Das Altpapier am 22. Dezember 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 22. Dezember 2023 Darf der ZDF-Fernsehrat alles?

22. Dezember 2023, 09:34 Uhr

Eine Ausgabe des "ZDF Magazin Royale" wurde im Dezember gelöscht, weil ihr Thema sich nicht für Satire eigne, so der Fernsehrat. Aber eignet sich das Gremium dafür, das zu entscheiden? Und: Der Jahresrückblick der Influencermarketing-Aufsicht ist da. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Influencer tun sich halt schwer

Ja, es ist wieder diese Zeit des Jahres: die Zeit der Bilanzen, Rückblicke und Rankings. dwdl.de lässt über die "medialen Peinlichkeiten des Jahres" abstimmen, um einen Sieger zu ermitteln. Die Umbenennung von Super RTL in RTL Super (aber nur nachts, bevor es am Morgen dann Toggo heißt) ist ebenso nominiert wie, in der Kategorie "Theater des Jahres", die RBB-Intendantinnenwahl. Bei meedia.de steht, wer nach Auszählung der Gästelisten "der neue Talkshowkönig" ist, also 2023 die meisten Talkauftritte absolviert hat (Kevin Kühnert vor Robin Alexander vor Jens Spahn vor Christian Dürr). Bei blickpunktfilm.de ist zu lesen, welche deutsche Sendergruppe 2023 in Sachen Streaming-Reichweite vorne lag. Bis zum ersten monothematischen Jahresrückblick hier im Altpapier ist es auch nicht mehr lang hin.

Und dann wäre da zudem noch das:

"Auffällig war im Jahr 2023, dass sich viele Influencer nach wie vor schwer damit tun, ihre Werbung richtig zu kennzeichnen und von ihrem redaktionellen Inhalt erkennbar zu trennen. Die Anzahl der Entscheidungen über Verstöße von Influencerinnen und Influencern hat sich gegenüber dem Vorjahr verdreifacht."

Das schreibt die Kommission für Zulassung und Aufsicht in einer Mitteilung, in der sie die Arbeit ihres Jahr zusammenfasst. Diese Kommission für Zulassung und Aufsicht, die ihren nicht ganz unlänglichen Namen mit einem lebhaften ZAK abkürzt, ist neben der GVK, der KEK und der KJM eines der Organe der Landesmedienanstalten. Eigentlich sogar ein zentrales Organ, weil dort Plattformregulierung, Rundfunkkontrolle und Programmaufsicht stattfinden. Und es ist eben auch die Kommission, die für Influencermarketing-Krimskrams zuständig ist.

Die Jahresbilanz klingt schon krass: eine Verdreifachung der Entscheidungen über Verstöße von Influencerinnen und Influencern. Das heißt, wo vorher einhundert Verstöße waren, sind es jetzt dreihundert, und wo vorher dreitausend Verstöße waren, sind es jetzt neuntausend. Scheint eine ZAK auf zack zu sein, wenn sie ihre Quote in diesem nicht völlig irrelevanten Mediensegment derart steigert – auch so ist das wohl zu lesen: Medienaufsicht wirke.

Wenn man weiter liest, fragt man sich allerdings, warum die Zahlen so niedrig sind. Die Verdreifachung bedeutet eine Erhöhung auf ganze zwölf Fälle. Ein Dutzend Mal wurde der ZAK zufolge 2023 eine fehlende Trennung von Programm und Werbung festgestellt; in der Hälfte wurde ein Bußgeld verhängt. Von all den deutschen Influencerinnen und Influencern in ganz Instagramhausen hätten demnach also lediglich zwölf je einmal vergessen, ein werbliches Influencervideo oder -foto "deutlich lesbar" als Anzeige zu markieren. Was soll man daraus schließen: dass mittlerweile die Influencermarketing-Aufsicht gut funktioniert, weil Influencer offensichtlich keine Verstöße mehr begehen? Dass sie nicht ganz so gut funktioniert, weil nur zwölf Fälle geahndet wurden?

Das Bild wird differenzierter, wenn man in der Mitteilung weiterliest:

"Daneben werden nach wie vor eine Vielzahl von Werbeverstößen im Bereich des Influencer-Marketings bereits im Vorfeld eines förmlichen Verfahrens aufgrund informeller regulatorischer Hinweise durch die Landesmedienanstalten direkt von den Influencerinnen und Influencern ausgeräumt und die fehlenden oder unzureichenden Werbekennzeichnungen umgehend nachgebessert."

Das heißt wohl: Zunächst wird in vielen Fällen, wie viele es auch immer sein mögen, die Influencerin, der Influencer informell darauf hingewiesen, dass in einem Posting die Werbung nicht gekennzeichnet ist. Und wenn es dann flott korrigiert wird, ist der Fall erledigt. Schön für Influencermarketing-Anfänger. Dass es allerdings in einer "Vielzahl von Werbeverstößen" keine Konsequenzen gibt, sondern eh erstmal nur informelle Nachbesserungshinweise, das könnte auch eine andere Wirkung haben als die mutmaßlich gewünschte: dass es manch fortgeschrittener ausgebuffter Influencer auch mal ohne saubere Kennzeichnung probiert…

Darf der ZDF-Fernsehrat alles?

Mehr mediale Aufmerksamkeit bekommt unter dem Hashtag #Gremien eine andere Nachricht: Sie bezieht sich auf TOP 13 b.4 aus der ZDF-Fernsehratssitzung vom 8. Dezember.

Der Fernsehrat soll sich, das ist die Neuigkeit, und so fordern es vier seiner Mitglieder, im März noch einmal mit der kürzlich aus der ZDF-Mediathek entfernten Sendung des "ZDF Magazin Royale" mit Jan Böhmermann auseinandersetzen und erneut darüber beraten, ob zwei entsprechende Programmbeschwerden angenommen werden. Danach wurde die Ausgabe über schädliche Therapieformen und Mythen zu ritueller Gewalt aus der Mediathek gelöscht (Altpapierkorb vom 11.12., zur Komplexität des Themas siehe auch uebermedien.de). Eine Depublikation sei "ein außergewöhnlich harter Schritt", schrieb spiegel.de schon nach der Entscheidung. Nun schreibt dort Christopher Plitz rückblickend noch deutlicher:

"Mit knapper Mehrheit entschieden die Mitglieder, eine der Beschwerden anzunehmen. Das hatte es seit Jahren nicht mehr gegeben. Die Folge musste daraufhin aus der Mediathek gelöscht werden. Ein harter, ein drastischer Schritt. Er kommt so gut wie nie vor."

Was zwar nicht heißt, dass er nicht theoretisch trotzdem vorkommen kann. Aber die vorliegende Begründung war tatsächlich denkbar unausreichend. Aus dem ZDF-Fernsehrat selbst gibt es nun also von vier Mitgliedern Kritik an der Entscheidung, genauer: an der Entscheidungsfindung.

"Viel spannender als die Forderung der vier Mitglieder des Gremiums ist aber die Begründung, die sie abliefern. Durch sie wird nun nämlich deutlich, wie die Sitzung des Fernsehrats am 8. Dezember abgelaufen ist", schreibt Timo Niemeier bei dwdl.de. Es habe nämlich "keine ordnungsgemäße Behandlung" der Beschwerden gegeben. Mehrfache Versuche von Teilnehmenden, sich zu Wort zu melden, seien nicht gesehen oder gehört worden. Was es gegeben habe, sei eine Ansprache des Vorsitzenden des Programmausschusses Programmdirektion. Dessen Ausschuss habe die Beschwerde im Vorfeld eigentlich zurückgewiesen, der Vorsitzende jedoch in der Fernsehratssitzung dann "eine ausführliche persönliche Erklärung abgegeben, weshalb der Beschwerde aus seiner Sicht stattgegeben werden solle". Es sei der Eindruck entstanden, er gebe die Auffassung des gesamten Ausschusses wider.

Ein Argument gegen die "ZDF Magazin Royale"-Ausgabe war wohl, dass manche Themen für Satire einfach nicht geeignet seien. Darüber aber befindet nicht der Fernsehrat. Er prüft, ob bei der Umsetzung die Programmrichtlinien eingehalten wurden; so werden auch die Ratsmitglieder zitiert, die den Fall noch einmal aufrollen wollen. Das Portal meedia.de zitiert Katrin Kroemer, eine stellvertretende Vorsitzende des Fernsehrats, so:

"'Es geht nicht an, dass der Fernsehrat darüber entscheidet, was Satire darf und was nicht.’ Sie hält auch die Depublikation, die sich 'wie ein Automatismus an die Entscheidung angeschlossen' habe, für diskussionswürdig. 'Man hätte der Transparenz mehr gedient, wenn man die Sendung, die Beschwerde und die Entscheidung des Fernsehrats nebeneinander öffentlich gemacht und das Echo ausgehalten hätte', so die Entsandte des Deutschen Journalistenverbandes (DJV)."

Ob es in der nächsten Ratssitzung eine neuerliche Diskussion gibt und wie sie gegebenenfalls ausgeht, bleibt, im Leitartikeljargon, abzuwarten. Bis dahin lässt sich die Debatte auf folgenden Nenner bringen: Es geht in diesem Fall nicht darum, was Satire darf. Es geht eher darum, ob der Fernsehrat das bestimmen darf.


Altpapierkorb (Presserat zu Aiwanger-Berichterstattung, Öffentlich-Rechtliche in Polen, "Checkerin Marina", MDR-"Umschau"-Beitrag)

+++ Noch’n Gremium: Auch der Presserat ist frisch in der Presse. Die "Süddeutsche Zeitung" dokumentiert seine Entscheidung in der sogenannten Aiwanger-Flugblattaffäre– eine Entscheidung, die schon Anfang Dezember zugunsten der "SZ" ausgefallen war, für die aber nun erst eine ausführliche Begründung vorliegt. "An dem veröffentlichten Verdacht, Aiwanger habe in seiner Jugend ein antisemitisches Flugblatt verfasst, bestand ein erhebliches öffentliches Interesse", und zwar "gerade zum Zeitpunkt wenige Wochen vor der Landtagswahl". Das ist ein zentraler Satz. Die "SZ" veröffentlicht die Begründung, nachdem sie für ihre Berichterstattung in die Kritik geraten war. Dass die Kritik nicht rundum unberechtigt war, stand auch an dieser Stelle. Auch in der "SZ"-Redaktion wurde die Form der Berichterstattung kritisch diskutiert, wie "Die Zeit" im November schrieb ("'Wie konnten wir übersehen, dass die Form der Berichterstattung die Zeitung angreifbar macht?', sagt eine Redakteurin"…). Allerdings stellen die Form und der Ton der Berichterstattung keinen Verstoß gegen den Pressekodex dar. Sie machten es Kritikern zu leicht, eine politische Kampagne zu unterstellen – das vor allem war es, was intern diskutiert worden sei, so "Die Zeit". Wie schlank der Fuß war, den sich Aiwanger selbst machte, stand auch hier im Altpapier, und man sah das zuletzt noch einmal, als er bei "Maischberger" auftrat. Dort warf er der "SZ" eine "Schmutzkampagne" vor, ging nicht darauf ein, bei wem er sich wofür eigentlich entschuldigt hat, und sagte etwa, es sei von der Zeitung fälschlicherweise behauptet worden, er sei der Urheber des Flugblatts "und dergleichen". Der Presserat sagt nun: Genau das hat die "SZ" nicht behauptet. "Anders als von einigen Beschwerdeführern kritisiert, behauptete die Redaktion auch nicht, Aiwanger habe das Flugblatt verfasst. Sie äußerte lediglich den Verdacht, dass er das Flugblatt verfasst haben könnte." Das ist ein relevanter Unterschied, über den man in der hitzigen öffentlichen Debatte aber zu leicht hinweggehen konnte. Sofern man das wollte.

+++ Die öffentlich-rechtlichen Medien in Polen "unter die Staatskontrolle zu bringen, war einer der ersten Schritte der PiS nach der Machtübernahme 2015" (mdr.de). Damals liquidierte die rechtskonservative PiS den öffentlich-rechtlichen Rundfunk "und erschuf ihn sofort wieder – unter gleichem Namen, aber in anderer Rechtsform", schreibt die "taz" nun. Anlass für den "taz"-Text ist, dass die neue polnische Regierung Tusk die gesamte Führung der öffentlich-rechtlichen Medien entlassen hat, die zuletzt ein Propagandaarm der Regierung war. Dass die PiS jetzt empört auf "Meinungspluralismus" pocht, ist natürlich ein Witz. Sie hatte ihn ja abgeschafft und dafür Sprachrohre der Regierung installiert.

+++ Die "Checker"-Formate des öffentlich-rechtlichen Kinderfernsehens sind so etwas wie eine neuere "Sendung mit der Maus". Zumindest werden auch hier Sachinhalte a) unterrichtstauglich und b) auf für Kinder und jüngere Jugendliche ansprechende Art aufbereitet. Checker Can, Checker Tobi und Checker Julian bildeten bislang das Reporter- und Moderationsteam in den "Checker"-Reportagen des Bayerischen Rundfunks. Seit Oktober gibt es mit "Checkerin Marina" nun die erste und bislang einzige Frau. Das ging also doch relativ flott – seit der ersten "Checker"-Sendung sind erst zwölf Jahre und seit der ersten Kritik am Männerüberschuss im "Checker"-Fernsehen nur erst knapp sechs Jahre vergangen. Ich habe dieser Tage nun einige Folgen gesehen, und hier die schnelle Kurzmeinung: "Checkerin Marina" hat für die Titelmelodie eigentlich eine Silbe zu viel. Ansonsten ist sie eine sehr gute Besetzung.

+++ Dass der MDR den "Umschau"-Beitrag über angebliche Verunreinigungen im Biontech-Impfstoff (zuletzt in diesem Altpapier) zurückziehe, steht nach dem längeren Beitrag auf den Wissenschaftsseiten vom Mittwoch heute auch knapp auf der gedruckten "FAZ"-Medienseite – nun mit Verweis auf eine MDR-Mitteilung vom Donnerstag. Derzufolge seien publizistische Sorgfaltskriterien nicht eingehalten worden; das "steht fest", heißt es nun dort als Ergebnis einer internen Prüfung.

Ab dem 27. Dezember erscheinen Altpapier-Jahresrückblicke. Das nächste reguläre Altpapier erscheint am 3. Januar. Wir wünschen Ihnen schöne Feiertage!

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