Das Altpapier am 9. Februar 2024: Porträt der Altpapier-Autorin Jenni Zylka
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 9. Februar 2024 Eine Journalistin wird vermisst

09. Februar 2024, 10:22 Uhr

Angesichts eines möglichen Trauerfalls verbieten sich Spekulationen. Die Altpapier-Kolumne: heute von Jenni Zylka.

Porträt der Altpapier-Autorin Jenni Zylka
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Update 9.2. 12.15 Uhr:

Diese Meldung kam am Freitagmittag über den Standard:

"Nach Stunden des Bangens kam Freitagmittag die erlösende Nachricht: Die Landespolizeidirektion Oberösterreich bestätigte dem STANDARD, dass unter der Innbrücke in Braunau eine seit Donnerstag vermisste Frau unterkühlt, aber lebend gefunden wurde. Die von den Rettern ins Krankenhaus gebrachte Patientin ist Alexandra Föderl-Schmid, ehemalige Chefredakteurin und Co-Herausgeberin des STANDARD und derzeit stellvertretende Chefredakteurin der "Süddeutschen Zeitung". Nähere Informationen zu ihrem Gesundheitszustand liegen vorerst nicht vor. DER STANDARD wird laufend Updates berichten."

Bestandsaufnahme

Zu kommentieren, was gerade in Bezug auf die nach einer so genannten "Plagiatsaffäre" und wichtigen Entlastungsrecherchen vermissten Journalistin und SZ-Vize-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid berichtet wird, überhaupt die gesamte Situation einzuschätzen oder über Motive zu spekulieren, ist schwer, wenn nicht (zumindest zu diesem Zeitpunkt, Freitag 9 Uhr) unmöglich: Es bangen, trauern Menschen um das Leben einer Frau.

Insofern möchte ich mich auf eine Bestandsaufnahme beschränken. Die Passauer Neue Presse berichtete am 8.2.und aktualisierte am 9.2.:

"Bei der vermissten Journalistin im Inntal, die seit Donnerstagmorgen gesucht wird, handelt sich nach Informationen der Mediengruppe Bayern um Alexandra Föderl-Schmid, die stellvertretende Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung. Die Polizei befürchtet, dass sich Föderl-Schmid das Leben genommen hat."

Wie die Landespolizeidirektion Oberösterreich auf Anfrage der Mediengruppe Bayern bestätigt, gab es einen Einsatz am Inn wegen Suizidgefahr. Am Ufer und im Wasser waren Gegenstände entdeckt worden, die eindeutig der vermissten Person zugeordnet werden konnten. Außerdem wurde auf dem Parkplatz einer großen Tankstelle in Grenznähe das Auto von Föderl-Schmid gefunden und von der Polizei durchsucht. Wie es aus Polizeikreisen hieß, sei auch ein "Abschiedsbrief" gefunden worden."

Reaktionen

Kommentator:innen und Medienkolleg:innen auf u.a. Social Media zeigen sich schockiert und betroffen. Zum Hintergrund der Plagiatsvorwürfe, die von der rechtslastigen Julian Reichelt-Plattform Nius bezahlt wurden, und die Journalistin anscheinend zum Rückzug aus dem "operativen Tagesgeschäft" der SZ bewegten, ein Ausschnitt aus den bereits oben erwähnten Recherchen der Historikerin und Gutachterin Barbara Tòth (hier auch dazu das AP von gestern):

"Ich habe mir die von ihm beanstandeten Textstellen genau angeschaut. Alle Quellen dazu sind im umfangreichen Literaturverzeichnis zu finden. Muss man im Einleitungs-Fließtext alles anführen, auch wenn man dort auf spätere Kapitel verweist, wo sie im Detail genannt werden? Das kann man sicher diskutieren, aber es ist kein "Plagiat" im Sinne einer absichtlichen, missbräuchlichen, intellektuellen Fremdaneignung. Und dann: In einem Fall hat Föderl-Schmid einen Bericht der Deutschen Bundesregierung ohne Quellenangabe zitiert und auch im Quellenverzeichnis nicht erwähnt. Das ist meiner Meinung nach tatsächlich ein Fehler, wenn auch kein gravierender. Ein anderes Mal macht sie eine Quellenangabe mit falschem Datum. So, und was sagt das über die Qualität der Dissertation aus? Rein gar nichts. (..) Kurzum: Föderl-Schmids Dissertation ist eine umfangreiche, eigenständige und verdienstvolle Arbeit mit einigen wenigen – in meiner Zählung: zwei – ärgerlichen Ungenauigkeiten, die man mangels der heutigen Textanalyse-Programme anno 1996 wohl nicht gefunden hätte. Aber wer nur Webers "Plagiatscheck" mitbekommen hat, gewinnt leicht den Eindruck, Föderl-Schmids Dissertation sei unbrauchbar."

Der Vollständigkeit halber sei angeführt, dass dieser Tweet des selbst ernannten "Plagiatsjägers" Stefan Weber inzwischen gelöscht wurde.

Jenen "Plagiatsjäger" hatte der österreichische "Falter" zu seinen Vorwürfen befragt, er bleibt bei seinem Fazit, allerdings bilanziert Tòth im o.g. Artikel:

"Interessant ist die sehr detaillierte Befangenheitserklärung Webers, die er an das Ende seines Plagiatschecks stellt. Er hat am selben Institut wie Föderl-Schmid studiert, kannte sie nicht persönlich, dafür hatte er einen Konflikt mit dem Begutachter ihrer Dissertation, Hans Heinz Fabris."

Wie es dann weitergeht, klingt nicht nur angesichts der momentanen Situation ein bisschen wie He-said-She-said, aber aus solchen Dingen entstehen bekanntlich relevante Folgen.

Aus offensichtlichen Gründen haben bislang weder die SZ, noch andere große Zeitungen reagiert bzw. reagieren können. Das Altpapier wird – wie alle anderen Medien und Menschen, denn das ist ein und dasselbe – dranbleiben. Und wird weiterhin versuchen, nicht zu spekulieren.


Altpapierkorb

Zur Erklärung für den längsten Altpapierkorb EVER: Vor der Bekanntwerdung von obigen Entwicklungen war für diesen Text ein anderes Thema geplant, das jetzt angesichts der Situation marginal erscheint. Darum wird es hiermit in den Altpapierkorb verschoben, unter "ferner liefen", aber dennoch passiert bzw. auf irgendeiner Ebene auch von Bedeutung. Zu einem früheren Zeitpunkt war die Nachrichtenlage schlichtweg eine andere. Daher auch die Länge/Tonalität.

  • Man kann es so viel "off shaken" wie man will – um Taylor Swift kommt man nicht herum. Ich auch nicht, als Disclaimer: ich habe mich in letzter Zeit beruflich sehr viel mir ihr beschäftigt, bin aber sicher, dass die Empfindung von Taylor Swifts momentaner Allgegenwärtigkeit und Allmächtigkeit in der aktuellen Berichterstattung keine subjektive ist. Schließlich wird sie in den USA bekanntlich nicht nur als Zünglein, sondern als Riesengewicht an der Wahl-Waage je nach Lager erhofft oder gefürchtet. Der Tagesspiegel lässt dahingehend drei Expert:innen zu Wort kommen, der erste, ein Politikprofessor aus Köln, spricht von "Wahlkampfgold":

"Besonders junge Frauen würden von Swift angesprochen und die laufen gerade nicht in Heerscharen zum 81-jährigen Biden. Da kann er Unterstützung gut gebrauchen. Dabei haben Trump und Swift eines gemeinsam: Beide werden von ihren Anhängern geradezu angehimmelt. Seine Anhänger wittern schon eine Verschwörung gegen Trump. Das ist Unsinn, aber für Biden wäre ihre Unterstützung reines Wahlkampfgold."

Eine Politik- und Kulturwissenschaftlerin sagt dagegen, Biden sollte auf ihre Hilfe verzichten und die Konservativen einfach machen lassen (kurz vorher benutzt sie den Begriff "Swift-Effekt"):

"Mein Rat an die Biden-Kampagne: Bitten Sie nicht um Swifts Unterstützung. Ihre politische Einstellung ist eindeutig, wie die täglichen Angriffe auf sie aus dem rechten Lager zeigen. Lassen Sie die konservativen Medien und Trump junge Wähler verprellen, indem sie eine junge, beliebte Frau mit 280 Millionen Instagram-Followern angreifen, die bewiesen hat, dass sich Freundlichkeit und Großzügigkeit letztendlich durchsetzen."

Der dritte USA-Experte winkt ebenfalls ab:

"Selbst mit der Unterstützung von Swift dürfte Biden keinen Blumentopf gewinnen, wenn er seinen Wahlkampf weiterhin darauf fokussiert, die amerikanische Demokratie vor Donald Trump retten zu wollen. Denn diese Strategie, mit der der Amtsinhaber von seinen schlechten Umfragewerten ablenken will, verfängt bei immer weniger seiner Landsleute. Den meisten Amerikanerinnen und Amerikanern ist ihr eigenes Hemd näher als diese institutionelle Jacke."

Alles fokussiert sich zurzeit auf übermorgen, den 11. Februar, an dem in Las Vegas, Nevada das NFL-Endspiel "Superbowl” stattfindet, zu dem auch – OMG – Tayor erwartet wird, frisch eingeflogen mit dem Privatjet aus Japan, wo sie am Abend vorher ein Konzert gab. Und vermutlich ist sie tatsächlich dennoch "frisch", denn in so einem Privatjet gibt es eine schöne gemütliche 1,40m-breite Koje mit seidenem Bettzeug, einer Melatonin-getränkten Schlafmaske und Drinks nach Wahl, wenn ich die vielen Filme, in denen Millionär:innen reisen, richtig interpretiere. (Vielleicht nimmt sie ja sogar das neue Überschallflugzeug X59, das wäre mal schick.) Wieso sie überhaupt dort auftauchen könnte: Ihr Freund Travis Kelce spielt bei einer der Mannschaften mit – was die Verschwörungstheorien in der Vergangenheit tüchtig angeheizt hatte. Taylor Swift wird nämlich vom Pentagon gesteuert, das auch für den Einzug von Kelces Mannschaft ins Endspiel gesorgt hatte, hexen kann sie eh, und so weiter und so albern, mein Lieblingszitat diesbezüglich ist eine Überschrift aus der Vanity Fair:

"Conservatives Are One Chiefs Win Away From Claiming Taylor Swift Actually Is Joe Biden and That’s Why You’ve Never Seen Them in the Same Place.”

Unterzeile:

"The conspiracy theories have gone next level crazy.”

Prawda, kann man da nur sagen. Taylor hat sich in den letzten Jahren öffentlich politisch positiv zu LGBTQ+-Rechten, dem Recht auf Abtreibung, Black Lives Matter und Joe Biden geäußert, jenem, wie in diesem SZ-Artikel aus einem Bericht zitiert wird, "älterem Herr mit schlechtem Gedächtnis",+. Und sie könnte nun, so geht die Mär, sich in der Werbepause beim Superbowl durchaus hinstellen, ihren boyfriend an die Hand nehmen, und so etwas unverschämt Tendenziöses sagen wie "Vote!" – im Gegensatz zu den Trump-Anhänger:innen, die eh ganz gut mobilisiert sind, würde sie damit angeblich eine Menge normalerweise politverdrossene und desinteressierte Swifties an die Urnen kriegen. Und dann wäre ja klar, was diese neue Gruppe wählt: Sie hören nicht nur Taylor Swift, sie hören auf sie.

Doch es geht bei der Geschichte mitnichten nur noch um den angeblichen politischen Einfluss, der ja bei über 170 Millionen nur US-amerikanischen mehr oder weniger diehard-Swifties (laut Umfragen bezeichnen sich 53% der US-Amerikaner als Fans, die meisten davon weiblich und jung, ansonsten geht die Verehrung durch alle Klassen und kulturellen Wurzeln) bereits interessant genug ist. Sondern, wie CNN hier in Bezug auf das "Blockbuster Sportevent" Super Bowl (es werden über 112 Millionen Zuschauer:innen erwartet) und dessen hochpreisige Werbepausen berichtet, um noch etwas anderes:

"Health and beauty companies, some for the first time, are joining the scrum of beverage, technology and auto brands that have long been a staple of the blockbuster sports event. In a bigger shift, several longtime Super Bowl advertisers, like M&M’S, have spots featuring women who, for a change, aren’t just sipping soda in tight pants. "Taylor Swift’s attendance at the Super Bowl will likely have a significant impact not only on the size of the audience but also its demographic make-up,” according to Paul Hardart, a clinical professor of marketing for New York University’s Stern School of Business.”

Health and beauty beim Super Bowl, alle Wetter. Nicht dass der Swift-Effekt die Menschen womöglich noch gesund und schön macht?! Auch in dieser Beobachtung schlummert der grundlegende politische und menschliche Konflikt: "MAGAs" versus Swifties – die alten Männer (konservative Super Bowl-Fans die mit Bier und Chicken Wings vor der Glotze sitzen und den Bluthochdruck ignorieren) gegen die jungen Frauen (und ihr neumodischer Gesundheitsfanatismus). Das Besondere in der hiesigen Auseinandersetzung mit Taylor ist vielleicht weniger, dass zu selten kritisch berichterstattet wird – dieses AP hat dazu vor ein paar Wochen einen interessanten Artikel zitiert – sondern dass sich vor allem in Deutschland viele Menschen schwertun, sie überhaupt richtig einzuschätzen. (Erste vorgeschlagene Google-Frage, wenn man "Taylor Swift Effekt" eingibt: "Was ist an Taylor Swift so toll?". Erste Antwort: Ein Zitat aus einem Hintergrundartikel bei Deutschlandfunk:

"Taylor Swift ist jung, frisch gebackene Milliardärin und schart eine riesige Fangemeinde um sich. Für ihre Musik wird sie immer und immer wieder ausgezeichnet.")

Nun gut, dafür kann Deutschlandfunk auch nichts, dass der Algorithmus die Frage nicht versteht, und statt der Ursache die Wirkung nennt. Aber immer wieder darauf rumzureiten, dass Taylor Swift keine Politikerin, sondern ein "Popsternchen" ist, oder dass ihre Musik belanglos klingt, oder dass sie extreme Summen verdient, verkennt die Realität: All das wird von einem großen Teil der Menschen schlichtweg nicht als negativ wahrgenommen. Insofern kann man sich nur freuen, dass es eine Demokratin mit Sinn für Gerechtigkeit ist, die gerade das Schicksal vieler Menschen mitzubestimmen scheint. Und nicht Dr. No.

  • Der neue, tolle quoted-Podcast der frisch (und zurecht) gebackenen Bert Donnepp-Preisträger:innen Nils Minkmar und Nadia Zaboura ist eine Analyse der Frage, welche Medienstrategie die AfD angesichts der großen Sichtbarkeit einer Gegenbewegung fährt. (Disclaimer: Einige Altpapiere wurden dort zitiert.) Zu Gast ist der Politikberater Johannes Hillje, und angesichts des Abbaus "regionaler journalistischer Strukturen", der das Problem selbstredend verstärkt, sagt er, dass genau das der AFD helfe, "kostenlose Anzeigenblätter" bzw. "Lücken in der Berichterstattung" zu füllen. Zu der Frage, wieso die AFD auf TikTok so erfolgreich sei, analysierte Hillje: "Die AfD ist häufig ein first mover bei neuen Plattformen, sie ist schnell mit einem eigenen Kanal dort, und auch mit persönlichen Kanälen präsent", das sei ein "großer Reichweitenvorteil" Später erklärte der Gast, dass man die Stammwählerschaft der AfD vermutlich schwer wieder anderen Gedanken nahebringen kann, denn "die Sender-Empfänger-Beziehung ist kaputt". Die funktioniere nämlich nur dann, wenn der "wichtige Vermittler Vertrauen" zwischen den beiden vorhanden ist. Und der sei perdu. Keine schönen Aussichten.

  • Fernsehen ist, grob zusammengefasst, auch nur eine Simulation verschiedenster Empfindungen. Man sieht und hört es (so man beides kann), aber was darüber hinaus rüberkommt, ist Fake. Und funktioniert doch: Wieso schaut man gern Kochsendungen, obwohl man das dort Produzierte weder anfassen noch riechen noch auffuttern kann, diese Frage wurde kürzlich im analogen Talkformat "Fernsehsalon" der Deutschen Kinemathek (hier ein Mitschnitt) dem "Fernsehkoch" Tim Mälzer gestellt. Der ist allerdings ein so redefreudiges Menschenkind, dass seine vermutlich zu lange Antwort anscheinend zusammengekürzt werden musste, auf ein trotzig-selbstbewusstes Statement:

"Also ich gucke meine Show immer gern weil ich mir sehr gut gefalle".

Was natürlich ein völlig legitimer Grund ist, und Tim Mälzer gefällt darüber hinaus bestimmt noch viel mehr Menschen. Dennoch ist das vermutlich nicht der einzige Grund. Die Frage blieb somit unbeantwortet, und obwohl auch der Rest des unterhaltsamen Gesprächs unterstrich, was man sich immer schon mal so dachte – Tim Mälzer ist eine hanseatische Hurratüte, der sein Herz auf der feinen Zunge trägt - hätte mich doch interessiert, inwiefern Kochformate, sowohl die echten mit den aktiven Köch:innen, als auch die fiktionalen aus dem Film- und Serienbereich, die Zubereitung eines Gerichts als Spiegel-Narrativ verwenden, und damit beim Publikum punkten. Denn eine klassische Dramaturgie wohnt ja dem Verarbeiten eines Rehrückens definitiv inne, OMG, und wie, und die Fallhöhe ist ebenfalls gigantisch. Allein die paar Minuten, die das Wildtier zu lange im Ofen verweilt (oder macht man das in der Pfanne? Im Römertopf? Im Thermomix? Ich habe keine Ahnung, schaue zu wenig Kochsendungen…), die können ja schon Tränen hervorrufen. Bei Juror:innen, bei Köch:innen, bei den Konsument:innen erst recht.

Das Altpapier am Montag schreibt Johanna Bernklau.

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