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"Besorgt über die Absichten der Regierung"

13. Dezember 2016, 13:42 Uhr

Am 35. Jahrestag der Verhängung des Kriegsrechts demonstrieren viele Polen gegen die Regierung. Radomir Szumełda organisiert als einer der Anführer des "Komitees zur Verteidigung der Demokratie" (KOD) die Demonstration.

Herr Szumełda, warum veranstalten Sie ausgerechnet am 35. Jahrestag der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen eine Demonstration gegen die Regierung? 

Der 13. Februar hat in Polen eine symbolische Bedeutung. Denn damals hat das Regime seine Hand gegen die aufkommende Demokratie erhoben, gegen den Pluralismus, die Menschen- und Bürgerrechte. Natürlich ist das ein tragisches Datum, denn es gab sehr viele Opfer. Sehr viele Leute haben ihr Leben, ihre Gesundheit gegeben. 

Die beste Ehrerbietung für die Helden von damals ist es, die Werte zu verteidigen, für die sie gekämpft haben: Freiheit, Demokratie, Menschenrechte. Und ein bedeutender Teil der Gesellschaft hat heute das Gefühl, dass diese Rechte in Gefahr sind.

Kann man die Situation heute mit der von damals vergleichen? 

Nein, das wäre Missbrauch der Geschichte. Denn damals hatten wir es mit einem totalitären Staat zu tun. Das Regime hatte keine Hemmungen, körperliche Gewalt anzuwenden. Heute gibt es das nicht. Trotzdem sind wir besorgt über die Absichten unserer Regierung. Noch vor einigen Jahren glaubten viele, dass der türkische Präsident Erdogan ein Demokrat sei. Heute ist klar, dass er die Türkei in einen autokratischen Staat verwandelt. Und ich habe das Gefühl, dass wir uns auch in diese Richtung bewegen, wenn wir nicht Stopp sagen. 

Sie meinen, Polen entwickelt sich zu einer Diktatur? 

Nicht unbedingt zu einer Diktatur, aber die Regierung geht in eine autoritäre Richtung. Wir können natürlich nicht die Zukunft vorhersagen, aber einiges deutet darauf hin, dass das kein unwahrscheinliches Szenario ist. Und davor haben wir Angst. 

Es ist wichtig, als Mahnung für die nachgeborenen Generationen, daran zu erinnern, was am 13. Dezember 1981 passiert ist, damit wir in zehn oder zwanzig Jahren nicht wieder so dramatische Ereignisse erleben müssen.

Was läuft zurzeit falsch in Polen? 

Das Verfassungsgericht wurde entmachtet, die öffentlichen Medien komplett unter die Kotrolle der Regierung gebracht. Sie versuchen, das Versammlungsrecht zu verschärfen. Auch das Anti-Abtreibungsrecht sollte extrem verschärft werden. 

Der Gesetzentwurf sah Haftstrafen von bis zu fünf Jahren für Frauen vor, die abtreiben... 

Die PiS hat dieses skandalöse Gesetz letztendlich aufgrund von massenhaften Prozessen zurückgezogen. 

Sowohl die PiS als auch KOD sehen sich in der Tradition des antikommunistischen Widerstandes. Wer sind die wahren Erben der Solidarność, die damals das Regime zu Fall brachte? 

Die demokratische Opposition aus der Zeit des Kommunismus ist geteilt. Aber die Mehrheit derer, die den höchsten Preis gezahlt haben, die am längsten in Haft waren und am härtesten um ein freies Polen gekämpft haben, sind auf unserer Seite: Lech Walesa, Wladyslaw Frasyniuk, Bogdan Lis, um nur einige zu nennen.

Aber auch in der PiS gibt es Dissidenten von damals. 

Einige haben sie natürlich, Antoni Macierewicz, der heutige Verteidigungsminister etwa.

Um KOD ist es in letzter Zeit ruhig geworden. Ist die Demonstration heute der Versuch eines Comebacks? 

Zur Überraschung vieler in Polen und in Europa haben wir in den letzten Monaten Hunderttausende Menschen auf die Straße gebracht. Jedoch habe ich das Gefühl, dass unsere Proteste sich nach einem Jahr etwas abgenutzt haben. Aber das ist eine vorübergehende Krise. Heute kehren wir wieder zur Idee der Einigkeit, der Solidarität und zum gemeinsamen Protest zurück. Darin liegt auch eine Chance zur Erneuerung von KOD. Es ist so eine ähnliche Atmosphäre wie vor einem Jahr, diese riesige Energie.