ÖPNV Einsam durch den Burgenlandkreis: Eine Busreportage

24. April 2023, 04:59 Uhr

Eine Analyse von MDR Data zeigt: In vielen Gemeinden Sachsen-Anhalts fahren abends keine Busse mehr. Auch im Burgenlandkreis sind die Verbindungen oft ausbaufähig. Eine der wichtigsten Buslinien dort ist die 604. Sie schlängelt sich von Bad Bibra nach Naumburg und zurück, durch verschlafene Dörfer und vorbei an pittoresken Weinbergen. Doch fährt da überhaupt jemand mit – und wenn ja, warum? Eine Reportage.

Lucas Riemer
Bildrechte: MDR/Tilo Weiskopf

Wer auf dem Land lebt, noch dazu in einem Ort ohne Bahnanschluss, und kein eigenes Auto besitzt, hat oft nur eine Möglichkeit, um zum Arzt, zum Einkauf oder in die Schule zu kommen: den guten alten Linienbus. Aber eine Analyse von MDR Data zeigt: Die Busverbindungen sind in vielen Regionen Sachsen-Anhalts ausbaufähig. Einer dieser Landstriche mit dünnem Nahverkehrs-Netz ist der Burgenlandkreis.

Wer nutzt dort überhaupt die Busse? Wie zufrieden sind die Reisenden und wie einfach ist es, sich in dem Landkreis ohne Auto fortzubewegen? Um das herauszufinden, warte ich an einem Donnerstagnachmittag im April in Bad Bibra – knapp 2.500 Einwohner, drei Bushaltestellen, kein Bahnhof – auf die Linie 604, die mich in knapp einer Stunde in die Kreisstadt Naumburg bringen soll. Außer mir steht niemand an der Haltestelle "Neubaublock", wo die Fahrt laut Plan um 14.55 Uhr beginnt.

Start in Bad Bibra

Meine Sorge im Vorfeld, ob überhaupt ein Bus kommen wird, ist glücklicherweise unbegründet, denn um 14.54 Uhr biegt er um die Ecke. Als regelmäßiger Bahnfahrer bin ich überrascht von so viel Pünktlichkeit, steige vorn ein, bezahle 7,10 Euro für ein Ticket nach Naumburg – zu viel, wie sich später herausstellen wird – und nehme auf dem Doppelsitz in der ersten Reihe rechts hinter dem Busfahrer Platz.

Der Bus ist außer mir menschenleer, und mit etwas Pech könnte das auch so bleiben, sagt mir der Fahrer, als ich ihm von meinen Plänen berichtete. Der Mann hinterm Steuer ist Mitte 40 und trägt Sonnenbrille. Seinen Namen möchte er nicht veröffentlicht sehen. Er erzählt, dass er meistens im Naumburger Stadtverkehr Bus fahre. Die ruhigen Fahrten über die Dörfer seien für ihn eine willkommene Abwechslung. Während er den Bus mit seinen insgesamt rund 90 Sitz- und Stehplätzen über die schmale Landstraße lenkt, ziehen vor dem Fenster abwechselnd Äcker und gepflegte Vorgärten vorbei.

Endlich der erste Fahrgast

An der vierten Haltestelle dieser Tour, in Klosterhäseler, steigt dann doch der erste Fahrgast ein: Deepak Prakashan wohnt in dem 300-Seelen-Ort und macht eine Ausbildung zum Lebensmittel-Techniker. Heute fährt er bis Bad Kösen, um von dort den Zug nach Halle zu nehmen, wo er Freunde besuchen will, erzählt der 26-Jährige.

Auch wenn er zur Berufsschule nach Meuselwitz im benachbarten Thüringen muss, ist Prakashan auf den Bus angewiesen. "Es gibt nur einen Bus um halbsechs Uhr morgens, aber die Berufsschule fängt erst um acht an", sagt Prakashan. Für ihn und seine Azubi-Kollegen, die ebenfalls zur Berufsschule müssen, bedeutet das: Jeden Morgen eine Stunde zu warten in Bad Kösen auf den Anschluss in Richtung Meuselwitz. Als Prakashan am Bahnhof Bad Kösen aussteigt, ruft ihm der Busfahrer ein freundliches "Tschüss" hinterher.

Nun bin ich wieder der einzige Fahrgast, allerdings nicht lange. Schon eine Station später, an der Kaufhalle in Bad Kösen, steigt Enes Mehic ein. Er wolle einen Freund in Naumburg besuchen, erzählt der 33-jährige Bad Kösener. Den Bus nutze er nur gelegentlich. Normalerweise habe er ein Firmen-Auto zur Verfügung. Weil er an diesem Tag keinen Dienstwagen hat, nimmt er den Bus für die knapp zehn Kilometer in die Kreisstadt. "Ich bin mit den Bussen nicht so zufrieden", sagt Mehic. "Oft kommt der Bus nicht und ich warte umsonst."

Ob ein Leben komplett ohne Auto für ihn möglich wäre? "Ich glaube nicht", antwortet Mehic auf meine Frage. "Wenn du früh arbeiten musst, schaffst du das nicht mit dem Bus. Der erste fährt erst um sechs, aber ich müsste schon eher los."

Fast pünktlich auf die Minute erreichen wir kurz darauf Naumburg. Mehic eilt aus dem Bus, für den Besuch bei seinem Freund hat er nicht viel Zeit: Spätestens gegen 19 Uhr muss er wieder an der Haltestelle sein. Dann fährt der letzte Bus zurück nach Bad Kösen.

Etappenziel Naumburg

Ich bleibe bis zur Endstation "City-Busstopp" an Bord, um von dort den Bus in die Gegenrichtung zurück nach Bad Bibra zu nehmen. Die Bilanz der Hinfahrt: Auf der 30 Kilometer langen Strecke zwischen Bad Bibra und Naumburg haben an diesem Nachmittag inklusive mir drei Fahrgäste den Bus der Linie 604 genutzt. Die elektronische Kasse des Busfahrers zeigt Einnahmen von 14,20 Euro an.

Später erfahre ich von der Personenverkehrsgesellschaft Burgenlandkreis, die die Busse im Burgenlandkreis betreibt, dass an Wochentagen im Jahr 2022 durchschnittlich 187 Fahrgäste mit der Linie 604 gefahren sind. Eine überschaubare Zahl, gemessen daran, dass die Linie an manchen Tagen mit verschiedenen Strecken-Verläufen bis zu 22 Mal je Richtung bedient wird, oft allerdings als Rufbus nur bei Bedarf.

Triste Haltestellen, verwirrende Preise

Als "City-Busstopp" hatte ich einen futuristischen Busbahnhof erwartet, mit nebeneinanderliegenden, überdachten Bussteigen, Anzeigetafeln, Fahrkartenautomaten, vielleicht sogar einem Imbiss. Die Realität gestaltet sich deutlich trister: Viel mehr als ein paar provisorisch aufgestellte Haltestellenschilder in zwei Nebenstraßen der Naumburger Innenstadt hat der "City-Busstopp" nicht zu bieten.

An der Haltestelle für die Busse Richtung Bad Bibra warte ich erneut alleine, an den übrigen Bussteigen ist ebenfalls nicht viel los. Auch diesmal geht die Fahrt pünktlich los. Eine Minute vor der fahrplanmäßigen Abfahrt hält der Bus vor mir.

Diesmal sitzt Jürgen Hickethier am Steuer. Der 63-Jährige ist mit kurzer Unterbrechung seit 44 Jahren Busfahrer, die meiste Zeit davon im Burgenlandkreis. Kaum einer kennt die Buslinien im Kreis besser als er. Bei ihm zahle ich für mein Rückfahrt-Ticket nur 5,40 Euro. Manche seiner Kollegen würden bei Fahrten zwischen Naumburg und Bad Bibra versehentlich eine Zone zu viel berechnen, sagt Hickethier. Das Tarifsystem im Mitteldeutschen Verkehrsverbund – offenbar ist es selbst für die Busfahrer kaum zu verstehen.

Zu DDR-Zeiten waren die Busse immer voll.

Jürgen Hickethier | Busfahrer

Mit mir als einzigem Fahrgast verlassen wir den "City-Busstopp", später in Naumburg kommt ein weiterer Mann dazu. "Zu DDR-Zeiten waren die Busse immer voll", erzählt Jürgen Hickethier. Heutzutage seien die jüngeren Menschen jedoch zu bequem und würden lieber mit ihren eigenen Autos fahren. Seine Fahrgäste seien vor allem Schüler und Rentner.

Kommen und Gehen in Bad Kösen

Nach einem idyllischen Streckenabschnitt durch Wälder und Weinberge erreichen wir Bad Kösen, wo der einzige andere Fahrgast aussteigt und vier neue Fahrgäste einsteigen. Eine davon ist Birgit. Die 67-Jährige, die nur ihren Vornamen nennen möchte, war mit ihrem Ehemann in Halle, jetzt sind die beiden auf dem Weg nach Hause nach Bad Bibra.

"Früher", sagt Birgit, "haben wir den Bus fast nie genutzt." Erst seit ihr Mann aus gesundheitlichen Gründen kein Auto mehr fahren könne, würden sie öfter Bus und Bahn nehmen. "Wir sind eigentlich ganz zufrieden", sagt Birgit, auch die Preise seien in Ordnung.

Dann schaltet sich ihr Mann ins Gespräch ein. Es sei schade, dass die Busse an den Landkreis-Grenzen enden und es nicht mehr wie früher direkte Verbindungen ins benachbarte Thüringen gebe, sagt er. Auch Birgit fällt noch ein Kritikpunkt ein: "Es wäre schön, wenn später am Abend ein zusätzlicher Bus fahren würde", sagt sie, bevor wir Bad Bibra erreichen und alle verbliebenen Fahrgäste – dieses Mal waren es auf der kompletten Strecke inklusive mir immerhin sechs – den Bus verlassen. Bevor auch ich aussteige, spreche ich ein weiteres Mal mit Fahrer Jürgen Hickethier.

Mehr Fahrgäste dank Deutschlandticket?

Ich frage ihn, was er über die Zukunft, Bus zu fahren auf dem Land, denkt. "Als es im vergangenen Jahr für drei Monate das Neun-Euro-Ticket gab, hat man gemerkt, dass plötzlich auch andere Menschen als sonst die Busse genutzt haben", antwortet Hickethier. "Ich könnte mir vorstellen, dass es mit dem Deutschlandticket ähnlich sein wird."

Er selbst werde mit dem Bus zu fahren, auf jeden Fall treu bleiben. Er gehe zwar bald in Rente, als Urlaubsvertretung wolle er aber weiterhin Busse durch den Burgenlandkreis steuern. Früher wäre so etwas nicht gegangen, sagt Hickethier. Doch die Zeiten hätten sich geändert: Heutzutage seien Busfahrer Mangelware und sehr gefragt – obwohl sie oft fast leere Fahrzeuge lenken.

Das Thema ÖPNV bei "Fakt ist!" Bei "Fakt ist!" diskutieren am Montagabend unter anderem Sachsen-Anhalts Verkehrsministerin Lydia Hüskens (FDP) und der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Claus Weselsky, über Probleme und Herausforderungen des öffentlichen Nahverkehrs. Zu sehen am 24. April ab 22.10 Uhr im MDR Fernsehen oder in der ARD-Mediathek.

MDR (Lucas Riemer)

Dieses Thema im Programm: FAKT IST! | 24. April 2023 | 22:10 Uhr

9 Kommentare

weils so nicht unwidersprochen bleiben darf am 25.04.2023

Es wird wohl langsam Zeit, einzusehen, dass "öffentlicher Nahverkehr" ausserhalb der Verdichtungszonen der Städte keine effiziente Lösung der Verkehrfragen darstellt. Zumal Netz- und Dauerkarten "weiter draussen" nicht BILLIGER, sondern TEURER werden, solange es statt Streckendauerkarten - die die PendlerINNen und einkaufenden Hausmänner wirklich brauchen würden - nur ZONENkarten angeboten werden.
Solange auf vier Passagiere ein Busfahrer kommt - drei Schichten am Tag, voll zu bezahlen, wenn man einigermassen den Tag abdecken will - wird es günstiger bleiben, mit dem Nachbarn abzusprechen, wann man zusammen im Auto fahren kann - ohne bezahlten Fahrer zusätzlich im Kofferraum. Und nicht nur FINANZIELL günstiger, sondern auch EFFIZIENTER - in jeder Hinsicht, auch bezüglich "Klima" u.a.
Was ein wenig helfen könnte, wären mit dem Auto (oder Rad, oder zu Fuss) erreichbare "Anschluss-Bahnhöfe", gut verteilt im ländlichen Raum, und mit ausreichend einigermassen gesicherten Raum zum Parken.

Moewe1 am 25.04.2023

Statt mitten am Tag zu reisen, hätte man einmal den Versuch früh am Morgen und am späten Nachmittag durchführen sollen, um den Weg zur Arbeit zu simulieren. Den täglichen Nutzern sind die pittoresken und romantischen Eindrücke der Gegend ziemlich egal . Sie wohnen halt hier. Der Autor hat nur Fahrgäste interviewt, die Zeit hatten. Vielleicht sollte Herr Menic die INSA -App nutzen. Mit dieser kann man wunderbar planen, wie man mit dem ÖPNV von der Haustür zum Ziel kommt. Er wird auch feststellen, dass die Verbindung zwischen Bad Kösen und Naumburg ziemlich dicht getaktet ist. Ich brauche jedenfalls 55min mit ÖPNV zur Arbeit und mit dem dem PKW max. 20 min, also 1h mehr am Tag. Der Kompromiss ist das Fahrrad - 35min.

hilflos am 24.04.2023

Anni genau so ist es. Wenn man nicht Rentner oder Urlauber ist, dann geht es nicht. Selbst dann fahren die Busse so selten, dass man ggf stundenlang Aufenthalt hat. Weiterhin besteht das unsichere Gefühl den einzigen Rückfahrtbus zu verpassen und zu stranden

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