Das Altpapier am 1. Februar 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Ralf Heimann 4 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
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Die AfD verbreitet ihre eigene Geschichte der Wirklichkeit. Das ist durchschaubar, erfolgreich. Und es zeigt, wie wichtig unabhängige Medien sind.

Do 01.02.2024 14:40Uhr 03:55 min

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Kolumne: Das Altpapier am 1. Februar 2024 In der Bullshit-Schleife

01. Februar 2024, 12:31 Uhr

Die AfD verbreitet ihre eigene Geschichte der Wirklichkeit. Das ist durchschaubar, erfolgreich. Und es zeigt, wie wichtig unabhängige Medien sind. Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier Autoren Ralf Heimann
Bildrechte: MDR MEDIEN360G

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Der umgedrehte Spieß

Alice Weidel hat gestern im Bundestag knapp zwölf Minuten lang alles aufgeboten, was rechte Propaganda so zu bieten hat. In ihrer Rede behauptet sie, Medien würden die "wahren Belange und Probleme der Bürger" unterschlagen. Sie stellt ihre Partei als Opfer von Diffamierungen dar. Sie entwirft das Feindbild der Bundesregierung, die dieses Land hasse. Sie bedient die Angst vor dem Verlust der Heimat. Sie verbreitet die Verschwörungstheorie, das Recherchezentrum "Correctiv" habe im Auftrag der Regierung gehandelt, um die Opposition zu diskreditieren. Sie spricht im Zusammenhang mit der Recherche über das Treffen in Potsdam von "unglaublichen Lügen, Verleumdung und übelster Nachrede", von "steuerfinanzierter Denunziation gegen eine Konkurrenzpartei". Es ist eine Wahnsinnsgeschichte.

Ulrich Deppendorf, der frühere Leiter und Chefredakteur des ARD-Hauptstadtstudios in Berlin, schrieb kurz darauf bei X:

"Diese Rede von AfD-Frontfrau Alice Weidel war das Hasserfüllteste was ich in meiner Karriere als Journalist je im Deutschen Bundestag gehört habe. Das war Hetze ohne Unterlass. Eine Schande! Diese Rechtsextremen dürfen nirgendwo einen Regierungschef stellen!"

RTL-Politikchef Nikolaus Blome kommentierte:

"Die Menge an politisiertem Hass, die in eine einzige Bundestagsrede passt, wird künftig in #Weidel gemessen werden."

Wenn man sich auch vieles von dem, was Alice Weidel so ausspeit, gar nicht merken kann, es lässt sich doch einfach mit Hass und Empörung zusammenfassen. Und das an einem Tag, an dem das Recherchenetzwerk von WDR, NDR und SZ aufgedeckt hat, dass die AfD in der Sache mit dem braunen Treffen in Potsdam wohl noch tiefer steckte, als bislang bekannt war.

Einer der Redner war laut dem Bericht direkt aus Weidels Budget bezahlt worden. Das wäre der eigentliche Grund gewesen, sich zu empören.

Die AfD hat sich allerdings für die Strategie entschieden, inhaltlich auf Vorwürfe gar nicht einzugehen, sondern es einfach so zu machen wie Donald Trump, der einfach alles als "Hexenjagd" abtut. Weidel webte die Enthüllungen ein in ihre bewährte Opfergeschichte.

Im Bundestag sprach sie von der "Hilfsstasi Correctiv". AfD-Co-Sprecher Tino Chrupalla verbreitete in seiner Rede (Minute fünf) ebenfalls die Verschwörungserzählung, die Bundesregierung habe "Correctiv" den Auftrag zur Recherche gegeben.

Eine völlig andere Geschichte

Kira Kramer hat die "Methode Putin" auf der FAZ-Medienseite in einer 14.000 Zeichen langen Analyse seziert. Sie schreibt:

"Was die Führungsriege der AfD gerade veranstaltet, könnte ein Lehrstück in Sachen Skandalumkehr sein, hätte es den Effekt, dass die Angesprochenen am Ende klüger sind. Nur ist ihre Desinformationsstrategie extrem erfolgreich."

Dabei gehe es nicht "um einzeln gestreute Desinformationen", sondern um "orchestrierte Propaganda, die nicht auf Wahrheit oder die Abbildung der Wirklichkeit zielt, sondern auf Empörung, Wut und Angst".

Und an dieser Stelle muss man es kurz sagen: Wenn Friedrich Merz der Bundesregierung vorwirft, "Wahlrecht zu manipulieren", sie beschuldigt, "der Demokratie unseres Landes schweren Schaden" zuzufügen, dann ist das eine ähnliche Methode. Es befeuert Empörung, stimmt aber nicht.

Merz verwendet hier populistische Werkzeuge. Die Parteienrechtlerin Sophie Schönberger hält das laut "Spiegel" für "brandgefährlich für die Demokratie". In anderen Worten: Auch in der politischen Kommunikation wäre eine Brandmauer sehr sinnvoll.

Die AfD ist allerdings längst einige Schritte weiter. Sie erzähle "eine völlig andere Geschichte der Geschehnisse in Deutschland", schreibt Kira Kramer.

Die Desinformationsgranaten schlagen interessanterweise auf beiden Seiten emotional ein. Auf der einen, weil sie ein ohnehin schon vorhandenes Gefühl befeuern, das die AfD auf die Formel bringt: Die Bundesregierung hasst dieses Land.

Auf der anderen, weil die Partei auf ziemlich schamlose Art und Weise eine Strategie übernimmt, die man bei Donald Trump anfangs für die Folge einer psychischen Störung hielt. Sie verabschiedet sich von dem Fundament einer gemeinsamen Wirklichkeit, auf dem falsche Behauptungen sich mithilfe von Fakten korrigieren lassen. Das neue Prinzip lautet: Wahrheit ist lediglich ein Gefühl.

Das funktioniert vor allem da ganz hervorragend, wo Menschen mit der erlebbaren Wirklichkeit nicht konfrontiert sind.

Andreas Ross schreibt in einem FAZ-Titelseiten-Kommentar, dass in vielen Teilen der USA Menschen immer noch darauf beharrten, dass Donald Trump die Wahl vor vier Jahren gewonnen habe, das liege "auch daran, dass kaum einer persönlich einen Biden-Wähler kennt". Ross nimmt das als Argument dafür, dass Deutschland vor solchen "amerikanischen Verhältnissen", geschützt sei, denn so eine "Stadt-Land-Kluft" gebe es hier nicht.

Die Tendenz aber gibt es schon. Die Sphären sind so deutlich voneinander getrennt – das arbeitet die ARD-Doku "Wir waren in der AfD" sehr gut heraus –, dass eine Geschichte wie die von der schweigenden Mehrheit, die sich gegen eine regierende Minderheit wehrt, sehr gut gedeihen kann.

Desinformationsschleifen

Wenn Wahrnehmung und Wirklichkeit sich zu weit voneinander entfernen, entstehen kognitive Dissonanzen, also große Fragezeichen, die das Gehirn dankbar mit einer korrigierenden Erzählung wegradiert, wenn so eine Erzählung gerade zur Hand ist. Laut der Extremismusforscherin Julia Ebner, die in Kira Kramers Analyse zu Wort kommt, haben in die Proteste der vergangenen Wochen so eine Dissonanz verursacht. Die korrigierende Erzählung war laut Ebner die Umkehrung des Skandals.

Mit Faktenchecks kommt man da gar nicht hinterher. Sie laufen aus den genannten Gründen auch zuverlässig ins Leere. So entstehe eine "Desinformationsschleife", sagt Ebner. Die Menschen würden anfälliger für weitere Desinformationen, bis hin zu Verschwörungserzählungen.

Es geht also darum, die lästige Wirklichkeit möglichst auszublenden – und da, wo sie ins Bild läuft, zu vermitteln: Das ist alles nur ein Film. Das Schlagwort ist das Konzept der Gegenöffentlichkeit, das die Neue Rechte  für ihre Zwecke angepasst habe, sagt der Politikberater Johannes Hillje in Kira Kramers Analyse. Die Voraussetzung sei – das kennen wir schon – die Delegitimierung der Medien.

Wenn es gelungen ist, die Überzeugung zu verfestigen, dass Medien lügen, dann können sie noch so gut recherchieren und noch so überzeugende Argumente liefern,  die Menschen glauben es nicht mehr.

"Es geht nicht mehr darum, was gesagt wird oder welches das stichhaltigere Argument ist, sondern wer etwas sagt. Ob sich die Aussage belegen lässt, ist egal. Um Wahrheit geht es nicht mehr",

schreibt Kira Kramer. Alice Weidel habe in einem Interview gesagt, Ziel sei es, "dass die Deutschen irgendwann AfD und nicht ARD schauen", schreibt Kramer. Und hier kommt der Trump-Berater Steve Bannon ins Spiel, der die Propagandastrategie schon vor Jahren mit der zur Redewendung gewordenen Formulierung "flood the zone with shit" beschrieben hatte – man überschwemmt alles mit so viel Mist, dass niemand mehr sagen kann, was davon noch richtig ist.

Auch das führt Kramer zurück zum Ursprung, der in diesem Fall ein Aufsatz des Philosophen Harry G. Frankfurt ist, der im Jahr 1986 in seinem Essay "On Bullshit" den Unterschied zwischen einem "Lügner" und einem "Bullshiter" erklärt hatte. Mit einem Lügner könne man sich immerhin noch darauf einigen, dasselbe Spiel zu spielen, schreibt Kramer. Während der eine die Autorität der Wahrheit annimmt, weise der andere diese zurück.

Kramer führt das noch weiter zum "Firehosing", dem "Spritzen mit dem Feuerwehrschlauch", einer in Moskau beliebten Variation. Dinge ohne Bezug zur Realität werden auch verschiedenen Kanälen ständig wiederholt. Das ist die "Methode Putin".

Was würde aus dem MDR?

Vor diesem Hintergrund fügt sich der Kampf der AfD gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sehr gut in das Gesamtbild.

Martin Krebbers hat für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres" mit Tobias Mast gesprochen, dem Forschungsleiter am Leibniz-Institut für Medienforschung, der einer der beiden Autoren eines Beitrags im Verfassungsblog ist, mit dem René Martens sich hier am Montag schon beschäftigt hat (sozusagen ein mast read). Es geht um die Frage, ob ein Ministerpräsident Björn Höcke dem MDR und damit wohl auch uns einfach den Saft abdrehen könnte.

Vorläufiges Ergebnis: Höcke oder ein anderer AfD-Ministerpräsident könnte ohne Beteiligung des Parlaments den Staatsvertrag zum Jahresende kündigen. Der würde dann allerdings noch zwei Jahre weiterlaufen. Und das würde bedeuten?

"Der MDR wäre nicht mehr offizielles Zielgebiet. Er würde Thüringen nicht mehr anvisieren, würde aus Thüringen auch keine Gelder mehr erhalten. Und das Personal, das quasi aus Thüringen entsendet würde, wäre eigentlich auch dann zu kündigen",

sagt Tobias Mast. Das wäre seiner Einschätzung nach aber nicht der letzte Schritt. Ein AfD-Ministerpräsident würde laut Mast wahrscheinlich auch den Medienstaatsvertrag aufkündigen, der mit dem Rundfunkbeitrags- und Rundfunksfinanzierungsstaatsvertrag gekoppelt ist. Der ZDF-Staatsvertrag und der Deutschlandfunk-Staatsvertrag könnten ebenfalls einen Vertragspartner verlieren. Dann müssten, so Mast, die Gremien neu besetzt werden, die Finanzierung müsste neu geregelt werden.

Ein AfD-Ministerpräsident werde die deutsche Medienordnung "auf jeden Fall fundamental" verändern, sagt Mast. Und dann bliebe noch die Frage, wie es weitergeht.

So richtig in die Karten schauen lasse sich die AfD sich nicht, sagt Mast. Aber laut Parteiprogramm solle wohl etwas Neues kommen. "Man kann sich das so vorstellen, dass da wohl ein etwas der AfD-Position näherstehendes Rundfunkorgan geschaffen werden soll", sagt Mast.

Es sei allerdings unwahrscheinlich, dass dieser Rundfunk den Voraussetzungen genügen würde, die das Bundesverfassungsgericht stellt. Er könnte irgendwann als verfassungswidrig erklärt werden. Aber das werde dauern. "Und bis dahin könnte dieser Rundfunk auf jeden Fall sein Unheil treiben", so Mast. Ein anderes mögliches Szenario sei, dass private Sender die dann entstehende Lücke ausfüllen.

Was man jetzt machen könnte, hatte René Martens schon zitiert: in die Landesverfassung schreiben, dass der Landtag zustimmen muss, wenn Staatsverträge gekündigt werden. Mit einer einfachen Mehrheit könnte die AfD aus dem Staatsvertrag dann nicht mehr heraus, mit einer absoluten Mehrheit schon. Aber dann gäbe es wenigstens eine öffentlichkeitswirksame Debatte, sagt Mast.

Die AfD würde in so einer Debatte möglicherweise behaupten, dass der Staatsvertrag Hautkrebs verursacht oder der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine Zeitmaschine entwickelt, um in die Vergangenheit zu reisen und alle deutschen Pässe in Regenbogenfarben einzufärben. Gerade zur Sicherheit noch mal gegoogelt, ob das noch als Witz durchgeht oder irgendwo schon gemeldet wurde. So weit scheint es aber noch nicht zu sein. Nun gut, die Landtagswahl in Thüringen ist ja auch erst Anfang September.


Altpapierkorb (Klimek-Tagebücher, Iran, Fußball-Rechte, Taylor Swift)

+++ Der Fotograf Manfred Klimek hat in der "Welt" über den Glaubwürdigkeitsverlust von Medien geschrieben. Fun Fact: Eine skurrile Geschichte handelt vom früheren "Stern"-Redakteur Claus Lutterbeck, der nun allerdings sagt, er habe nicht, wie behauptet, mit Klimek zusammengearbeitet. Er kenne ihn nicht mal, berichtet Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite. Klimek bleibt laut Hanfeld bei seiner Geschichte und sagt, er würde notfalls auch vor Gericht gehen. Die "Welt" hat den Text trotzdem vorsichtshalber erst mal gelöscht.

+++ Der in Deutschland arbeitende Journalist Farhad Payar hat mit Clara Löffler für die taz über die Festnahme seiner Nichte gesprochen, der iranischen Journalistin und Sozialaktivistin Ghazaleh Zarea. Sie wurde zu drei Jahren Haft verurteilt; ein Jahr der Strafe wurde damit begründet, dass sie mit dem "Spiegel" zusammengearbeitet hat. Farhad Payar leitet das "Iran Journal", das auf Deutsch kritisch über die Lage im Iran berichtet. Die Festnahme versteht er auch als Drohung gegen sich selbst. Auf die Frage, ob die Bundesregierung sich gemeldet habe, sagt er: "Nein, das ist leider nicht der Fall. Es wäre gut, wenn die Bundesregierung sich so etwas nicht gefallen lassen würde. Immerhin bin ich ein deutscher Staatsbürger, der für ein deutschsprachiges Onlinemagazin arbeitet. Das islamische Regime im Iran ist wie ein Kind. Es macht so lange weiter, bis du einmal sagst: Stopp, jetzt ist genug!"

+++ Weil die Deutsche Fußball-Liga die Rechte für die Übertragungen der Spiele am Samstag neu vergibt, könnte die Sportschau ihren Sendeplatz verlieren, berichtet Martin Krebbers für "@mediasres". Darüber gesprochen hat er mit Matthias Friebe aus der Sportredaktion, der kurz vor dem Interview noch schnell das Altglas vom Tisch geräumt hat, so hört es sich jedenfalls an. Das Problem mit den Rechten ist: Die Deutsche Fußball-Liga bietet für die Ausschreibungen zwei Möglichkeiten an. Eine sieht die Ausstrahlung der Bundesliga-Höhepunkte wie bisher ab 18.30 Uhr vor, nach der anderen wäre das erst ab 19.15 Uhr möglich. Die zweite Variante wäre im Sinne der Pay-TV-Sender, denen eine spätere Ausstrahlung lieber ist, denn damit wird das eigene Angebot interessanter. Bei einer späteren Ausstrahlung wäre das Problem: Um 20 Uhr steht im ARD-Programm die "Tagesschau" im Weg. Eine weitere Neuerung ist: Ein Anbieter kann jetzt alle Rechte-Pakete kaufen. Das hat laut Friebe einen naheliegenden Grund; so lässt sich mehr Geld machen. Ein Vorteil fürs Publikum wäre: Sie bräuchten nur noch ein Abo, um alle Spiele zu sehen. Wie es ausgeht, entscheidet sich bei der Auktion Mitte April.

+++ Auf der Vulgärplattform X sind pornografische Deepfakes der Sängerin Taylor Swift verbreitet worden. Samira El Ouassil schreibt in ihrer Kolumne für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres": "Es ist, als verlieren Frauen und Minderjährige hier virtuell das Recht am eigenen Gesicht und am eigenen Körper und die Souveränität ihres Selbst gleich mit." Dazu zitiert sie die Influencerin Danisha Carter, die schreibt: "Der einzige in Anführungszeichen positive Punkt daran, dass das mit Taylor Swift passiert, ist, dass sie wichtig genug ist, damit ein Gesetz verabschiedet wird, das das beseitigt." Samira El Oassil: "Noch besser wäre vielleicht, wenn Taylor Swift das ehemalige Twitter einfach kauft."

Das Altpapier am Freitag schreibt René Martens.

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