Aufsehenerregender Prozess um Bankenpleite in Bulgarien

09. August 2017, 12:13 Uhr

Mit der Vorlage einer viele tausend Seiten umfassenden Anklageschrift hat die bulgarische Staatsanwaltschaft den Startschuss für die juristische Aufarbeitung der spektakulären Pleite der KTB-Bank 2014 gegeben. Nach Ansicht von Staatsanwalt Ivan Geschev dürfte es der "größte Prozess der bulgarischen Geschichte" werden. Er soll im Herbst beginnen. Der Prozess wird den Bulgaren wohl schmerzhaft die Verhältnisse in ihrem Land in punkto Korruption vor Augen führen.

Deljan Peevski und seine Mutter machen Karriere

Der korpulente Zwei-Meter-Mann Deljan Peevski ist im Bulgarien dieses Jahrtausends eine omnipräsente überlebensgroße Figur. Ab dem Jahr 2001 dient der gerade mal 21-Jährige dem aus dem Exil heimgekehrten und zum Ministerpräsident gewählten Ex-Zaren Simeon von Sachsen-Coburg-Gotha als parlamentarischer Staatssekretär für Transport. In dieser Funktion verantwortet er ohne abgeschlossene Berufsausbildung den größten Schwarzmeerhafen des Landes in Varna. Mit 25 Jahren überwacht der nunmehr studierte Jurist als stellvertretender Minister für Katastrophenschutz die Staatsreserve. Seine Mutter Irena Krasteva, einstige Direktorin der Staatlichen Totogesellschaft ohne jegliche Medienerfahrung, beginnt im Juli 2007 plötzlich,  Tageszeitungen und Onlinemedien zu kaufen. In wenigen Jahren ist ihre "Nova Bulgarska Mediina Grupa Holding" (NBMGH) Bulgariens mächtigster und umstrittenster Medienkonzern. Seit 2009 gehört ihr Sohn Deljan Peevski für die Partei der bulgarischen Türken "Bewegung für Rechte und Freiheiten" (DPS) der Bulgarischen Volksversammlung an, erscheint zu deren Sitzungen allerdings so gut wie nie.

Wird der Bock zum Gärtner gemacht?

Als das sozialistisch geführte Kabinett von Ministerpräsident Plamen Orescharski Peevski im Juni 2013 zum Chef der "Staatlichen Agentur für Nationale Sicherheit" (DANS) bestimmt, löst dies die massivste und nachhaltigste Protestwelle im postkommunistischen Bulgarien aus. Abend für Abend ziehen tausende Bulgaren durch die Straßen Sofias und fragen "Koi?" (Wer?). Wer hat ein Interesse daran, ausgerechnet die Person zum Chef des wichtigsten Geheimdienstes des Landes zu machen, die wie keine andere für politischen Klüngel und Schattenwirtschaft steht? Der Terminus "Modell Koi" steht fortan synonym für das sozioökonomische System Bulgariens, das gemeinhin als das ärmste und korrupteste Land der Europäischen Union gilt.

Medienkauf auf Pump

Über Jahre hinweg bildet der Volksvertreter und inoffizielle Medienmogul Deljan Peevski mit dem Mehrheitseigner der Korporativna Targoska Banka (KTB), Tsvetan Vassilev, ein symbiotisches Gespann.  Kredite von Vassilevs KTB finanzieren Peevskis Mutter den Ankauf von Medien, die anschließend wechselnden Regierungen Medienkomfort bieten und politische und wirtschaftliche Konkurrenten sowie oppositionelle Aktivisten der Zivilgesellschaft in gnadenlosen Medienkampagnen diskreditieren.

Eine profitable Freundschaft zerbricht

Warum es im Frühjahr 2014 zum Bruch zwischen Vassilev und Peevski kommt, ist bis heute nicht bekannt. "Unstimmigkeiten über die gemeinsame Beteiligung am gescheiterten Projekt der Gaspipeline South Stream" lautet eine Version in der öffentlichen Diskussion dazu, "Machtkampf um die Führung des einst staatlichen Tabakkonzerns Bulgartabak" eine andere. Ganz offensichtlich aber sind Peevski und Vassilev seitdem Todfeinde, die sich gegenseitig gar Morddrohungen unterstellen.

Bulgariens viertgrößte Bank schlittert in die Insolvenz

Wenige Monate nach ihrem Zerwürfnis kommt es im Juni 2014 zu einem Bankensturm auf die Filialen der KTB. Tausende besorgte Kunden verlangen die Auszahlungen ihrer Einlagen, Bulgariens viertgrößte Bank geht in die Insolvenz. KTB-Chef Tsvetan Vassilev hält sich seitdem außer Landes auf, gegenwärtig in Belgrad. Er fühle sich in Bulgarien seines Lebens nicht sicher und erwarte dort keinen fairen Prozess, sagt er zur Begründung, warum er sich nicht den bulgarischen Behörden stellt.

Ein Schuldiger wird ausgemacht

Nach drei Jahren Ermittlungstätigkeit hat die bulgarische Staatsanwaltschaft nun ihre vieltausendseitige Anklageschrift zur KTB-Affäre vorgelegt. In ihr bezichtigt sie den flüchtigen Banker Vassilev 76 Vergehen mit einem Schaden in Höhe von 2,7 Mrd. Leva (rund 1,4 Mrd. Euro). Sie erklärt ihn zum Anführer einer kriminellen Vereinigung. Außer ihm sind weitere 17 Personen angeklagt. Durch die Vergabe ungedeckter Kredite an von Strohmännern geführte Unternehmen ohne reale Geschäftstätigkeit habe KTB-Chef Vassilev seine Bank zu einer auf Sand gebauten Pyramide gemacht, die über kurz oder lang zusammenbrechen musste, behauptet der zuständige Staatsanwalt Ivan Geschev. Zudem habe Vassilev seine Bank wie sein persönliches Portemonnaie benutzt, um Medien und politische Projekte zu finanzieren, Unternehmen aufzukaufen und Politiker zu bestechen.

Vassilev bestreit die Vorwürfe

Tsvetan Vassilev und seine Unterstützer bestreiten die Vorwürfe. Sie argwöhnen, die von Deljan Peevski angestiftete politische und staatliche Elite des Landes habe die KTB absichtlich zum Einsturz gebracht. So hält es Kolio Paramov, Mitte der 1990er Jahre Hauptrevisor der Bulgarischen Nationalbank (BNB), für eine "völlige Phantasmagorie", die KTB als "Pyramide" zu bezeichnen. Die Zeit werde kommen, "da das Volk die Wahrheit über die KTB erfährt, die von einem Kreis von 30 bis 40 Personen mutwillig zerstört worden ist", sagt er. Tsvetan Vassilev habe seine Bank "in moderner Weise geführt, um Investitionsprojekte zu realisieren, Arbeitsplätze zu schaffen und Profite zu erwirtschaften".

Wichtige Namen fehlen in der Aklageschrift

Welche der Einschätzungen richtig ist, hat das Gericht zu entscheiden. Ob aber die von der Staatsanwaltschaft vorlegte Anklageschrift als Grundlage für eine rechtsstaatliche Urteilsfindung dienen kann, bezweifeln viele, enthält sie doch auffällige Leerstellen. "Warum findet in der Anklageschrift Deljan Peevski keine Erwähnung", fragten Journalisten den Staatsanwalt bei der Präsentation seiner Anklageschrift. "Weil wir keine Anhaltspunkte ermittelt haben, die seine Erwähnung in ihr nahelegen würden", antwortete Staatsanwalt Geschev. "Auch Putin und Obama werden in ihr nicht erwähnt",  fügte er hinzu. Im Gegensatz zu Putin und Obama war Peevski aber jahrelang als Tsvetan Vassilevs Geschäftspartner bekannt.

Außer Peevskis Namen fehlen weitere Namen in der Anklageschrift, auch der von Ministerpräsident Boiko Borissov. Immerhin war es sein erstes Kabinett, das die KTB durch die Deponierung unverhältnismäßig hoher staatlicher Vermögenswerte zu einer der größten des Landes gemacht hat. Als einziger Politiker findet der frühere TV-Moderator Nikolai Barekov in der Anklageschrift Erwähnung. Dass er heute im EU-Parlament sitzt, soll er dem Umstand zu verdanken haben, dass Tsvetan Vassilev seine populistische Partei "Bulgarien ohne Zensur" finanziert hat.

"Modell KTB" statt "Model Koi"?

Offenbar um den Fall verdaulicher zu machen, hat die Staatsanwaltschaft ihre Anklageschrift zu einem Text mit 150 Seiten komprimiert. Er trägt die Überschrift "Das Modell KTB" und präsentiert Tsvetan Vassilev als den eigentlichen, wenn nicht einzigen Schuldigen für den Zusammenbruch der KTB. Möchte die Staatsanwaltschaft ihr "Modell KTB" an Stelle des "Modells Koi?" als Sprachregelung für das bulgarische Geflecht der Korruption etablieren und so mögliche Mittäter auf Kosten des Hauptbeschuldigten Tsvetan Vassilev reinwaschen? Ob der bevorstehende Prozess auf diese Fragen Antworten gibt, steht mit Spannung zu erwarten.

Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: TV | 27.03.2017 | 19:30 Uhr

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