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Kolumne: Ein Altpapier-Extra Falsche Freude über Fehler

13. Februar 2024, 15:26 Uhr

Die Berichterstattung über den Fall Föderl-Schmid wirft die Frage auf, was sich am Journalismus über Journalismus grundsätzlich ändern muss. Ein Altpapier-Extra von René Martens.

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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Der erste "Medieninsider"-Text und Föderl-Schmids Reaktionen auf die Vorwürfe

Seit Montag vergangener Woche ist das, was viele Medien unter dem Schlagwort "Fall Föderl-Schmid" zusammenfassen und was sich vielleicht auch kaum adäquater zusammenfassen lässt, Thema im Altpapier.

Kurze Zusammenfassung für Späteinsteiger: Wenige Tage vor Weihnachten nahm die Geschichte ihren Anfang, es ging zunächst um den Vorwurf, die SZ-Vizechefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid verletze journalistische Standards und setze ihren Namen über Artikel, bei denen eine entsprechende Eigenleistung fehle. Darüber berichtete der "Medieninsider". Anfang Februar bezichtigte dann Stefan Weber, ein von "Nius", also "Julian Reichelts Wutportal" ("Übermedien"), beauftragter Dienstleister, Föderl-Schmid, sie habe Teile ihrer Dissertation plagiiert.

Im Laufe der Entwicklung der Geschichte sind einige grundsätzliche Schwächen in der Berichterstattung über Journalisten und Journalismus sichtbar geworden, so dass es sinnvoll erscheint, sich diesem Thema in einem gesonderten Altpapier zu widmen.

Natürlich kann diese Extra-Kolumne nur einen Zwischenstand liefern, auch in diesem Text gibt es noch ein paar lose Enden, die möglicherweise in den kommenden Altpapier-Kolumnen aufgegriffen werden.

Im ersten "Medieninsider"-Text, veröffentlicht am 18. Dezember, kommt Föderl-Schmid ausführlich zu Wort. Sie gesteht selbst Fehler ein, liefert aber auch nachvollziehbare Erklärungen dafür, warum man in anderen Fällen nicht von Fehlern sprechen kann:

"Bei den unter Punkt 1 genannten Beispielen (Hamas-Ideologie) handelt es sich großteils um Erklärungen, um Einordnungen zur Lage oder zu Ereignissen in Israel und den palästinensischen Gebieten. In den Artikeln werden technische Vorgänge und Systeme beschrieben, unter anderem geht es auch um Übersetzungen etwa der Hamas-Charta, sodass sich hier ähnliche Formulierungen ergeben. Es geht hier nicht um geistige Eigenleistungen anderer Autorinnen und Autoren wie bei Essays, Reportagen oder bei Kommentaren. Es geht um Faktenbeschreibungen und Definitionen (…) Dass die Formulierungen in der SZ hier also zum Teil wort- oder satzgleich denen anderer Quellen sind, wie etwa der Bundeszentrale politischer Bildung oder anderer, ist also unvermeidlich."  

Aus heutiger Sicht ist zudem aufschlussreich, was eine vermeintliche Betroffene, die Föderl-Schmid freundschaftlich verbunden ist, Ende vergangener Woche, also fast zwei Monate nach dem Auftakt des Falls, postete. Christine Kensche, Nahostkorrespondentin unter anderem für die "Welt" und den "Standard", schrieb:

"Dass @medieninsider unter anderem aus einem angeblich bei mir abgeschriebenen Zitat einen Skandal aufblies und dann @jreichelt mit seiner @niusde_-Hetztruppe auf den Zug aufsprang, tut mir in der Seele weh."

Auf diesen "Welt"-Text bezieht sich Kensche dabei.

Die hellsichtigsten Artikel zum Thema

Bei der österreichischen Wochenzeitung "Falter" sind in der vergangenen Woche innerhalb von vier Tagen gleich drei Artikel von Barbara Tóth erschienen, die die bis dato in vor allem deutschen Medien zu Föderl-Schmid erschienenen Texte in den Senkel stellen. In Teilen haben wir Tóths Beiträge im Altpapier bereits aufgegriffen (hier und hier).

Tóth schreibt hier beispielsweise, es habe sie "nachdenklich gemacht", dass mehrere "Qualitätszeitungen", die "über die Turbulenzen in der Süddeutschen Zeitung (…) ausführlich berichteten, fast durchgehend die übertriebenen Darstellungen Webers (übernahmen)". Die NZZ mokierte sich über die 'Hochtrabenden', die Welt über 'Chaostage' bei der Münchner Kollegschaft. Selbst die FAZ stellte Webers Anwürfe und Föderl-Schmids Rechtfertigungen einander einfach gegenüber."

In letzterem Fall haben wir es also mal wieder mit einer Variante des False Balancing zu tun.

Generell lässt sich diese Passage aus Tóths Text so zusammenfassen: Wettbewerber haben sich leicht rauschhaft an einem vermeintlichen Skandal geweidet.

In einem weiteren "Falter"-Beitrag schreibt Tóth:

"Im Tagesgeschäft übernehmen Journalist:innen natürlich immer wieder Formulierungen aus Agenturmeldungen oder von vertrauenswürdigen offiziellen Institutionen. Das sollte man, wann immer es geht, transparent machen."

Der BR zitiert Tóth indirekt unter anderem mit folgenden Worten:

"Man sollte (…) transparent machen, dass journalistische Beiträge zu gleichen Themen nicht permanent neu geschrieben würden."

Im dritten der genannten Beiträge schreibt die Autorin unter anderem, Föderl-Schmids Dissertation sei "eine umfangreiche, eigenständige und verdienstvolle Arbeit". Instruktiv ist in dem Kontext auch ein Rant des Schriftstellers Thomas Schrems, der den Plagiatsvorwurfsdistributor Weber aus einer kurzen gemeinsamen Zeit beim Boulevardblatt "Krone" kennt:

"Die mit Sicherheit einigermaßen schludrige Praxis bei Quellenangaben, wie sie früher an den Universitäten gang und gäbe war oder wenigstens nicht gleich sanktioniert wurde, ist noch lange kein Grund, auf den Alarmknopf für Serienbetrüger zu schlagen. Nehmen wir die heutigen Kriterien als Maßstab (und beziehen wir die heutigen Möglichkeiten der elektronischen Überprüfung mit ein), ließen sich vermutlich 95 Prozent aller Arbeiten aus den 80-ern und 90-ern zerpflücken. Im konkreten Fall Föderl-Schmid scheinen die 'Verfehlungen' jedoch geradezu lachhaft zu sein."

Tatsächliche Diebstahlfälle

Einen der Merksätze für die Debatte hat in einem "Tagesspiegel"-Interview Mika Beuster beigesteuert, der Vorsitzende des DJV:

"Wer im Journalismus seine Quellen nennt, ist auf der sicheren Seite. Das heißt aber nicht, dass wenn eine mal nicht benannt wird, es automatisch ein Plagiat ist."

Was wären dann, um eine Formulierung Barbara Tóths aufzugreifen, "echte Plagiate"? Sie schreibt dazu:

"(Zwei) Kolleg:innen erzählten ( …), wie das war, als sie sich tatsächlich plagiert fühlten. Einmal wurde eine originelle Geschichtenidee eins zu eins von einem anderen Medium übernommen. Ein anderes Mal wurde eine wichtige Aussage, die eine Persönlichkeit nur im Interview zu ihm sagte und dann nie wieder, ohne Nennung zitiert."

Wann es wirklich problematisch ist, wenn jemand "abschreibt"  - darüber hat der "Medieninsider" in einem ganz anderen Fall im vergangenen Herbst berichtet. Da war er nämlich selbst in der Diebstahlopferrolle (siehe dieses Altpapier aus dem Oktober).

Nachdem er "exklusiv darüber berichtet (hatte), was sich ARD ihre Polit-Talks in den kommenden beiden Jahren kosten lässt, erschien beim Tagesspiegel ebenfalls ein Artikel: 'Reden ist Gold' lautet die Überschrift, die – neben der Autorenzeile von Joachim Huber – die einzige journalistische Eigenleistung daran ist. Der Rest entstammt nicht nur zu 100 Prozent unserem Artikel, sondern enthält auch 100 Prozent der darin enthaltenen Informationen (…). Er enthält jede Zahl, jedes Detail, das mein Kollege (Volker Nünning) in vielen Stunden aufwendig recherchiert hat".

Wenn wir übers "Abschreiben" reden wollen - und das sollten wir -, dann über solche Fälle.

Wie generell über Hetze berichten?

Wenn man auf Hate Speech eingeht, auf Texte oder Posts, die von Menschenvernichtungswillen getrieben sind, steht man immer vor einem Problem: Wie macht man deutlich, dass es diese Hetze gibt, ohne sie zu exponieren?

Stefan Niggemeier bekommt im aktuellen "Übermedien"-Newsletter diese Balance hin, und das gilt auch für die von Christian Bartels hier bereits erwähnte "Chronologie einer Hetzjagd", die "Der Standard" am Freitag veröffentlichte. Ich selbst vertrete in der Regel die Ansicht, möglichst wenig Hetze zu zitieren, würde aber auf eine Stelle aus dem "Standard" eingehen wollen. Es geht um einen Post, der erschienen ist, nachdem die rund einen Tag lang verschwundene Föderl-Schmid am Freitag lebend gefunden worden war:

"Selbst bei guten Nachrichten zeigen Kanäle wie X ihre hässliche Fratze. Ein Mitglied des Vorstands der AfD Baden-Württemberg teilte den Artikel der Kronen Zeitung über ihr Überleben mit den Worten, sie solle sich 'schämen'. Sie habe eine 'Kampagne' gegen Nius ausgelöst und sich 'versteckt' gehalten, während die 'typische linke Hetzpresse einen Selbstmord erfindet'."

Eine Verlinkung zu X verbietet sich natürlich, aber öffentlich-rechtliche Journalisten, die sich noch fragen, wie sie mit der AfD umgehen sollen, werden den Post wohl finden.

Und alles was nach der Berichterstattung über Föderl-Schmid über "Nius" gesagt werden muss, sagt Stefan Niggemeier:

"Aus vielen Beiträgen insbesondere des geschassten 'Bild'-Chefredakteurs Julian Reichelt (...) spricht ein unbändiger Wille, seine politischen Gegner auch menschlich zu vernichten. Kein verantwortungsvoller Politiker egal welcher Couleur sollte dieses Werk durch Verlinkungen oder Interviews unterstützen."

Ich selbst würde zwar nie an das Gewissen von Politikern appellieren, aber was Stefan hier fordert, ist trotzdem richtig.

"Plagiatsvorwurf" - einer der Kandidaten für das Unwort des Jahres?

Am Montag dieser Woche lagen bereits zahlreiche Beiträge vor, in denen auseinanderklamüsert wurde, wie die Vorwürfe gegen Föderl-Schmid einzuschätzen sind. Trotzdem moderierte Michael Bröcker seinen Table-Media-Podcast "Table Today" mit Helene Bubrowksi recht, sagen wir mal: hemdsärmelig an:

"Die Woche bei uns beiden beginnt mit ein bisschen Selbstreflexion und Selbstkritik: die Debatte rund um die Plagiate bei der SZ-Vizechefredaktion Föderl-Schmid hat zu besorgniserregrenden Geschichten geführt."

Rund um die Plagiate? Geht’s noch, Digger?

Hätte Bröcker von "Plagiatsvorwürfen" und einem "Plagiatsverdacht" sprechen sollen? Natürlich. Andererseits sind auch diese Begriffe tendenziell nicht unproblematisch: Wir schreiben sie schnell hin (auch ich habe im Altpapier vom vergangenen Mittwoch von "Plagiatsvorwürfen" gesprochen), weil wir denken, dass wir, wenn wir von einem "Verdacht" oder einem "Vorwurf" sprechen, auf der sicheren Seite sind, falls sich herausstellt, dass die Person, die im Verdacht steht, etwas plagiiert zu haben, gar nicht plagiiert hat.

Aber damit machen wir es uns zu einfach. Denn natürlich sollte man "Vorwürfe" nur dann verbreiten, wenn man einschätzen kann, ob sie Substanz haben. Und vor allem: "Plagiatsvorwürfe" werden heute in der Regel nicht mehr von Personen erhoben, die von journalistischer oder akademischer Redlichkeit getrieben sind.

Der Kulturwissenschaftler Michael Seemann schreibt bei Threads:

"Dass die Plagiatsjägerei in Zeiten der Hyperpolitisierung als Asset auf Seiten der Rechten landen wird, war eigentlich absehbar."

In seinem Newsletter "Krasse Links" widmet sich Seemann dem Thema ausführlicher:

"Die Vize-Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung wird derzeit bezichtigt, in ihrer Doktorarbeit plagiiert zu haben; ein Vorwurf, der seit dem Fall von Guttenberg ein eigenes politisches Genre geworden ist und schon so manche Karriere zerstört hat. Doch es hat sich seitdem auch einiges verändert. Waren es damals wirklich empörte Hobbyisten, die ein tatsächlich komplett zusammengefriemeltes Plagiatspatchwork entlarvten, ist daraus heute ein Geschäftsmodell und – noch wichtiger – ein relevanter Nebenschauplatz im Kulturkrieg geworden."

Und wie gehen wir damit um?

"Barbara Tóth vom Falter sieht in der Berichterstattung um den Fall journalistisches Versagen, aber ich glaube einfach, dass dieses Spiel nicht zu gewinnen ist. Das Hin- und Her der Plagiatsvorwürfe ist für normale Menschen unmöglich nachzuvollziehen und selbst geübte Akademiker*innen müssten sich dafür in die Arbeiten stürzen und den Vorwürfen im Einzelnen nachforschen. Am Ende stehen also die unterschiedlichen Vorwürfe augenscheinlich gleichberechtigt gegeneinander und gewonnen hat, wer am lautesten schreit und die loyalste Fanbase hat."

Transparenzhinweis aus naheliegenden Gründen: Ich habe aus Seemanns Newsletter-Passage zu Alexandra Föderl-Schmid relativ ausführlich zitiert.

Dass das "Hin- und Her der Plagiatsvorwürfe für normale Menschen unmöglich nachzuvollziehen" ist, gilt im Übrigen ja nicht nur für akademische Texte, sondern auch für journalistische. Was sind offizielle oder offiziöse Basisinformationen, was sind legitime Formulierungsbausteine, was ist Teil der "boilerplate"? Das können Menschen außerhalb des Medienbetriebs möglicherweise nur schwer einschätzen.

Die neue Waffe der Milliardäre

Thomas Ribi ist als Redakteur der NZZ in einem anderem Teil des Meinungsspektrums zu verorten als Seemann, schreibt in seiner Zeitung aber in Teilen Ähnliches:

"Bei der Jagd nach Plagiaten geht es auch um Geld und Politik – und oft ist ein übertriebener Enthüllungseifer am Werk."

Und:

"Mit Aufklärung hat das Schnüffeln in Dissertationen, die außer den Gutachtern niemand gelesen hat, wenig zu tun."

Rund einen Monat, bevor die Berichterstattung zu Föderl-Schmid eskalierte, brachte die Wiener Tageszeitung "Die Presse" einen Text mit einer sehr treffenden Überschrift:

"Die Plagiatssuche als Waffe der Wahl"

Wobei sich diese Formulierung anlehnte an eine Passage aus einem "New York Times"-Text zum Fall Claudine Gay. "Die Presse" widmete sich einer Ankündigung des Milliardärs Bill Ackman. Dieser drohe sämtlichen Fakultätsmitgliedern des Massachusetts Institute of Technology "mit der ultimativen Diffamierung in Form von beauftragten Plagiatsprüfungen". Warum tut der Mann das? Weil möglicherweise aus dem von ihm ins Visier genommenen Kreis Plagiatsvorwürfe gegen seine Ehefrau an die Öffentlichkeit gelangten - bzw. zum "Business Insider", dessen Reportern der Milliardär dasselbe androhte wie dem MIT.

Zum unfreiwilligen Rückzug der Harvard-Präsidentin Claudine Gay hat Ackman bereits beigetragen - mit Vorwürfen bezüglich ihrer akademischen Arbeit, die in ihrer geringen Substanz (siehe London Review of Books bzw. Altpapier) an jene erinnern, mit denen sich jetzt Föderl-Schmid konfrontiert sieht.

Ackmans "Überprüfungspläne" kamen auch im Altpapier schon kurz vor. Und um eben diese Pläne sowie seine Anti-Harvard-Aktionen geht es auch in der aktuellen Titelgeschichte des "New York Magazine". Der Vorspann lautet:

"Bill Ackman’s fight against Harvard has made him the public face of a billionaire class anxious it no longer rules the world."

Wir haben es hier also mit Dimensionen zu tun, die die 2.000 Euro, die Stefan Weber nach eigenen Angaben von "Nius" bekommen hat, wie ein Taschengeld erscheinen lassen.

Die Überreaktionen der "Süddeutschen Zeitung"

In dem bereits erwähnten Altpapier von vergangenem Mittwoch habe ich in einem Abschnitt zum Fall Föderl-Schmid die SZ als "FC Hollywood" bezeichnet und bei der ganzen Angelegenheit einen "Popcorn"-Faktor ausgemacht. Aus heutiger Sicht erscheinen solche launigen Formulierungen unangemessen. Zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits klar war, dass "Nius" ein wesentlicher Akteur im Spiel ist, hätte ich das Launige lieber lassen sollen.

Andererseits hat die SZ selbst viel dazu beigetragen, solche launigen Formulierungen zu provozieren. Zu den internen Überwachungsmaßnahmen, die dem Zweck dienten, den Informanten oder die Informantin des "Medieninsiders" zu ermitteln, haben wir uns an dieser Stelle schon ausführlich geäußert. Eine etwas genauere Betrachtung verdient noch die von taz-Autor Steffen Grimberg (siehe die tagesaktuelle Altpapier-Kolumne von heute) bereits kritisierte Maßnahme, den gerade erst beim NDR als Aufklärer in Sachen Hubert Seipel im Einsatz gewesenen Steffen Klusmann (Altpapier, Altpapier) als Leiter eines Föderl-Schmid-Texte-Prüfgremiums zu rekrutieren.

Seipel half dabei, Kreml-Narrative zu verbreiten und erhielt bei der Arbeit an zwei Büchern finanzielle Unterstützung in sechsstelliger Höhe aus dem Umfeld von Wladimir Putin. Föderl-Schmid tat nichts, was damit auch nur entfernt vergleichbar wäre. Indem die SZ Klusmann beauftragt, vergleicht sie Föderl-Schmid nicht mit Seipel. Aber sie weiß natürlich, was für Assoziationen die Beauftragung auslöst. Diese Entscheidung wirkt fahrig und unsouverän - und kommt auch einer Vorverurteilung Föderl-Schmids gleich.

Als Medienjournalisten ärgern wir uns immer wieder, wenn Medienunternehmen oder Einzelakteure auf unsere Kritik nicht oder nur ausweichend reagieren. Das andere Problem sind Medienhäuser, die überreagieren. Medienhäuser, die mit Druck nicht umgehen können und statt dessen Maßnahmen in die Wege leiten, mit denen sie jene, die sie als die Mehrheit der Kritiker wahrnehmen, zu besänftigen versuchen.

"Wie reagieren Medienhäuser angemessen auf Kritik und stellen sicher, bei aufgeheizter Stimmung einen kühlen Kopf zu bewahren?"

lautet dazu die passende Frage aus dem "offenen Debattenkatalog" des "Medieninsiders", der auch hier Thema ist.

Epilog

Sich einigen tendenziell handfesteren Fragen zu widmen, kann auch nicht schaden. Zum Thema Autorennamensnennnug zum Beispiel folgende: Könnte sich die Verlagsbranche in einer gemeinsamen Absichtserklärung darauf verständigen, bei der Veröffentlichung von nur geringfügig bearbeiteten Nachrichtenagentur-Texten grundsätzlich nicht den Namen des bearbeitenden Zeitungsredakteurs drüber zu setzen? Wird es jemals aufhören, dass Medienbranchendienstleute Artikel, die fast ausschließlich aus der Wiedergabe von Sender- oder Verlags-Pressemitteilungen bestehen, mit ihren Namen verzieren?

Zentral bei allem, was folgt aus dem Fall Föderl-Schmid, wären aber Überlegungen dazu, wie sich ggf. harte Kritik in angemessener Form formulieren lässt.

Gilda Sahebi, Journalistin des Jahres 2022 beim "Medium Magazin", sagt jedenfalls:

"Es ist leicht, auf einen offensichtlichen Hetzer wie Reichelt zu zeigen. Es ist eine ganze Gesellschaft, die das Frohsein über den Schmerz oder die 'Fehler' anderer Menschen als normal zulässt."

Das Schlusswort sei Bijan Moini von der Gesellschaft für Freiheitsrechte überlassen. Bei Threads schreibt er:

"Die Hetzjagd auf Alexandra Föderl-Schmid ist nicht gerade noch mal gut gegangen, sie hat eine Existenz zerstört und fast ein Menschenleben gekostet."

Moini hat Recht insofern, dass man jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen sollte (um mal eine Formulierung unterzubringen, die ich von ca. 10.000 Hauptstadtjournalisten geklaut habe). Mit der Einschätzung, die Hetzjagd habe "eine Existenz zerstört", wird er hoffentlich nicht Recht behalten.

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