Der verunglückte Bus ist an der Unfallstelle auf der A9 zu sehen.
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Interview Unfallforscher zu Busunglück: "Problem war, dass beide Türen blockiert waren"

29. März 2024, 09:40 Uhr

Vier Tote und mehr als 40 Verletzte, sechs von ihnen schwer verletzt - das ist die tragische Bilanz des Busunfalls auf der Autobahn 9 bei Schkeuditz. Wie gefährlich sind Doppelstockbusse und wo lag bei diesem Unfall die besondere Schwierigkeit? Das erklärt der Unfallforscher und Leiter des Bereichs Verkehrssicherheit bei der Björn-Steiger-Stiftung, Siegfried Brockmann, im Interview.

Frage: Herr Brockmann, wie gefährlich ist Busfahren auf deutschen Straßen?

Siegfried Brockmann: Die Busindustrie sagt ja sehr gern, dass Busfahren sehr viel sicherer sei als Autofahren. Dazu bemüht sie die Personenkilometer, also die Zahl der Kilometer multipliziert mit der Zahl der Insassen. Das ist nicht völlig falsch, nützt aber dem Einzelnen nichts. Deswegen ist es mir lieber, wir sehen nur auf die gefahrenen Kilometer. In diesem Fall wären Busse nicht sicherer als Autos, allerdings auch nicht unsicherer.

Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer
Siegfried Brockmann ist Verkehrsexperte und Unfallforscher beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Bildrechte: IMAGO / Jürgen Heinrich

Wie hoch schätzen Sie das Risiko für Passagiere in Doppelstockbussen ein?

Der Doppelstockbus hat eine höhere sogenannte Hochachse. Die Möglichkeit, dass er kippt, ist etwas größer als beim einfachen Bus. Wenn er sich tatsächlich überschlagen würde, haben wir beim Doppelstockbus das Problem, dass die Dachkonstruktion relativ fragil ist und relativ schnell eingedrückt werden kann. Das war beim Unfall auf der A9 bei Leipzig nicht der Fall, ist aber grundsätzlich beim Doppelstockbus ein höheres Risiko, wenn es zu Überschlagsunfällen kommt. Hier hat es jetzt keinen Unterschied gemacht. Es war das Problem, dass beide Türen blockiert waren.

Niemand konnte also schnell in den Bus, um Schwerverletzte zu retten?

Wenn Sie Rauch- oder Brandentwicklung haben, müssen die Passagiere allein schnell rauskommen. Liegt der Bus auf der Seite und blockiert die Türen, ist das jedoch nur sehr, sehr erschwert bis sogar unmöglich. Beim aktuellen Busunfall hatten die Rettungskräfte das Problem, dass sie über die obere Scheibe hinein mussten, was sehr kompliziert und umständlich ist. Oder sie mussten den Bus erst aufrichten. Das bedeutet wertvoller Zeitverlust, wenn wir Schwerverletzte im Bus haben.

Wieso ist das schwer und umständlich die Scheibe von oben einzuschlagen?

Die linke Bus-Seite zeigt in etwa drei Metern Höhe nach oben. Sie müssen in dieser Höhe arbeiten und Schwerverletzte nach oben hinaus hieven, um sie dann wieder drei Meter nach unten auf den Boden zu bringen. Unter diesen Umständen kann eine Bergung sehr langwierig und kompliziert sein. Möglicherweise gibt es auch schwere Knochenbrüche, da kann man die Verletzten ja nicht durch total schmale Öffnungen bugsieren. Insofern ist die Tür schon die einzig wichtige und vernünftige Öffnung. Wenn sie blockiert ist, haben wir das Problem.

Wo sitzt man Doppelstockbus unsicherer oder sicherer?

Die Frage wurde mir schon öfter gestellt. Das kann man nicht wissen. Das hängt von den Details des Unfalls ab. Da würde ich gar keinen Rat geben wollen. Nehmen wir an, es hätte ein Brückenpfeiler im Weg gestanden und der Bus wäre quer dagegen geprallt – dann sitzen sie in der Mitte am Schlechtesten. Es kann aber auch sein, dass der Aufprall vorn stattfindet, dann sitzen sie vorn schlecht. Der Rat, den ich gebe, ist, dass man im Zweifel im Bus nicht damit rechnen muss, dass ständig Unfälle passieren. Das sind unterm Strich vergleichsweise seltene Ereignisse.

Wie wichtig ist das Anschnallen?

Das Anschnallen ist enorm wichtig. In Bussen haben wir in der Regel nur den Beckengurt. Der ist natürlich nicht so gut, wie der Dreipunktgurt im Auto. Möglicherweise prallt man mit dem Kopf gegen den Vordersitz. Entscheidend ist jedoch, dass ich im Sitz gehalten werde, wenn der Bus zur Seite kippt. Das kann schwere Kopfverletzungen verhindern. In der Regel weist der Busfahrer bei Fahrtantritt darauf hin, fährt jedoch später und kann es nicht mehr ständig kontrollieren. Die Passagiere stehen auf, gehen zur Toilette oder kaufen sich ein Getränk. Sie sind in ständiger Bewegung. Der Busfahrer müsste regelmäßig an das Anschnallen erinnern. Durchsetzen kann er es im Zweifel nicht.

In Pkw gibt es Warnsignale. Sind die auch für Busse denkbar?

Natürlich hat man darüber nachgedacht, den Fahrer vorn zu unterstützen, indem er angezeigt bekommt, welcher Gurt geschlossen oder geöffnet ist. Nur, wie gesagt, im Bus kann man ja, anders als im Auto, aufstehen. Es ist zu befürchten, dass da vorn regelmäßig alles Mögliche piepst. Das ist im Zweifel kein Sicherheitsgewinn. Ich plädiere dafür, dass man Sicherheitskarten hinter jedem Sitz platziert, wie wir sie aus Flugzeugen kennen. Darauf sollte möglichst mehrsprachig darauf hingewiesen werden, wie wichtig das Anschnallen ist.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 28. März 2024 | 16:00 Uhr

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