anführen wird. Das ist zwar verfassungswidrig – aber wen kümmert das, wenn’s wenigstens für die Wurst reicht.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten – Der Osteuropa-Podcast | 30. September 2023 | 07:17 Uhr

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