Eisberge bei Sonnenuntergang im Uummannaq Fjord, Grönland, Nordamerika.
Der Nordatlantik war schon vor etwa 100.000 Jahren das Zentrum starker Klimaveränderungen. Lässt sich aus historischen Erkenntnissen Wissen über bevorstehende Kipppunkte des Klimas ableiten? Bildrechte: IMAGO/imagebroker

Klimaforschung Fieberschübe in der Eiszeit: Der Nordatlantik als Klima-Macher

28. August 2023, 21:00 Uhr

Der in diesem Jahr viel zu warme Nordatlantik ist nicht erst heute besonders wichtig fürs Klima auf der Erde. Schon vor Zehntausenden Jahren war er Zentrum großer globaler Klimaveränderungen. Das zeigt eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).

Wird schon nicht so wichtig sein, wenn der Nordatlantik in diesem Jahr so warm war wie nie zuvor seit Beginn der Datenerfassung. Das ist bestimmt nur ein lokales Phänomen und hat mit Wetter und Klima im Rest der Welt kaum etwas zu tun.

Dass solche Gedanken schon vor Jahrtausenden falsch gewesen wären, zeigt eine neue Studie des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Der Arbeit zufolge gingen schon in der letzten Kaltzeit der Erde, also vor bis zu 115.000 Jahren, starke Temperaturschwankungen im Nordatlantik mit Klimaveränderungen auf großen Teilen der Erde einher, vor allem auf der Nordhalbkugel.

Das globale Wärme-Förderband

Unsere Ozeane sind gigantische, flüssige Förderbänder für Wärme. Sie transportieren diese Wärme von den Tropen zu den Polen und umgekehrt. Diese Bewegung mit dem etwas sperrigen Namen "thermohaline Zirkulation" wird oft auch einfach als das "globale Förderband" bezeichnet und spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulierung des Erdklimas. Der Nordatlantik nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein, und das nicht erst seit heute.

Die thermohaline Zirkulation in den Weltmeeren, umgangssprachlich das "globale Förderband" genannt.
Die thermohaline Zirkulation in den Weltmeeren, umgangssprachlich das "globale Förderband" genannt.
Rot: Oberflächenströmung
Blau: Tiefseeströmung
Bildrechte: NASA / MDR Wissen

Fieberschübe in der Eiszeit: "Archetyp für abrupte Klimaveränderungen"

Untersucht wurde von der Potsdamer Forschungsgruppe die letzte Eiszeit der Erde, die vor etwa 115.000 Jahren begann und vor etwa 11.700 Jahren endete. In dieser alles andere als konstanten Kälte gab es unerwartete und abrupte Temperatursprünge, die die Wissenschaft jahrzehntelang vor ein Rätsel stellten. Diese Temperatursprünge werden als Dansgaard-Oeschger-Ereignisse bezeichnet. Sie äußerten sich in raschen Erwärmungsphasen, gefolgt von langsameren Abkühlungen. Diese "Fieberschübe" der Erde inmitten einer "Grippe" schienen unvorhersehbar und schwer zu erklären zu sein. Es handelte sich um schnelle Temperatursprünge auf der Nordhalbkugel von bis zu 15 °C in Grönland, die während der letzten Kaltzeit wiederholt innerhalb weniger Jahrzehnte auftraten.

Der Schlüssel zu diesem Geheimnis liegt heute tief im Eis Grönlands verborgen. Dort ausgebohrte Eiskerne sind wie ein Tagebuch des Klimas: Jede Schicht repräsentiert eine andere Zeitperiode und erzählt eine Geschichte über Temperatur, Luftzusammensetzung und sogar über Staub und Pollen in der Atmosphäre. Die Analyse dieser Eiskerne zeigte, dass es während der Eiszeit zu mehreren Dansgaard-Oeschger-Ereignissen kam.

Der Forscher Niklas Boers vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
Niklas Boers vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung Bildrechte: PIK/Karkow

"Diese Ereignisse sind der Archetyp für abrupte Klimaveränderungen, und ein besseres Verständnis dieser Ereignisse ist entscheidend für eine zuverlässigere Bewertung des Risikos und der möglichen Auswirkungen künftiger großräumiger Klimakippungen", sagt Niklas Boers, einer der Autoren der Studie. Die Forscher begannen zu vermuten, dass Veränderungen in der Salz- und Wärmezirkulation des Nordatlantiks die Hauptursache für die abrupten Klimasprünge sein könnten.

Hauptgrund dafür ist der Süßwassereintrag aus schmelzenden Gletschern. Dieses zusätzliche Süßwasser verändert den Salzgehalt des Ozeans. Dieser wiederum verändert die Dichte des Wassers und damit seine Fähigkeit, in die Tiefe zu sinken und die thermohaline Zirkulation wie gewohnt fortzuführen. Ein Abschwächen oder sogar Stoppen dieser Zirkulation kann erhebliche Auswirkungen auf das globale Klima haben.

Höhlenminerale gestatten den Blick in die Vergangenheit

In der neuen Studie untersuchte die Forschungsgruppe eine Sammlung von Mineralen (wie beispielsweise Tropfsteine) aus insgesamt 67 Höhlen von allen Kontinenten, außer der Antarktis. Diese Höhlenminerale dienen, ähnlich wie die Eiskerne aus Grönland, gewissermaßen als Klimaarchive, aus denen sich Daten über Niederschlagsveränderungen während der letzten Kaltzeit gewinnen ließen.

Festgestellt wurde dann, dass die Temperaturschwankungen im Nordatlantik großen Einfluss auf den Niederschlag weltweit hatten, und zwar bezüglich Niederschlagsmenge, Ort des Niederschlags und auch der Saisonalität. Klar zu sehen war auch, dass die Auswirkungen etwas schwächer wurden, je weiter ein Ort von der nordatlantischen Region entfernt war, was die Erkenntnis verstärkte, dass der Nordatlantik schon damals das Zentrum oder die "Küche" des Klimas war, zumindest auf der Nordhalbkugel.

"Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich weltweit die atmosphärische Zirkulation und die damit verbundenen Niederschlagsmuster als Folge der Dansgaard-Oeschger-Ereignisse drastisch und abrupt verändert haben", sagt Erstautor Jens Fohlmeister. "Die Auswirkungen dieser abrupten Klimaveränderungen in der Vergangenheit waren weltweit zu spüren, am stärksten jedoch in den tropischen Monsungebieten."

Erkenntnisse können beim Einschätzen von Kipppunkten helfen

Die Wissenschaftler waren in der Lage, diese Auswirkungen mit komplexen Klimamodellen zu reproduzieren. "Dies zeigt, dass wir auf einem guten Weg sind, unsere Modelle zu verbessern, um abrupte Klimaänderungen detaillierter darstellen zu können", sagt Niklas Boers. Die Forschungsergebnisse könnten auch dazu beitragen, besser zu verstehen, wie so genannte Kippelemente wie die Nordatlantische Umwälzbewegung (Atlantic Meridional Overturning Circulation, AMOC) bei künftigen, vom Menschen verursachten globalen Erwärmungsszenarien reagieren.

Bisher gibt es noch große Unsicherheiten bei der Abschätzung des Verhaltens solcher Kippelemente, trotz umfangreicher Forschungsarbeiten, die seit mehreren Jahren durchgeführt werden. Dies erfordert eine Fortsetzung der systematischen Untersuchungen vergangener abrupter Klimaänderungen, so die Forscher. "Wir haben einen großen Schritt gemacht und ein weiteres Puzzlestück zu einer zuverlässigeren Bewertung der detaillierten globalen Auswirkungen hinzugefügt, die ein Kippen einer wichtigen Erdsystemkomponente wie der AMOC haben könnte", so Boers abschließend.

Links/Studien

Die Studie "Global reorganization of atmospheric circulation during Dansgaard-Oeschger cycles" ist im Journal Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erschienen.

(rr)

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3 Kommentare

Denkschnecke vor 35 Wochen

Mit dem letzten Satz haben Sie recht.
Na, dann fangen wir mal an uns anzupassen. Die ersten jammern ja schon, wenn es im Griechenland-Urlaub 45°C werden, oder das schlimmste Hochwasser seit 110 Jahren das Eigenheim im Ahrtal wegspült.
Aber wie kommen Sie auf einen "nachgewiesenem Anteil an der CO - 2 Belastung in Höhe von ganzen 4 %"? Die aktuelle CO2-Konzentration in der oberen Atmosphäre liegt mit 420 ppm 50% höher als der natürliche Schwankungsbereich der letzten 800'000 Jahre (180 bis 280 ppm), und dieser Anstieg ist in den letzten 120 Jahren geschehen.
Quelle: https://climate.nasa.gov/vital-signs/carbon-dioxide/
Wäre schön, wenn Sie Ihre angeben.

MDR-Team vor 35 Wochen

Hallo wo geht es hin,
das Klima weist natürliche Schwankungen auf, grundlegend ändert es sich jedoch nur, wenn es durch äußeren Einfluss dazu gebracht wird. Die derzeitigen Klimaänderungen können durch die bekannten und gut erforschten natürlichen Mechanismen nicht erklärt werden – es sind unbestreitbar menschliche Einflüsse, die momentan die Erde aufheizen. Laut UBA liegt der menschengemachte CO2-Anteil bei jährlich 40 Milliarden Tonnen, etwa 4,9 %. Die Natur ist in der Lage, ihren CO2-Ausstoß wieder vollständig aufzunehmen, hingegen nur einen Teil der menschengemachten Treibhausgas-Emissionen. Damit bringen diese 4,9% den natürlichen Kohlenstoffkreislauf durcheinander. Denn durch diesen kleine Anteil erhöhte sich seit Beginn der Industrialisierung die bis dahin relativ konstante atmosphärische CO2-Konzentration von etwa 280 ppm auf aktuell rund 420 ppm. Dadurch wird mehr Wärme gespeichert es kommt zu erhöhten Temperaturen.
Mehr dazu: https://www.mdr.de/wissen/klimazweifel-100.html

wo geht es hin vor 35 Wochen

"Die Forschungsergebnisse könnten auch dazu beitragen, besser zu verstehen, wie so genannte Kippelemente wie die Nordatlantische Umwälzbewegung (Atlantic Meridional Overturning Circulation, AMOC) bei künftigen, vom Menschen verursachten globalen Erwärmungsszenarien reagieren."
Aha. Der Verweis auf die Schuld des Menschen durfte in einem an sich nicht unstimmigen Beitrag ja nicht fehlen.
Nur stellen sich da Fragen: wo war denn der Mensch, als diese Sprünge schon mehrfach in der Klimageschichte auftraten?
Wie soll es möglich sein, daß der Mensch bei einem nachgewiesenem Anteil an der CO - 2 Belastung in Höhe von ganzen 4 % der entscheidente Faktor sein soll?
Ich sehe den Klimawandel als ganz natürlichen Prozess an, den es schon immer gegeben hat und auf den der Mensch so gut wie keinen Einfluß hat. Dem Menschen bleibt nichts anderes als Anpassung - sonst wird er von der Erde verschwinden. Und die Erde wird sich auch weiter ohne den Menschen und seine angebliche Schuld weiterdrehen.