Joachim Römer: Unternehmer und Rassehygieniker

Das Leben der Römers scheint gut dokumentiert, Sie zeigen den stolzen Familienvater auf vielen Fotos, auch 16-mm-Filmaufnahmen, etwa von einem Faschingsfest 1936, zu dem nur einer in SS-Uniform erscheint - Joachim Römer. Wie eng war seine Karriere als Unternehmer mit seinem politisch-ideologischen Werdegang verzahnt?

Anfangs nicht so direkt. Wenn man bedenkt: Zur Ausbildung war er noch in England in den Fabriken der Partner, sozusagen zum Praktikum. Er sprach fließend Englisch. Er war gebildet und polyglott. Schließlich haben die Römers ihre Tuchwaren ja weltweit verkauft, die Rohstoffe dafür kamen aus aller Welt. Er war also kein Kleinbürger aus der sächsischen Provinz.

Mit 24, 25 hat er den Betrieb in Großenhain von seinem Vater übernommen. Und er schaffte es, den Stadtrat von Großenhain zu überzeugen, ihm eine Bürgerschaft über 35.000 Reichsmark zu geben, um die angeschlagene Firma zu retten. Er argumentierte mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen in Zeiten der Krise. Aber sein Ehrgeiz bestand wohl auch darin, einen nationalsozialistischen Musterbetrieb zu schaffen.

Am Ende der 1930er-Jahre profitierte er ganz klar von seiner Mitgliedschaft in NSDAP und SS, die Aufrüstung brachte auch ihm Aufschwung. Sein Unternehmen wurde kriegswichtig, weil es Tuche für Uniformen herstellte, auch für die Uniformen der SS in Dachau. Da war er besonders stolz drauf.

Die Spur der Ahnen: Erschossen vom Vater
Der Jungunternehmer rettet das Unternehmen mit einer Bürgerschaft und macht es zum nationalsozialistischen Musterbetrieb. Bildrechte: MDR / Die Spur der Ahnen

Wie wurde Joachim Römer ein so überzeugter Rassenideologe, für den das Ende des Dritten Reiches auch sein eigenes bedeutet hat?

Er sprach gern von der Idee der Volksgemeinschaft. Den Widerspruch zwischen Kapital und rebellierender Arbeiterschaft sollte es nicht mehr geben. Tatsächlich sollte seine eigene Familie in den Notzeiten des Krieges nicht viel besser leben als die Belegschaft. Um die Ausbildungs- und Wohnsituation seiner reinrassigen Facharbeiter hat er sich wohl sehr gekümmert, auch wenn sie dafür die Schädelmessungen über sich ergehen lassen mussten.

Als Leiter des Kreisamtes für Rassenpolitik in Großenhain hat er ja Erhebungen über Fremdrassen in Sachsen machen lassen und deren Ergebnisse in der Zeitschrift "Volk und Rasse" publiziert. Für ihn bestand die "Not des Tages" darin: "Das deutsche Volk stirbt aus". Ähnlich formulieren das Leute wie Thilo Sarrazin bis heute. Die reinrassigen Deutschen sollten viele Kinder bekommen, deshalb unterstützte er auch die Lebensbornheime der SS.

Den Vernichtungskrieg gegen die "fremden Rassen" im Osten musste er nicht mitmachen, er war herzkrank und sein Unternehmen kriegswichtig. Er war auch nicht direkt an Verbrechen wie etwa Exekutionen oder anderen Kriegsverbrechen beteiligt. Dafür schulte er Offiziere der Ordnungspolizei ideologisch, wie mit den vermeintlichen Untermenschen im Osten umzugehen sei. Zum Ende des Krieges stellte er dann in einem seiner Briefe fest: "Wenn wir uns nicht als die stärkere Rasse beweisen, dann haben wir kein Recht, weiterzuleben."

Die Spur der Ahnen: Erschossen vom Vater, 2015
Joachim Römer mit seiner Frau Herta und den fünf Kindern auf Familienfotos Bildrechte: Privatbesitz

Großenhainer Bürger stellen noch heute Blumen ans Grab der Römers. Wie verstehen Sie diese Geste? Erinnert man sich an den Tuchfabrikanten, der damals vielen Leute Arbeit gebracht hat oder an das Schicksal seiner Familie, die er mit in den Tod riss? Im Film zeigen Sie ja Rosemarie Zschoche, die mit einer der Römer-Töchter befreundet war und noch heute um Fassung ringt ...

Die Spur der Ahnen: Erschossen vom Vater, 2015
Die Reichls Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Viele ältere Menschen haben Joachim Römer als Unternehmer und Menschen offenbar noch heute in guter Erinnerung. Außerdem folgte dem Selbstmord Römers in Großenhain eine ganze Welle von Selbsttötungen.

Klaus Witschel, der mit einem der Römer-Söhne befreundet war, hat damals als Sechsjähriger gesehen, wie die Leichen abtransportiert wurde.

Die Spur der Ahnen: Erschossen vom Vater, 2015
Klaus Witschel Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Er sagte uns, seine Eltern hätten das damals verstanden. Rosemarie Zschoche erinnert auch die Ausweglosigkeit und Panikstimmung, die in diesen Tagen kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee herrschte. Und dass sie froh sei, dass der Grabstein noch stehe, weil er daran erinnere, wohin totalitäre Ideologie und Fanatimus führten.

Tatsächlich gab es Hunger, Vergewaltigungen und falsche Denunziationen, aufgrund derer unschuldige Menschen für immer in Lagern verschwanden. Aber heute wissen wir: Den Kindern wäre sicherlich nichts passiert, denn die russischen Soldaten waren ausgesprochen kinderlieb.

Die Spur der Ahnen: Erschossen vom Vater, 2015
Rosemarie Zschoche am Grab der Römers in Großenhain Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Der zweite Suizid in der Familie Römer Es bleibt nicht beim Fall Römer, der im "Ahnen"-Film ergründet wird. Noch am 8. Mai 1945, also dem Tag des Kriegsendes, lässt sich Joachims Schwester Gerda, die im sächsischen Sachsdorf lebt, mit ihrem drei Monate alten Baby von ihrem Mann - Wissenschaftler an der TU Dresden, aber auch Mitglied der Waffen-SS - erschießen.

Nach den Recherchen von Barbara Böttger war dieser Suizid nicht geplant. Es war wohl die allgemeine Panikstimmung kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee. Von Gerda gibt es einen Brief noch aus dem April 1945, in dem sie schreibt, dass sie auf Gottes Hilfe hoffe, um die Schrecken des Krieges durchzustehen.

Ihr Ehemann Hermann Locke war am Tauftag seiner kleinen Tochter selbst wieder in die Evangelische Kirche eingetreten. Auch nach ausgiebigen Recherchen fand Barbara Böttger nichts, was auf Verbrechen seinerseits hindeutet. Er hat den Suizid nicht vorbereitet. Allerdings war er mit Joachim Römer befreundet und wusste von dessen Entscheidung.