Drohende Unterversorgung Zahnarzt über Probleme: "Die Verantwortlichen ignorieren die Situation seit Jahren"

30. Juni 2023, 07:24 Uhr

Die Zahnärzte in Sachsen-Anhalt warnen lautstark vor einem Praxissterben, weil der Nachwuchs fehlt. Und der Vorwurf: Die Politik unternehme nichts dagegen. Auf den Protest der Zahnärzte am Mittwoch folgte am Donnerstag eine entsprechende Debatte im Landtag. Doch die Gesundheitsministerin weist die laute Kritik von sich.

MDR San Mitarbeiter Engin Haupt
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat am Donnerstag über die zahnmedizinische Versorgung im Land debattiert. Am Vortag hatten die Zahnärzte und bereits vor dem Landtagsgebäude in Magdeburg demonstriert. Sie sind unzufrieden mit der Politik. Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) kann das nicht nachvollziehen. Die Abgeordneten werden sich mit dem Thema trotzdem auch über die Debatte hinaus beschäftigen: Sie haben den entsprechenden Antrag der Linksfraktion unter anderem in den Sozialausschuss überwiesen.

Linksfraktion kritisiert Zeitpunkt der Debatte

Eigentlich war die Debatte im Landtag für Freitagmittag vorgesehen. Nach dem öffentlichen Protest der Zahnärzte und ihrer Angestellten am Mittwochmorgen entschieden sich die Abgeordneten, das Thema vorzuziehen, eigentlich bereits auf den folgenden Abend. Doch die andauernde Nicht-Wahl eines neuen Datenschutzbeauftragten sorgte dafür, dass am Ende die Zeit ausging. Und so rutschte der Tagesordnungspunkt schließlich auf Donnerstagabend.

Hendrik Lange, der den Antrag für die Linken im Landtag vorgestellt hat, hätte es sich anders gewünscht. "Der Tagesordnungspunkt hätte an eine prominente Stelle gehört", sagte Lange im Interview mit MDR SACHSEN-ANHALT. Immerhin: Die eigentlich erst für 22:10 Uhr angesetzte Debatte konnte dann doch bereits am frühen Abend stattfinden, weil sich die Abgeordneten bei anderen Tagesordnungspunkten entsprechend beeilten.

Zahnärzte demonstrierten am Mittwoch

Bereits für Mittwochmorgen hatte der Freie Verband Deutscher Zahnärzte zum Protest vor dem Landtag aufgerufen. Rund 350 Menschen waren dem Aufruf gefolgt, darunter auch Dr. Bernd Hübenthal. Er war Zahnarzt in Sangerhausen und lange auf der Suche nach einem Nachfolger für seine eigene Praxis. Doch alle Bemühungen blieben erfolglos. "Der Praxissitz ist verloren. Jetzt sind zirka 2.000 Patienten auf der Suche nach einem anderen Zahnarzt", erklärte Hübenthal MDR SACHSEN-ANHALT am Rande der Demonstration und fügte hinzu: "Die derzeit Verantwortlichen um die Gesundheitsministerin ignorieren die Situation, die wir haben, schon seit Jahren."

Die Abgeordneten, die auf dem Weg ins Landtagsgebäude waren, bekamen von den Demonstranten jeweils einen Zettel mit Forderungen in die Hand gedrückt. Darauf zu finden sind klare Handlungsanweisungen an die Landespolitik: Die Einführung einer Landeszahnarztquote, die finanzielle Beteiligung an Förder- und Stipendienprogrammen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung sowie die Entwicklung landeseigener Förderprogramme. Die Landeszahnarztquote soll dafür sorgen, in Sachsen-Anhalt ausgebildete Zahnmediziner auch zu halten, damit Praxen wie die von Dr. Hübenthal weitergeführt werden können.

Die derzeit Verantwortlichen um die Gesundheitsministerin ignorieren die Situation, die wir haben, schon seit Jahren.

Dr. Bernd Hübenthal, ehemaliger Zahnarzt aus Sangerhausen

Von der Praxisschließung betroffen war auch seine Ehefrau Morena Hübenthal. Insgesamt 13 Jahre lang hat sie dort ihr berufliches wie auch ihr privates Glück gefunden. Nach dem Aus der Praxis musste sie sich etwas Neues suchen: "Ich bin jetzt in einer Zahnarztpraxis in Halle und fahre jeden Tag 40 Kilometer bis zur Arbeit. Das ist eine sehr große Umstellung." Jetzt arbeite sie in einer Praxis mit mehreren angestellten Ärzten. Doch sie bevorzuge eigentlich die kleine Praxis, weil sich dort individueller um die Patienten gekümmert werden könne.

Gesundheitsministerin reagiert emotional

Mit dem am Donnerstagabend diskutierten Antrag der Linken sollte der Landtag unter anderem anerkennen, dass es bereits jetzt eine zahnärztliche und kieferorthopädische Unterversorgung gibt. Doch Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) verwies darauf, dass diese Feststellung allein dem Landesausschuss der Zahnärzte und der Krankenkassen obliege: "Dieser hat bisher für keinen Landkreis und keine kreisfreie Stadt eine bestehende Unterversorgung festgestellt."

Der Demonstration, an der sich die Kassenzahnärztliche Vereinigung wie auch der Freie Verband Deutscher Zahnärzte beteiligten, konnte die Ministerin nur wenig abgewinnen: "Es tut weh, wenn man gesagt bekommt 'Faule Politik, faule Zähne', weil wir eigentlich immer im Dialog sind mit beiden Organisationen." Es müsse alles nach Recht und Gesetz gehen – und bislang sei eben kein Versorgungsnotstand festgestellt worden.

Weitere Gespräche in den Ausschüssen

Im Gegensatz zur Gesundheitsministerin warben die Fraktionen für eine intensivere Auseinandersetzung mit dem drohenden Zahnärztemangel. Deswegen überwiesen sie den Antrag der Linken einstimmig in den Sozialausschuss sowie den Wissenschafts- und den Finanzausschuss. Dort kann dann detaillierter und mit externer Expertise über mögliche Lösungen diskutiert werden.

Im Audio von MDR SACHSEN-ANHALT vom 28. Juni können Sie mehr über den Protest der Zahnmediziner hören.

Hendrik Lange (Linke) sagte MDR SACHSEN-ANHALT im Anschluss an die Debatte, er hoffe, dass die Landesregierung und die Koalition das Ansinnen der Zahnärzte ernstnähmen und sich das im nächsten Haushalt bemerkbar mache. Übersetzt heißt das: Lange wünscht sich mehr Geld für die zahnmedizinische Versorgung im Land – eine Forderung, die auch die Zahnarztverbände teilen.

MDR (Engin Haupt)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 28. Juni 2023 | 12:00 Uhr

3 Kommentare

pwsksk am 01.07.2023

Frau Grimm Benne, seit Jahren sehen die Menschen, was in diesem Land passiert. Und nicht erst seit Corona.
Es fehlt das Geld in den Kassen. Warum, das sollten die Politiker schon wissen. Budgetierung und Ärztezwänge halten auch diesen fehlpolitischen Prozess nicht auf. Verweisen sie nicht auf andere.

salzbrot am 30.06.2023

die Anzahl der Studienplätze für Zahnmedizin hat sich nicht verringert, jedoch die durchschnittliche Wochenarbeitszeit. Auch dies ist eine Ursache von Unterversorgung. Eine Kosnequenz könnte sein, die Anzahl der Studienplätze zu erhöhen, um den Teilzeittrend zu kompensieren sowie die ältere Bevölkerung und die aufwändigeren zahnerhaltenden Methoden, die auch mehr Zeit kosten als Zähne ziehen.

wuff am 30.06.2023

Frau Petra Grimm-Benne, mit einem Verweis auf den Landesausschuss der Zahnärzte und der Krankenkassen ist es nicht getan. Eine Aussage, ohne ein Dokument vorzulegen ist in der Politik schon lang kein Beweis mehr, das sollten Sie wissen.

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