Das Altpapier am 9. Januar 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels 3 min
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Kolumne: Das Altpapier am 9. Januar 2024 von Christian Bartels An der Hemmschwelle

Kolumne: Das Altpapier am 9. Januar 2024 – An der Hemmschwelle

... zur Gewalt gegen Medienvertreter ändert ein Berliner Gerichtsurteil wohl nichts. Die hohen Ruhegelder ehemaliger RBB-Spitzenmanager sind doch nicht sittenwidrig, lautet ein anderes.

Di 09.01.2024 12:34Uhr 02:42 min

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Kolumne: Das Altpapier am 9. Januar 2024 An der Hemmschwelle

09. Januar 2024, 09:46 Uhr

... zur Gewalt gegen Medienvertreter ändert ein Berliner Gerichtsurteil wohl nichts. Die hohen Ruhegelder ehemaliger RBB-Spitzenmanager sind doch nicht sittenwidrig, lautet ein anderes. Außerdem: jede Menge Medien-Stoff zu Bauernprotesten und Franz Beckenbauer. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Bewährung wegen Angriffs auf ein Fernsehteam

Die Zahl der gemeinsamen Nenner sinkt. Ein Nenner, den immer noch fast alle teilen, ist der Rechtsstaat (obwohl das Präfix "rechts-" sonst ja meist negativ gelesen wird). Das heißt: Gerichtsurteile und die Prozesse, die ihnen vorausgehen, spielen eine immer noch wichtigere Rolle. Am gestrigen Montag zum Beispiel.

Da hatte die Journalistengewerkschaft DJV noch am Morgen wortgewaltig "die Berliner Justiz zur lückenlosen Aufklärung des Angriffs auf ein Fernsehteam des ZDF", nämlich eines der Comedysendung "heute-show" auf einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen am 1. Mai 2020, kurz vorm Tag der Pressefreiheit (Altpapier), aufgefordert:

"'Wir waren damals schockiert und sind es noch heute', sagt DJV-Bundesvorsitzender Mika Beuster. 'Die Kolleginnen und Kollegen waren eindeutig als Medienvertreter zu erkennen. Es war ein brutaler Angriff auf das Grundrecht der Pressefreiheit.' Der DJV-Vorsitzende erinnert in dem Zusammenhang daran, dass von dem Überfall eine negative Signalwirkung an alle Gewaltbereiten ausgegangen sei: 'Die Hemmschwelle, Gewalt gegen Journalisten auszuüben, ist seitdem deutlich gesunken'."

An solchen Ansprüchen gemessen, kann kaum zufriedenstellen, was danach vorm Berliner Amtsgericht Tiergarten geschah. Zwar waren acht Verhandlungstage angesetzt gewesen. Doch wegen des Geständnisses der Angeklagten bzw., weil sich "die Prozessbeteiligten vor Verhandlungsbeginn verständigt" hatten, fiel gleich ein Urteil. Drei Männer und eine Frau wurden wegen gefährlicher Körperverletzung jeweils zu Bewährungsstrafen von zwei Jahren sowie 5.000 Euro Geldstrafe verurteilt, meldet frei online der RBB. Ob das die Hemmschwelle, Gewalt gegen Journalisten auszuüben, erhöht?

Besonders kann befremden, dass die Erzählung der Angeklagten oder ihrer Verteidigung von einer "Verwechslung" aufgegangen zu sein scheint. "Sie seien davon ausgegangen, dass die Angegriffenen der rechtsextremen Szene angehörten", heißt's im RBB-Bericht – als ob das besser machen würde (oder die Angeklagten oder ihre Verteidigung davon ausgingen, dass ein Berliner Gericht das als strafmildernd wertet). "Das macht es nicht besser!", twitterte dankenswerterweise Olaf Sundermayer.

Platz auf den vollen Pressevertreter-Bänken hatten Anna Vollmer von der "FAZ" (€) und Verena Mayer von der "SZ" gefunden. Vollmer findet die Verwechslungs-Erzählung nicht so überzeugend:

"Das Fernsehteam hatte eine Kamera dabei, einer von ihnen, der Kabarettist Abdelkarim, einen Migrationshintergrund. Ist die Begründung einer Verwechslung mit Nazis wirklich glaubhaft? 'Ich kann es nicht widerlegen', sagt die Vorsitzende Richterin, 'aber es würde mich wirklich interessieren.' Einen derart geplanten Angriff ... habe sie in ihrer 30-jährigen Karriere selten erlebt und wenn, dann nur von der 'Gegenseite', von Rechtsextremisten. Sie fügt hinzu: 'Es entsetzt mich persönlich.' Keiner der Angeklagten, sagt der Nebenkläger, habe nach der Tat versucht, Kontakt aufzunehmen oder sich zu entschuldigen ..."

Die Überschrift des "SZ"-Artikels (€), "Sie haben mich wie einen Fußball getreten", ist die Aussage eines der mitattackierten "Security-Leute". Von "einem der gravierendsten Übergriffe auf Journalisten in Deutschland in den vergangenen Jahren", schreibt Mayer dort. Die Angeklagten hätten "mit FFP2-Masken auf der Anklagebank" gesessen und allein ihre Verteidiger sprechen lassen. Da stellen sich nach dem Urteil noch deutlich mehr Fragen stellen als davor. Insofern handelt es sich offenkundig um keine rechtsstaatliche Glanzleistung.

Ruhegeld, Böhmermann, Google-Suchen

Noch ein Berliner Urteil fiel gestern, nun ein arbeitsgerichtliches. Das betrifft den RBB selbst – und sozusagen alle, die Rundfunkbeitrag zahlen. Es ging erneut um die Frage, ob Arbeitsverträge, in denen sich Führungskräfte besonders hohe "Ruhegelder" zusichern ließen, sittenwidrig sind. In einigen Fällen ergingen Urteile, dass dem so sei (Altpapier). Gestern aber erhielt der ehemalige Produktions- und Betriebsdirektor Christoph Augenstein, "einer der letzten aus der alten Geschäftsführung, der gehen musste", Recht – zumindest teilweise. Das melden mmm.verdi.de und "epd medien". Zwar nicht 455.000 Euro Schadensersatz, doch monatlich rund 8.900 Euro Ruhegeld bis zum Beginn der eigentlichen Rente im Jahr 2030 müsse der RBB zahlen, lautet dieses Urteil. Die Rechtslage ist kompliziert. "Selbst wenn die umstrittene Ruhestandsvereinbarung einen Sittenverstoß darstellen sollte, schlüge das nicht auf das Arbeitsverhältnis als Ganzes durch", heißt's etwa in der epd-Meldung. Wie in anderen Fällen, rechnen aber sowieso alle damit, dass die Gegenseite in Berufung geht und das eigentliche Urteil in höheren Instanzen fällt.

Es wird also dauern bis zur Klärung dieser Frage, die über den RBB hinaus wichtig ist. Schließlich gibt es in den vielen öffentlich-rechtlichen Anstalten sehr vielen Managementebenen, auf denen sehr gut verdient wird. Und Transparenz darüber, wie gut genau, wurde lange Zeit sehr klein geschrieben.

Noch'n spannendes Gerichtsurteil mit öffentlich-rechtlichem Zusammenhang, nun aber mit Prominenz-Glamour und Kuriositäts-Bonus (Honig!) wird am 16. Januar erwartet. Dann soll der ZDF-Investigativkomödiant Jan Böhmermann vor dem Dresdner Landgericht erscheinen. "Warum Böhmermann gegen einen sächsischen Imker nur verlieren kann", schreibt schon mal die "Welt" (€). Wobei Celebrities aus Böhmermanns Liga ja höchstens bei denen verlieren, die sie sowieso nicht schätzen, was wiederum dazugehört, die eigenen Communities zu bespaßen.

Statt solchen aufmerksamkeitsökonomischen Pipifax interessanter ist die Frage, ob in den USA rechtsstaatliche Standards durch das untergraben werden, was netzpolitik.org "digitale Rasterfahndungen" nennt. Schon, weil ähnliche Frage schon wegen der globalen, vom selben Konzern aufgebauten Infrastrukturen auch nach Europa wirken. "Die Praxis von US-Behörden, bei Google liegende Suchdaten zur Aufklärung von Kriminalfällen zu nutzen", soll nun höchstgerichtlich im Bundesstaat Pennsylvania geklärt werden, berichtet Zeynep Yirmibesoglu mit weiterführenden Links. Diese Praxis bedeutet, dass, wer das Falsche gegoogelt hat, der Polizei als verdächtig gemeldet werden kann. Was das Abwägen schwieriger macht: dass im Fall einer Vergewaltigung im Jahr 2016, um den es konkret geht, auf diese Weise "ein kriminalistischer Erfolg" erzielt wurde.

Bauernproteste, Beckenbauer

Top-Thema aller Medien sind die Bauernproteste (oder wären es gewesen, wäre dann nicht Franz Beckenbauers Tod bekannt geworden). Jede Menge Medieninhalte sämtlicher Art zirkulieren. Es gibt Feuilletons über in Vorgärten aufgestellte Galgen und Kommentare über, also gegen "Verwöhnte Bauern" (in der "FAZ" jeweils). An hauptstadtjournalistischen Einschätzungen zu den Verdiensten von Landwirten mangelt es auch nicht. Dabei wird in der Landwirtschaft sicher unterschiedlicher gearbeitet, gedacht und verdient als im Hauptstadtjournalismus. Viral gingen etwa die neueste Habeck-Video-Rede und ein 11-sekündiger Ausschnitt aus einem SWR-Kommentar, der mit der schwierigen Kategorie der "Staatsfeindlichkeit" argumentiert, sowie Fotos der "radikalsten Plakate" ("immer wieder bleiben Teilnehmer der Demo davor stehen & fotografieren sie").

"Bedroht und beschimpft" wurden Reporter und Techniker des RBB ("Tagesspiegel"/ epd). "Ich war fassungslos darüber, dass Interviews unehrlich geschnitten und Aussagen verdreht dargestellt wurden. Die schlechtesten Erfahrungen musste ich mit den öffentlich-rechtlichen Medien machen" zitiert cicero.de einen Brandenburger Landwirt.

Aufmerksamkeit verdienen jedenfalls die folgenden beiden Beiträge. Im Deutschlandfunk (Audio) argumentiert Ann-Kathrin Büüsker (vom Deutschlandfunk), dass "viele Redaktionen ein Defizit haben", Heterogenität der Landwirtschaft abzubilden. Und auf Mastodon postete "Riffreporter" Christian Schwägerl:

"Jenseits aller Sachfragen eine echte 'Glanznummer' der #Ampelkoalition, sich durch eine Holterdipolter-Kürzung mit einer der lobbystärksten Berufsgruppen ausgerechnet dann anzulegen, wenn deren Mitglieder am meisten Zeit haben, nur um beim Zurückrudern quasi mit dem Allerwertesten dann einen der wichtigsten Fortschritte für den Naturschutz (verlässliche Gelder für den Meeresschutz) abzuräumen und sich ideell zu blamieren. Politik ist eben auch Handwerk. An diesen Fertigkeiten fehlt es massiv."

Wobei, da geht es ja wieder mehr um Politik an sich als um Medien.

Immerhin hatte die ARD einen um Differenzierung bemühten "Brennpunkt" im Programm – und musste zum Tod des wohl besten deutschen Fußballers zumindest des vorigen Jahrtausends keinen konkurrierenden Nachruf zur besten Sendezeit programmieren. Den 90-minütigen Dokumentarfilm "Beckenbauer – Legende des deutschen Fußballs" hatte sie sowieso programmiert. "Fast wirkt das schon wie ein Nachruf", endet Markus Ehrenbergs (gestern Morgen, also vor Bekanntwerden der Todesnachricht veröffentlichte) Besprechung im "Tagesspiegel". Hier geht es zum, von der Emotionalisierungsmusik mal abgesehen, sehenswerten Film.


Altpapierkorb (Kant-Verwechslung, Arte-"Schmarrn", Elon Musks Privatleben, Kai Wegners Privatleben)

+++ Noch 'ne Verwechslung, immerhin keine gewalttätige: "Das ist nicht Kant", titelt die "SZ"-Medienseite (€) zu gleich zwei Zeitschriften-Titelbildern, darunter dem aktuellen des (mit seinem Internetauftritt) schon erwähnten "Cicero": "Bildverwechselungen auf Covern gehören zweifellos zu den elementaren Verletzungen journalistischer Sorgfaltspflicht. Aber zugleich ist die Verwechselung ein bewährtes Requisit der Komödie, und ein kleiner Schuss Heiterkeit ..." durchzieht dann auch Lothar Müllers Text. +++

+++ "Warum zeigt der Kulturkanal einen solchen Schmarrn?" fragt Heike Hupertz auf der "FAZ"-Medienseite (€) zur Arte-Doku bzw. zu dem ab dem Mittwoch verfügbaren "französischen Arte-Mediathekenbeitrag" "Kim Kardashian Theory". +++

+++ "Der Blick auf sein", Elon Musks "Privatleben" und seinen eventuellen Drogenkonsum "versperrt den Blick darauf, dass er machtgeil ist und Verschwörungserzählungen verbreitet", schreibt die "taz" zu Berichten darüber. Übrigens äußerte Musk auch zwei bzw. drei kurze Worte zu den deutschen Bauernprotesten (vgl. 17.11 Uhr gestern in diesem "Welt"-Ticker). +++

+++ "Warum er einen Medienanwalt eingeschaltet hat, bleibt sein Geheimnis", kommentiert dann noch der schon wiederholt erwähnte DJV zum Privatleben des derzeitigen Berliner Regierenden Bürgermeisters. +++

Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch Klaus Raab.

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