Das Altpapier am 10. Januar 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab 4 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 10. Januar 2024 Sparen als Strategie, Trend und Drohung

10. Januar 2024, 10:02 Uhr

Netflix dampft Eigenproduktionen ein, das ZDF droht in der Beitragsdebatte mit mehr Wiederholungen. Und beim NDR wird ein neuer – eher symbolischer – Aspekt der Debatte verhandelt, wie die Öffentlich-Rechtlichen mit der AfD umgehen sollten. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Netflix: Sparen am Programm, aber als Strategie

Es beginnen die Wochen des Kinos, Stichwort Golden Globes, Stichwort Berlinale, Stichwort Oscars, also warum nicht mal mit einem Kinomenschen beginnen? "Es wird viel über das Schrumpfen von Aufmerksamkeitsspannen geschimpft. Aber nicht die Jugend ist das Problem, sondern der langweilige Content, dem sie ausgesetzt ist."

Das sagt Regisseur Nicolas Winding Refn im Interview mit der, na, Dings, wo waren wir?, ach ja: "Süddeutschen" (Abo). Und er hat ja Recht, Stichwort Schminktutorials. Aber man kann auch im Fernsehen den langweiligen Content finden, den er meint. Und sogar bei Netflix. Oder woher kommt’s, dass die Zahlen dort vor knapp 20 Monaten eher nach unten zu gehen begannen?

Gut, das Ende der Pandemie hatte vielleicht damit zu tun: Es wurde nicht mehr ganz so viel geguckt. Aber es könnte auch etwas mit Übersättigung und einem Mangel an Muss-man-einfach-gesehen-haben-Produktionen zu tun haben. Also mit nicht überzeugendem Content. Bei Netflix, Pionier des DVD-Verleihs per Post, heute eine führende Kraft der international tätigen Streaminganbieter, zieht man jedenfalls seit einiger Zeit Konsequenzen aus der Marktentwicklung. "Laut der Webseite 'What’s On Netflix' soll Netflix im Jahr 2023 ­ins­gesamt 130 Originalformate weniger herausgebracht haben als noch 2022. Dies ist ein Rückgang von 16 Prozent." Das schreibt die "taz", die sich mit Netflix beschäftigt.

Vor allem will Netflix wohl weniger Eigenformate produzieren. Eva Keller schreibt in der "taz": "Titelmasse kann Nutzer:innen nicht nur überfordern. Es gibt zudem keinen linearen Zusammenhang zwischen der Menge an Serien, die produziert wird, und der Menge an großartigen Serien, die dabei herauskommt." Stimmt. Und die Strategie, doch nochmal weiterzumachen, wenn etwas erfolgreich wird, ist womöglich auf Dauer auch nicht so glücklich. Kellers Beispiel:

"Der Untergang von 'House of Cards' hätte verhindert werden können, hätte man wie ursprünglich geplant mit der Ernennung von Frank Underwood zum Präsidenten aufgehört. Doch klingelnde Kassen verlangten ein Weitermachen. Die Serie verlor ihren Fokus, und das schwindende Interesse an den Charakteren ließ sie verblassen."

Serien zu finden, die zunächst viel versprechen, dann aber unter Fokusverlust leiden, ist wirklich nicht sonderlich schwer. Tatsächlich könnte also weniger mehr sein, so fasst es die "taz" zusammen – und zwar mit einer Qualitätsmetapher aus dem Essenssegment:

"Ein Zurück zum Kabelfernsehen wird es nicht geben, aber vielleicht ein Zurück vom ­Bingen à la All-you-can-eat-Buffet zum ­gepflegten Serienschauen hin zum Drei-Sterne­Restaurant mit Bedienung."

ZDF: Sparen am Programm, aber als Drohung

Der "Trend" gehe im Fernsehen auch jenseits von Netflix 2024 "zur Vermeidung von Flops" – so formuliert es Banijay Germany-Chef Marcus Wolter, der in einem Überblickstext bei dwdl.de zitiert wird.

Also weniger machen, das dafür mit Überzeugung? Kritische Beobachter des Fiktionsprogramms der Öffentlich-Rechtlichen könnten an dieser Stelle mit dem Schlagwort "Krimiflut" um die Ecke biegen und damit durchaus einen Punkt haben… Und dass es in den verschiedenen öffentlich-rechtlichen Anstalten immer wieder zu verzichtbaren Redundanzen kommt, darauf weist Boris Rosenkranz von "Übermedien" mit hübscher Regelmäßigkeit hin: indem er Szenen aus erstaunlich vielen inhaltsleeren Reporterstücken aneinander schneidet, die etwa von Weihnachtsmärkten gesendet werden. Oder aus leeren Bahnhöfen während eines Lokführerstreiks. Gut, da vervollständigten beim letzten Mal die Beiträge von "Welt" und "n-tv" das Bild. Aber heute ist es ja vielleicht wieder so weit: Bahnstreik! Neues Material!

Dennoch hat "Sparen am Programm" nach wie vor einen anderen Sound, wenn jemand von den Öffentlich-Rechtlichen das sagt. Weil die halt nach wie vor andere Aufgaben haben als Netflix. Und weil das Sparen (siehe etwa unseren Jahresrückblick unter R wie RBB) nicht unbedingt nur Krimis und Bahnstreikreports betrifft.

Zuletzt hat ZDF-Intendant Norbert Himmler Ende Dezember in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur die Frage bejaht, "ob mehr Wiederholungen ausgestrahlt und weniger Aufträge an Produktionsfirmen vergeben werden, wenn der Beitrag nicht oder nur geringfügig steigt" (spiegel.de). Das ist etwas hintenherum formuliert, aber was er meint, steht da auch nochmal klarer: "(E)s müsse an Produktionen, also am Programm gespart werden, falls die Länder einer Beitragserhöhung nicht zustimmen sollten". Tja. Alle, die am Beitragsprozess beteiligt sind, bringen sich in der festgefahrenen Debatte eben in Stellung.

Gerade hat mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder vorsorglich der nächste Landeschef auch noch einmal betont, dass er einer Rundfunkbeitragserhöhung "unter keinen Umständen" zustimmen werde. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff, CDU hat seine ablehnende Haltung zuvor ebenfalls noch einmal bekräftigt, weil er in Sachsen-Anhalt keine Mehrheit für eine Erhöhung sehe: "Ich werde es nicht zulassen, dass aus dieser Diskussionslage eine Regierungs- oder Staatskrise entsteht." Dass sich Politiker aber gegen das Verfahren der Beitragsfestsetzung wenden, das die Politik selbst festgesetzt hat und theoretisch ändern könnte, müssen sie sich dann allerdings vorwerfen lassen.

Die nächste Folge von "Wie mit der AfD umgehen?"

Erst gestern begann das Altpapier mit einem Fall von Gewalt gegen Journalisten. Heute kann man im Grunde nahtlos anknüpfen. Erneut ist auf einer Demonstration ein Journalist persönlich angegangen worden: "Der Rechtsextremist Christian Klar hatte ein Plakat mit einer diffamierenden Darstellung des Zeitungsjournalisten Fabian Klaus getragen. Darauf ist der Journalist der Funke-Medien-Gruppe in Sträflingskleidung zu sehen sowie die Aufschrift 'Schuldig'", berichteten gestern die Kolleginnen und Kollegen des MDR Thüringen. Es war also in diesem Fall kein physischer Angriff; auf anderen Demonstrationen aber ist Fabian Klaus bereits körperlich attackiert worden, etwa auf einer AfD-Kundgebung Ende April.

Es liegt nahe, nun einen Bogen zu schlagen: zu einem "Übermedien"-Text, der von der Frage handelt, wie Journalistinnen und Journalisten, konkret wie "der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit der AfD umgehen soll". Denn auch darin geht es am Rande darum, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – in diesem Fall des NDR – "etwa bei der Berichterstattung von Demonstrationen bedrängt oder körperlich attackiert worden seien", wie Stefan Niggemeier schreibt.

Das eigentliche Thema seines Texts ist der Besuch von Mitgliedern der AfD-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft und der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung im Landesfunkhaus Hamburg. Dieser Besuch habe in Teilen der NDR-Belegschaft Entsetzen ausgelöst, schreibt er. Die Leitungen der vier NDR-Landesfunkhäuser aber hätten die Besuche und anderen Gespräche und Kontakte mit der AfD "intern mit Nachdruck" verteidigt, so "Übermedien", wo von einer symbolischen Debatte über den grundsätzlichen Umgang mit der Partei die Rede ist:

"Einerseits habe die AfD-Fraktion Verfassungsrang, andererseits hätte der NDR auf der Grundlage seines Hausrechtes möglicherweise einen Besuch ablehnen können. Am Ende sei es aber eher eine unternehmenspolitische und weniger eine rechtliche Entscheidung gewesen. Offenbar sollte auch vermieden werden, der AfD einen Vorwand zu geben, sich als Opfer zu inszenieren. Juristisch spreche auch nichts gegen einen solchen Besuch: Die AfD sei damit nicht anders behandelt worden als andere Fraktionen, denen ebenfalls auf Anfrage Führungen angeboten werden. Falls die AfD durch den Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft werden sollte, müsse das gegebenenfalls neu bewertet werden."

Das "gegebenenfalls" würde ich persönlich allerdings streichen.


Altpapierkorb ("MiMa", "Meedia", "Schweriner Volkszeitung", "Business Insider", Schlagerberichterstattung, X-Accounts des Deutschlandradios)

+++ Der MDR (bei dem auch das Altpapier erscheint) hat vom RBB die Produktion des "Mittagsmagazins"übernommen und um eine Stunde verlängert. Die "Süddeutsche Zeitung" (Abo) hat es nun bereits einer ersten Begutachtung unterzogen und findet es "anstrengend". Konkret ist Caroline Gasteiger die Publikumsbeteiligung zu penetrant: "'Zu unseren Neuigkeiten gehört, dass uns Ihre Meinung brennend interessiert', sagt Moderator Tino Böttcher. Wirkliche Neuigkeiten wären einem da schon fast lieber. Grundsätzlich spricht ja nichts dagegen, das Publikum einzubinden. Aber nicht in einem Maße, dass, wie es die Leipziger Volkszeitung am Tag der Ausstrahlung schon befürchtet, die Leipziger damit rechnen müssen, dass das MiMa gleich an der eigenen Haustür klingelt." So Gasteiger. "(D)as Versprechen, verstärkt ostdeutsche Lebenswirklichkeiten abzubilden, löst das neue MiMa ein", schreibt sie auch.

+++ Zwei Transaktionen verdienen Aufmerksamkeit. Zum einen kauft der österreichische Fachverlag Oberauer (bei dem "Kress" und das "Medium-Magazin" erscheinen) den Branchendienst "Meedia", wie unter anderem dwdl.de meldet …

+++ … Und in Mecklenburg-Vorpommern wechselt eine Zeitung den Besitzer: medieninsider.de (Abo) berichtet, dass die "Schweriner Volkszeitung" an den Schwäbischen Verlag gehen soll. "Damit würde sich auch die Medienkonzentration in Mecklenburg-Vorpommern erhöhen. Der Schwäbische Verlag gibt auch den 'Nordkurier' heraus", so Marvin Schade.

+++ Was ist bei Axel Springer los? "FAZ" (Abo) und "SZ" (Abo) berichten von einem "wilden Streit" ("SZ"); es gehe "hoch her" ("FAZ"). Es geht um die US-amerikanische Redaktion des "Business Insiders", die der früheren MIT-Professorin Neri Oxman Pagiate in ihrer Dissertation nachgewiesen hat, woraufhin ihr Mann, der Investor Bill Ackman, der, wie sie, zu einem Netzwerk gehört, das Michael Hanfeld "als Springers (oder Mathias Döpfners) globalen Privatklub und Netzwerk-Thinktank" bezeichnet, nun "eine Kanonade gegen 'Business Insider' und indirekt gegen Springer und dessen Großaktionär, die Investorengruppe KKR", abgesetzt habe. Dass die redaktionelle Herangehensweise nun intern geprüft werden soll, sorgt, so Hanfeld, für Ärger. "Eine heftige Kontroverse darf als sicher gelten."

+++ Nicht uninteressant, die Frage, "warum Medien so wenig über Schlager berichten", wo doch "knapp jeder fünfte in Deutschland" gerne welche höre, wie die Deutschlandfunk-Medienredaktion von @mediasres berichtet. Sie hat die Frage aufgebracht und einige Antworten eingeholt. "Die Gründe dafür seien zum einen, dass Musikberichterstattung in deutschen Medien generell in den letzten Jahren zurückgegangen sei. Andererseits gebe es nun mal keine direkte Verbindung zwischen der Popularität einzelner Genres und dem journalistischen Interesse daran", so beantwortet etwa "Die Zeit" die Nachfrage. Wobei man Schlagerberichterstattung nicht zwangsläufig in erster Linie musikjournalistisch anlegen müsste. Die wirtschaftlichen Aspekte wären es sicher wert, öfter aufgegriffen zu werden.

+++ Apropos Deutschlandfunk: Man kann streiten, in welchem Umfang öffentlich-rechtliche Anstalten auf Social-Media-Plattformen vertreten sein sollten. Und auf welchen. Und wie. Und so weiter. Nachdem bereits einige Redaktionen des Deutschlandfunks sowie die Partnersender Deutschlandfunk Kultur und Deutschlandfunk Nova ihre Accounts bei X (Sie wissen schon: Ex-Twitter) inaktiv geschaltet haben, wurde Anfang Januar auch der Account des Deutschlandfunks auf Eis gelegt. Joachim Hubert kritisiert das bei tagesspiegel.de:"Ein öffentlich-rechtlicher Sender darf sich seines Auftrags und seiner Finanzierung wegen sein Publikum nicht aussuchen, er hat sich allen Publika auf allen relevanten öffentlichen Plattformen zu stellen. Umgekehrt wird doch ein Schuh draus: In der grassierenden Raserei mancher Follower zeigt sich der Wert dieses Real-News-Mediums." In der grassierenden Raserei zeigt sich der Wert? Hm. Dass die drei weinenden Lachsmileys, die ein Typ unter die Abschiedsmeldung setzt, 1075 Likes bekommen, zeigt mir eher, dass man auf X nicht mehr kommunizieren kann. Die Diskussion, ob man sich von X als Redaktion eher zurückziehen oder gerade dort bleiben sollte, sollte aber natürlich geführt werden.

Am Donnerstag schreibt Ralf Heimann das Altpapier.

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