Das Altpapier am 2. Februar 2024: Porträt des Altpapier-Autoren René Martens 4 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
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Die Akteure des Protests gegen Rechtsextremismus müssten im Lokaljournalismus sichtbar werden, sagt die Politikchefin der "Sächsischen Zeitung".

Fr 02.02.2024 15:00Uhr 04:11 min

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Kolumne: Das Altpapier am 2. Februar 2024 Am Mittwoch geschah im RBB ein Wunder

02. Februar 2024, 12:46 Uhr

Die Akteure des Protests gegen Rechtsextremismus müssten im Lokaljournalismus sichtbar werden, sagt die Politikchefin der "Sächsischen Zeitung". Der Kulturjournalismus habe "im entfesselten Kapitalismus" keine Perspektive mehr, schreibt der Kulturjournalist Johannes Franzen in einem Essay. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Partei-PR als Ersatz für Journalismus

Am Donnerstagabend waren im ARD-Politikmagazin "Kontraste" Bilder zu sehen, die die AfD ursprünglich verhindern wollte. In der dieses Mal monothematischen Sendung unter dem Titel "Wie gefährdet ist unsere Demokratie?" kamen auch Szenen eines "Bürgerdialogs" der sachsen-anhaltinischen AfD-Landtagsfraktion vor, zu dem sich die "Kontraste"-Leute mit rechtlichen Mitteln Zutritt verschaffen mussten. Ralf Heimann hatte dies an dieser Stelle vor rund einer Woche ausführlich beschrieben.

Der Versuch, die Berichterstattung zu unterbinden, ist auch im "Kontraste"-Beitrag selbst noch einmal ein Thema:

"Am liebsten möchte man offensichtlich ganz ohne journalistische Einordnung in die Köpfe der Menschen",

sagen die Autoren.

Zu sehen ist gleich darauf, wie der sachsen-anhaltische AfD-Fraktionschef Ulrich Siegmund, Teilnehmer des von Correctiv enthüllten Treffens in Potsdam, auf dem Podium des "Bürgerdialogs" ein Smartphone hochhält und sagt:

"Die jüngere Generation, die schaut keine 'Tagesschau', die schaut das Ding hier. (Diese Handys) geben uns die Möglichkeit, unsere Politik ungefiltert, transparent in die Haushalte zu bringen."

Damit beschreibt er einen wichtigen Teil der Wirklichkeitskonstruktionsstrategie der AfD (siehe auch Altpapier von Donnerstag). Zu dieser Strategie sagt Johannes Hillje in der Februar-Ausgabe der "Blätter für deutsche und internationale Politik":

"Die AfD (folgt) einem Verständnis von Partei-PR, in dem ihre Digitalkommunikation nicht als funktionale Ergänzung neben, sondern als Ersatz für Journalismus steht (…) Die AfD sprengt die für eine Demokratie notwendige Rollenaufteilung zwischen Partei-PR und Journalismus, will Themen selbst 'journalistisch sauber für die Öffentlichkeit aufbereiten’ und generiert somit dafür die Nachfrage durch die Diffamierung der unabhängigen Presse als 'Regierungspapageien'."

Ähnliches hatte er am Wochenende im "Europamagazin" der ARD gesagt (siehe Altpapier von Montag).

In dem "Blätter"-Beitrag geht es vor allem um den zahlenmäßigen "Vorsprung" der AfD gegenüber anderen Parteien in sozialen Medien:

"Auf TikTok wurde jedes Video der AfD-Bundestagsfraktion in den Jahren 2022 und 2023 im Durchschnitt 435 394 Mal aufgerufen. Zum Vergleich: Die CDU/CSU-Fraktion, die für diesen Zeitraum den zweitbesten Wert erzielt, kommt auf durchschnittlich 90 583 Aufrufe pro Clip (…) Das erfolgreichste TikTok-Video der AfD erreichte 6,6 Mio. Aufrufe."

Wie sind diese Zahlen zu erklären? Unter anderem damit:

"Bei der Bundestagswahl 2021 kam (die AfD) bei einem Gesamtergebnis von 10,3 Prozent unter Erstwählenden nur auf 6 Prozent. Seitdem wurden auf Bundes- und Landesebene die TikTok-Aktivitäten deutlich ausgebaut, was mutmaßlich zu den besseren Ergebnissen unter Jungwählenden bei den Landtagswahlen 2023 beigetragen hat."

Um noch einmal zurückzukommen auf den "Kontraste"-Beitrag: Dort erfährt man unter anderem auch, dass der beim Potsdamer Rechtsextremisten-Treffen anwesende Ulrich Siegmund bei TikTok "mehr als 350.000 Follower" hat.

Die erste Sondersendung zu den Demos gegen Rechtsextremismus

Unter dem Titel "Normalisieren oder ...? Strategien für Medienschaffende im Umgang mit der AfD im Landtagswahljahr 2024" stand eine Veranstaltung des DJV Sachsen, über die @mediasres am Donnerstag berichtete.

Annette Binninger, stellvertretende Chefredakteurin und Politikressortchefin der "Sächsischen Zeitung", sagte dort:

"Wie viele Kommentare sind bei uns geschrieben worden: Wo ist denn die Zivilgesellschaft und so was."

Jetzt, wo die Zivilgesellschaft "da" sei, müssten die Akteure vor Ort auch "sichtbar" gemacht werden. Man müsse deutlich machen: "Ihr seid nicht alleine."

Dies wäre auch die Aufgabe der regionalen Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der RBB hat dies am Mittwochabend um 20.15 Uhr beherzigt - und die "Mutbürger" gewürdigt, die am vergangenen Wochenende "in Frankfurt/Oder, in Finsterwalde, in Eichwalde, Strausberg, in Brandenburg an der Havel, in Ribbeck oder in Kyritz" demonstriert haben.

Diese Reportage scheint die erste öffentlich-rechtliche Sondersendung zu der historischen Protestwellen gegen Rechtsextremismus zu sein. Was es bisher jedenfalls nicht gab: "Brennpunkt"-Sendungen zum Thema (siehe die Diskussion bei einem Facebook-Post zu meinem Altpapier von Montag). Auch kein "ARD extra", kein "ZDF Spezial", kein "WDR extra", kein "Hessenschau extra".

Mit anderen Worten: Am Mittwoch ist beim RBB ein Wunder geschehen.

Der MDR sollte Einsparpläne "mit Beitragszahlern diskutieren"

Nach dem instruktiven Interview, das @mediasres mit dem Juristen Tobias Mast darüber geführt hat, was dem MDR droht, wenn Björn Höcke Ministerpräsident werden würde (Altpapier von Donnerstag), hat das DLF-Medienmagazin gestern nun mit André Blechschmidt, dem medienpolitischen Sprecher der Fraktion der Linken im thüringischen Landtag, über dieses Thema gesprochen.

Zu dem Aspekt, wann eine Kündigung des MDR-Staatsvertrags wirksam wird, sagt Blechschmidt:

"Ich glaube, er läuft dann (…) noch zwei Jahre weiter."

Was heißt hier "glauben"? Das steht im Staatsvertrag in Paragraph 42 (Altpapier), das sollte ein medienpolitischer Sprecher wissen. Generell macht Blechschmidt hier einen etwas schlafmützigen Eindruck, was Interviewer Sebastian Wellendorf offensichtlich irritierend findet. Seine abschließende Einschätzung zu dem von Blechschmidt Gesagten lautet:

"Hm."

Welche aktuellen Themen stehen in der journalistischen Beschäftigung mit dem MDR auf der Tagesordnung? Die "Mitteldeutsche Zeitung" (MZ) macht heute auf mit einem Bericht über Planungen, das Programm mehrerer Radiowellen ab 20 bzw. 21 Uhr von anderen ARD-Anstalten produzieren zu lassen.

"Das geht aus einer der MZ vorliegenden Präsentation von MDR-Intendant Ralf Ludwig hervor. Betroffen sind die Popwelle Jump, das Inforadio MDR aktuell, MDR Kultur und MDR Klassik",

schreibt die Zeitung. Lars Radau, Geschäftsführer des heute schon erwähnten DJV Sachsen, wird dazu mit folgenden Worten zitiert:

"Offensichtlich will sich der MDR auf Quotenbringer konzentrieren. Ich habe Zweifel, ob das die richtige Entscheidung ist."

Hagen Eichler kommentiert in der MZ:

"Eines ist sicher: Die Kürzungen beim Radio sind nur der Anfang. Wieviel der MDR mit diesem Schritt einspart und für andere Projekte freisetzt, behält die öffentlich-rechtliche Anstalt für sich. Im Verhältnis zur gewaltigen Finanzlücke dürfte es sich nur um vergleichsweise kleine Summen handeln. In den kommenden Monaten sind daher weitere Kürzungen zu erwarten, und zwar solche mit weitaus größeren Auswirkungen. Der MDR ist gut beraten, seine Pläne öffentlich vorzustellen und mit den Beitragszahlern zu diskutieren."

Letzteres gilt natürlich für alle größeren Reformen oder reformähnlichen Entscheidungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der Dokumentarfilmer Thorolf Lipp hatte - anlässlich des seit kurzem vorliegenden Berichts des Zukunftsrats - am Dienstag in einem Beitrag für die Deutsche Akademie für Fernsehen (DAFF) gefordert:

"Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass eine Systemreform nicht glaubhaft möglich sein wird, ohne die betroffenen Medienschaffenden und die Bürger*innen in den Prozess mit einzubeziehen. Dieses Vorhaben scheint uns jetzt dringender geboten denn je, um viele letztlich unbeantwortet gebliebene Detailfragen des vom Zukunftsrat vorgeschlagenen Reformprozesses intensiv zu diskutieren, weiterzuentwickeln und nicht zuletzt demokratisch zu legitimieren. So ein Beteiligungsverfahren ist komplex, dauert seine Zeit und ist auch nicht umsonst zu haben. Wir sind aber davon überzeugt, dass es nur so gelingen kann, zu wirklich nachhaltigen Reformen zu kommen die auf längere Sicht tragfähige Perspektiven eröffnen.

Wenn Medienunternehmer Teil des "inkompetenten Geldadels" sind

Den Untergang der "kulturellen Praxis des professionellen Schreibens über Kunst und Kultur" beschreibt Johannes Franzen in einem Essay für "54 books". Anlass für den Text ist das Ende des Musikmagazins "Pitchfork", wie wir es kannten (Altpapier, Altpapier). Franzen schreibt:

"Der Untergang dieser Plattform erscheint nun in der Art, wie er betrieben wurde, wie eine regelrechte Demütigung für die Institution des Kulturjournalismus (…) Das Ganze (…) wirkt wie eine moderne Parodie auf die kapitalistische Feudalgesellschaft, in der ein inkompetenter Geldadel mit einem Fingerstreich das Leben zahlreicher Menschen ruinieren kann".

Während in medienjournalistischen Artikeln über "Umstrukturierungen" o.ä. in der Medienbranche in der Regel nicht einmal der Hauch einer kapitalismuskritischen Perspektive auszumachen ist, gibt der Kulturjournalist Franzen diesbezüglich Butter bei die Fische:

"Kulturjournalismus ist ein Luxus, den sich die Gesellschaft nicht mehr leisten möchte. Dahinter steht die meritokratische Ideologie, die im entfesselten Kapitalismus der Gegenwart einen quasi religiösen Status angenommen hat. Die Medien der Geistesarbeit haben es demnach nicht geschafft, in der ökonomischen Arena zu bestehen, und gehen deswegen zu Recht unter. Diese Perspektive verschleiert, dass es sich um konkrete Entscheidungen von Wirtschaftsunternehmen handelt, die einem gesellschaftlichen Trend folgen."

Franzens Fazit:

"Der Niedergang des Schreibens über Kunst und Kultur steht auch im Zeichen einer zeitpolitischen Ideologie, die jede Minute jedes Tages in ein Produktivitätsdenken pressen möchte."

Die Allgemeingültigkeit des Textes lobt Bernhard Neuhoff, Redaktionsleiter des Programms BR-Klassik, bei Threads:

"Sehr lesenswert - auch für die Klassik-Bubble (auf die hier nicht explizit eingegangen wird, aber fast alles ist übertragbar)."

Übertragbar ist auch der Begriff "inkompetenter Geldadel". Der ist nämlich eine gute Beschreibung für viele Medienunternehmer, die in den vergangenen Jahren irgendwas eingespart oder eingestellt haben.


Altpapierkorb (Gendern in der NZZ seit 1784, Bert-Donnepp-Preisverleihung, US-Senatsanhörung zu Darstellungen sexualisierter Gewalt in sozialen Medien, Studie zu Wirtschafts-Podcasts)

+++ Ein rechter Blogger ist gerade vom Glauben abgefallen, weil die von ihm sonst möglicherweise geschätzte NZZ den Begriff "Kandidierende" verwendet hat. Das zeige, "wie weit sich der Gender-Unsinn bereits in die Köpfe vieler Menschen gefressen hat". Bei "Übermedien" nimmt Stefan Niggemeier den Aufschrei des Geplagten zum Anlass, auf Folgendes hinzuweisen: "Mindestens seit Mitte der 1990er-Jahre benutzt die NZZ das Wort 'Kandidierende' als Synonym für 'Kandidatinnen und. Kandidaten' (beziehungsweise als Synonym für "Kandidaten", wenn man darunter im Sinne des generischen Maskulinums Männer und Frauen versteht)." Und der Begriff "Studierende" findet sich in der NZZ sogar schon in einem Artikel von 1784.

+++ Am Mittwoch fand in Marl die Bert-Donnepp-Preisverleihung statt, und ich hatte die ehrenvolle Herkulesaufgabe, die Laudatio für Nadia Zaboura und Nils Minkmar zu halten, die für ihren Medienpodcast "quoted" bepreist wurden. "'quoted’ (kann) sowohl für Journalist*innen sehr instruktiv sein - als auch für Leute, die überhaupt nichts mit Medien zu tun haben, aber sich (…) dann für Medienkritik interessieren, wenn sie gesellschaftlich debattenrelevant ist."

+++ Über eine Anhörung verschiedener Social-Media-CEOs im US-Senat berichtet die taz: "In der Anhörung ging es vor allem um sexualisierte Gewalt an Kindern sowie deren Darstellung auf den Plattformen, etwa durch Videos oder Fotos der Taten." Siehe auch "Guardian".

+++ In einer Studie für die Otto-Brenner-Stiftung haben Janine Greyer-Stock und Julia Lück-Benz Wirtschafts-Podcasts untersucht, die entweder in der ARD-Audiothek oder bei Spotify in der Hauptkategorie Business & Technologie zu finden sind. Die Autorinnen stellen fest: "Während in der ARD-Audiothek alle Podcasts ausnahmslos von öffentlich-rechtlichen Radiosendern produziert werden (in lediglich zwei Fällen mit externen Partner:innen), werden die Spotify-Business-Podcasts zu fast 60 Prozent von Unternehmen publiziert." Eine Anregung haben Greyer-Stock und Lück-Benz auch parat: "Gerade vor dem Hintergrund der großen Relevanz von Wirtschaftsthemen für unsere Gesellschaft können Podcasts ein großes Portfolio an Themen mit gestalterischer Vielfalt bieten. Ihr großes Potenzial vor allem in Bezug darauf, junge Zielgruppen zu erreichen, ist vor allem auf Seiten journalistischer Akteur:innen noch nicht ausgeschöpft."

Das Altpapier am Montag schreibt Christian Bartels. Wir wünschen ein erholsames Wochenende!

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