Universität Leipzig Autoritarismus-Studie: Mehr Ausländerfeindlichkeit im Osten und Kritik am Demokratieerleben

09. November 2022, 18:44 Uhr

Immer weniger Menschen in Deutschland vertreten ein geschlossen rechtsextremes Weltbild und sehnen sich nach der NS-Zeit. Zeitgleich nehmen ausländerfeindliche Ressentiments, vor allem gegen Muslime, in ostdeutschen Bundesländern wieder zu. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Leipziger Autoritarismus-Studie. Die Studienmacher fordern die Politik auf, bessere Rahmenbedingungen für demokratische Teilhabe zu schaffen.

Torben Lehning
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Groß Strömkendorf in Mecklenburg-Vorpommern, Krumbach in Bayern, Bautzen in Sachsen – in Deutschland brennen wieder Unterkünfte für Geflüchtete. Weiter finden gerade in den ostdeutschen Bundesländern rassistische Hetze und ausländerfeindliche Parolen auf regelmäßig stattfindenden Demonstrationen eine wachsende Zuhörerschaft.

In Krisenzeiten würde die Ablehnung gegenüber als fremd empfundenen Gruppen häufig zunehmen, erklärt Johannes Kiess, Soziologe der Uni Leipzig. Er ist Teil einer Forschergruppe, die seit 20 Jahren deutsche Bürgerinnen und Bürger nach ihren politischen Einstellungen befragt.

Ausländerfeindlichkeit steigt im Osten mehr

Die Ergebnisse der Forschergruppe offenbaren eine hohe Ausländerfeindlichkeit in der deutschen Gesellschaft. Gerade im Osten ist diese in den vergangenen zwei Jahren nochmal erheblich angestiegen. So stimmen 38,4 Prozent der ostdeutschen Bürgerinnen und Bürger der Aussage zu: "Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet". Im Westen zeigen sich 22,7 Prozent von dieser Aussage überzeugt.

Psychologe Elmar Brähler erkennt darin ein Muster. Ohne regelmäßige Kontakte würden sich Feindbilder gegenüber als fremd wahrgenommenen Menschengruppen verstärken, erklärt er: "Da haben wir wiederholt festgestellt, dass die Zahl derer, die Ausländer ablehnen, in den Bundesländern am größten ist, die die wenigsten Ausländer in ihrem Land haben. Mit Ausnahme von Bayern. Bayern hat viele Ausländer und ist auch sehr ausländerfeindlich."

Besonders auffällig sind dabei die antimuslimischen Einstellungsmuster in der ostdeutschen Bevölkerung. 46 Prozent der Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer stimmten der Aussage zu, dass Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden solle.

Weniger rechtsextreme Ansichten

Weiter sei festzustellen, so die drei Wissenschaftler, dass es in Deutschland immer weniger Menschen geben würde, die ein geschlossen rechtsextremes Weltbild vertreten. Immer weniger Menschen würden demnach Ansichten der NS-Ideologie vertreten. Fremden- und Ausländerfeindlichkeit würden diese alten Denkmuster immer weiter verdrängen. 

Renaissance von Frauenfeindlichkeit

Auch Frauenfeindlichkeit habe in der Pandemie eine Renaissance erlebt, sagt der Leipziger Sozialpsychologe Oliver Decker. Laut Studienergebnis stimmt in Westdeutschland jede fünfte Person der Aussage "durch Feminismus wird die gesellschaftliche Harmonie gestört" zu. In ostdeutschen Bundesländern vertritt knapp jede dritte Person diese Meinung.

Weiter stimmten 33 Prozent der ostdeutschen Befragungsteilnehmenden der Aussage zu, dass "Frauen, die mit ihren Forderungen zu weit gehen, müssen sich nicht wundern, wenn sie wieder in ihre Schranken gewiesen werden". In Westdeutschland stimmten 25 Prozent dieser Aussage zu.

Unter Pandemie-Bedingungen sei plötzlich wieder der Wunsch gewachsen, dass Frauen doch besser am Herd bleiben sollten, um den Männern den Rücken freizuhalten, sagt Decker.

Das Teilhabe-Problem

Erfreut zeigen sich die Wissenschaftler über die hohen Zustimmungswerte in der Bevölkerung gegenüber der verfassten Demokratie in Deutschland. Trotz der positiven Einstellung gegenüber dem politischen System, seien viele Bürgerinnen und Bürger enttäuscht von ihren Partizipationsmöglichkeiten. Mehr als die Hälfte der Befragten sei mit dem Erleben der sogenannten Alltagsdemokratie unzufrieden, erklärt Decker. Das müsse der Politik zu denken geben.

Die Wissenschaftler fordern die Politik zum Handeln auf. Es müsse darum gehen, bessere Rahmenbedingungen für demokratische Partizipation von Bürgerinnen und Bürger zu schaffen, sagt der Soziologe Kiess: "Es braucht eine Stärkung der Mitbestimmung in den Betrieben, Demokratie erlernen durch erleben in den Schulen, also gesellschaftspolitische Änderungen, die in ganz vielen Lebensbereichen stattfinden müssen."

Gerade in ostdeutschen Bundesländern gäbe es viel Aufholpotential bei der betrieblichen Mitbestimmung und demokratischen Bildungsarbeit. Nur wenn Menschen sich repräsentiert fühlten, würden sie sich auch mit vollem Engagement für das politische System einsetzen.

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