Autobahnpolizei Schreckensszenario Geisterfahrer - die Angst fährt mit

08. Januar 2023, 16:01 Uhr

Für die meisten Menschen ist es unvorstellbar, selbst zum Geisterfahrer zu werden. Tatsächlich aber kann es jeden treffen. Schlafmangel, erhöhter Stress, Dunkelheit oder ungünstige Witterungsbedingungen sind einige der Gründe, die dazu führen können. Die Thüringer Autobahnpolizei beobachtet aber auch oft Unvernunft und Alkohol als Gründe für das gefährliche Verhalten.

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Bildrechte: MDR/Grit Hasselmann

Polizeihauptmeister Christian F. und Polizeimeisterin Marie M. haben Dienst am ersten Weihnachtsfeiertag, da kommt die Meldung über einen Geisterfahrer auf der Autobahn. "Man macht sich keine Gedanken, was alles passieren könnte, wir haben ja oft mit Unfällen, leider auch schweren, zu tun. Aber man fängt schon an, sein Vorgehen zu planen" erzählen sie.

Die Streife der Autobahnpolizei haben neue Fahrzeuge erhalten
Bei einer Geisterfahrer-Meldung fahren immer mehrere Streifenwagen zum Einsatz. Bildrechte: MDR/Jörg Thiem

Als sie am Einsatzort ankommen, sind auch schon Kollegen vor Ort. Die Autobahnpolizisten fahren in Fahrtrichtung auf die Autobahn, ein Funkstreifenwagen verlangsamt den Verkehr und konzentriert ihn auf der rechten Spur, der andere fährt davor, dem Geisterfahrer entgegen. "Angst hat man da nicht. Man funktioniert einfach", sagt Christian F..

Schnellster Weg zurück zur Raststätte

Der Geisterfahrer allerdings hatte die Polizei bemerkt, auf der Autobahn gewendet und die nächste Abfahrt genommen. Dort wurde er aber schon von weiteren Streifenwagen erwartet und konnte gestoppt worden. Als Christian F. und Marie M. mit ihm sprechen, stellt sich heraus, dass er an der Raststätte sein Portemonnaie und sein Handy vergessen hatte und deshalb schnell zurückfahren wollte. Der Alkohol-Test ergab mehr als zwei Promille.

Emotionen abschalten

Erst wenige Tage zuvor hatte ein Geisterfahrer drei Menschen in den Tod gerissen. Wie schaffen es die Polizisten dann, bei solchen Aussagen ruhig zu bleiben? "Das gehört zu unserem Job", sagt Christian F. Und wir arbeiten unsere Routinen ab, fertigen eine Anzeige, nehmen die Personalien auf - das hilft, die Emotionen im Griff zu behalten. Aber natürlich habe ich ihm deutlich gesagt, welche Folgen sein Verhalten hätte haben können."

Das hat der Mann dann auch eingesehen, erzählt der Autobahnpolizist. "Aber er war sehr überrascht, dass er seine Fahrt nicht fortsetzen konnte."

Erst danach, so ergänzt Dienstschichtleiter Michael S., wenn alles abgeschlossen ist, können die Kollegen Gefühle zulassen. Da muss man dann tief durchatmen, sich mit seinem Partner austauschen, bevor man wieder ins Auto steigen kann. "Aber viel Zeit bleibt nicht, denn der Dienst geht ja weiter." Wenn allerdings mehr Gesprächsbedarf besteht, die Belastung größer ist, gibt es in der Dienststelle auch Unterstützung, sagt der Polizeihauptkommissar.

Wie wird man zum Geisterfahrer?

Für Falschfahrten gibt es ganz unterschiedliche Gründe und längst nicht alle Geisterfahrer handeln mit Absicht. Häufig spielen unübersichtliche Beschilderung und schlechte Sichtverhältnisse eine Rolle.

Viele Geisterfahrten beginnen an Raststätten, wenn wenig Betrieb herrscht und man unachtsam in die falsche Richtung startet. Dies mag zunächst unrealistisch klingen, aber nachts reicht schon eine halbe Minute ohne richtungsweisenden Verkehr aus, um die Abfahrt in entgegengesetzter Richtung zu nehmen und zu beschleunigen.

Wenn Autofahrer überfordert sind, kann es leicht zu einer Geisterfahrt kommen. Überforderung ist oft durch das Alter (Demenz, Verwirrung, Unerfahrenheit bei jungen Verkehrsteilnehmern), aber auch durch Alkohol oder Drogen bedingt.

Selten kommt es vor, dass Menschen in suizidaler Absicht zum Falschfahrer werden und mit dem Fahren in die falsche Richtung einen Unfall provozieren möchten.

Hilfsangebote zur Suizidprävention Sie tragen sich mit Selbsttötungsgedanken oder durchleben gerade eine persönlichen Krise? Die Telefonseelsorge hilft Ihnen rund um die Uhr: 0800 1110111 und 0800 1110222. Der Anruf ist anonym und taucht nicht im Einzelverbindungsnachweis auf.

Auf der Webseite www.telefonseelsorge.de finden Sie weitere Hilfsangebote, zum Beispiel per E-Mail oder im Chat.

Das Wenden auf mehrspurigen Schnellstraßen und Autobahnen gehört auch zu den Ursachen für Geisterfahrten. Gründe dafür sind beispielsweise die Flucht vor der Polizei oder die Umgehung von Verkehrsbehinderungen bzw. Staus. In einigen Fällen kommt es auch durch Mutproben zu vorsätzlichen Geisterfahrten.

Zum Aufklappen: Welche Strafen Geisterfahrern drohen

Das Fahren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung ist laut § 315c des Strafgesetzbuches (StGB) eine Gefährdung für den Straßenverkehr und deshalb eine Straftat. Auch das Wenden oder Rückwärtsfahren auf Autobahnen oder autobahnähnlichen Strecken ist grundsätzlich verboten.

Wie hoch die Strafe für Falschfahrten ausfällt, ist vor allem davon abhängig, ob die Tat vorsätzlich oder unabsichtlich begangen wurde und welcher Schaden entstanden ist.

Vorsätzliche Geisterfahrten

Wer absichtlich entgegen der Fahrtrichtung fährt, muss mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen.

Versehentliche Falschfahrten

Autofahrer, die unabsichtlich als Geisterfahrer unterwegs sind, müssen meist ein Bußgeld zahlen. Hinzu kommt auch ein Fahrverbot bis zu drei Monaten oder ein Entzug der Fahrerlaubnis von mindestens sechs Monaten. Die Tat des Geisterfahrers wird in diesem Fall als Ordnungswidrigkeit statt als Straftat behandelt.

Unfall mit anderen Verkehrsteilnehmern

Verursacht der Geisterfahrer einen Unfall, bei dem andere Personen zu Schaden oder sogar zu Tode kommen, folgen zusätzliche Prozesse und Urteile mit höheren Strafen.

Verkehrstafel Stop Falsch
Diese Schilder sollen verhindern, dass jemand versehentlich in die falsche Richtung fährt. Bildrechte: imago images/CHROMORANGE

Allerdings werden Falschfahrer selten gefasst, erzählt Oliver Hanf, Sprecher der Thüringer Autobahnpolizei. "Ein Stoppen auf frischer Tat, also direkt beim Fahrmanöver gelingt sehr selten, da die Zeit des Falschfahrens in der Regel recht kurz ist und die Geisterfahrer bei kommender Gelegenheit abfahren bzw. drehen."

Man ist ja in einer absoluten Stress-Situation, wenn einem plötzlich ein Geisterfahrer entgegenkommt.

Oliver Hanf Autobahnpolizei Thüringen

Wenn also kein Unfall geschieht, hat die Polizei das Problem, dass von Zeugen wenig Details zu Wagen und Fahrer übermittelt werden können. "Das ist auch völlig verständlich", so Hanf weiter. "Man ist ja in einer absoluten Stress-Situation, wenn einem plötzlich ein Geisterfahrer entgegenkommt. Wir sind trotzdem froh über jede Meldung, weil wir nur dann schnell handeln können."

Das Innenministerium bestätigt das. Im Jahr 2021 gab es demnach 51 polizeilich registrierte Falschfahrermeldungen in Thüringen. Neun der Falschfahrer wurden durch die Polizei ermittelt.

Sowohl die Autobahnpolizei als auch das Ministerium stellen fest, dass es in Thüringen keine Falschfahrer-Schwerpunkte gibt. Oliver Hanf: "Die Meldungen von Geisterfahrern erstrecken sich auf alle Thüringer Autobahnen, wobei ein leichte Überrepräsentation im Bereich der zweispurigen Autobahnen entgegen der Verkehrsdichte zu erkennen ist." Ein klarer Trend ist das aus seiner Sicht jedoch nicht.

Wie kann man Geisterfahrten verhindern?

Bei der Frage, ob und wie man Geisterfahrer auf der Autobahn stoppen kann, gehen die Meinungen auseinander. Ein naheliegendes Mittel gegen Falschfahrten ist die Verbesserung der Beschilderung. Besonders an Anschlussstellen, Autobahnkreuzen und Baustellen kann man durch große und farblich hervorstechende Schilder viel erreichen.

Kontrovers diskutiert ist auch das Anbringen von Metallkrallen in der Fahrbahn an Autobahnauffahrten, die das Überfahren nur in einer Richtung gestatten. Oliver Hanf: "Auch wir als Autobahnpolizei und Feuerwehr und Rettungsdienste nutzen oft Auffahrten auf der Gegenfahrbahn, um schnell zum Unfallort zu kommen. Das wäre nicht möglich, wenn diese Systeme eingesetzt würden."

Außerdem sei die sichere Funktion bei Witterungsbedingungen mit Eis und Schnee nicht gewährleistet.

In Thüringen stehen besonders die Tunnel im Fokus der Experten. Immerhin verfügt der Freistaat über insgesamt zwölf Straßentunnel mit einer Länge der Tunnelröhren von 43 Kilometern. Erkennungssysteme mit Wärmebildkameras sowie doppelten Induktionsschleifen seien laut Ministerium bisher im Rennsteigtunnel sowie im Tunnel "Alte Burg" auf der Autobahn 71 installiert.

Pläne für Tunnelsicherung geändert

Ursprünglich war geplant, alle weiteren Thüringer Autobahntunnel bis Ende 2022 mit einem Falschfahrererkennungssystem auszustatten. Das ist nicht passiert.

Zu den Gründen kann das Innenministerium nichts sagen. Denn, so ein Sprecher, die Zuständigkeit für die Bundesautobahnen befindet sich seit 1. Januar 2021 in Bundeshoheit. "Aufgaben der Straßenbaulast im Sinne des § 3 Bundesfernstraßengesetz wurden der Autobahn GmbH des Bundes übertragen."

Die hat Ende letzten Jahres mitgeteilt, dass ab 2023 alle Thüringer Autobahntunnel mit dem Falschfahrer-Warnsystemen ausgestattet werden sollen. Laut "Thüringer Allgemeine" vom 17.11.22 habe das für die Autobahn GmbH allerdings keine Priorität, da Falschfahrten "überaus seltene Ereignisse" seien.

Das System erkennt mit Induktionsschleifen unter dem Asphalt und mit Videokameras die Falschfahrer. Nur Sekunden später wird die Alarmkette in Gang gesetzt, sodass die Polizei den Falschfahrer aufhalten kann. Die Kosten für die Warnmelder liegen bei etwa 20.000 Euro pro System.

Zum Aufklappen: Was, wenn ein Geisterfahrer gemeldet wird?

  • Reduzieren der eigenen Geschwindigkeit
  • Vorausschauendes und defensives Fahren
  • Einhalten von ausreichendem Abstand zum Fahrzeug vor Ihnen
  • Vermeiden von Überholvorgängen
  • Fahren auf der rechten Spur und dort auf der rechten Seite
  • ggf. Einschalten der Warnblinkanlage
  • ggf. einen Parkplatz nutzen oder von der Autobahn abfahren, bis der Verkehrsfunk Entwarnung gibt

Zum Aufklappen: Was, wenn man selbst der Geisterfahrer ist?

  • Ruhe bewahren
  • Warnblinkanlage und Licht einschalten und Geschwindigkeit verringern
  • Nicht wenden, sondern vorsichtig an den Seitenstreifen fahren und den Wagen abstellen
  • Polizeilichen Notruf wählen und Hilfe anfordern
  • Abwarten, bis die Polizei eintrifft

Dieses Thema im Programm In der kommenden Woche wird sich unser "Redakteur für Hörerfragen" mit Falschfahrern näher beschäftigen und auf aktuelle Forschungen zum Thema eingehen.

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MDR (gh)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 04. Januar 2023 | 19:00 Uhr

31 Kommentare

martin am 09.01.2023

Stimmt - meine Meinung spielt für die Zahlen in der Tat keine Rolle. Trotzdem erlaube ich mir, sie hier mitzuteilen.

Allerdings: Wenn das autonome Fahren mal zugelassen ist, halte ich es für extrem unwahrscheinlich, dass es wieder zurückgezogen wird. Aber das wäre ein anderes Thema und soll daher von mir hier nicht weiter vertieft werden.

astrodon am 09.01.2023

@Reuter4774: Leider stimmt Ihre Behauptung nicht: Altersgruppe 60-80 22,0%, 80-100 7,3%, 20-40 24,4%. Die größte Bevölkerungsgruppe stellen die 40-60 mit 27,7% (2021, lt. destatis).

astrodon am 09.01.2023

@martin: ("Äpfel-Birnen" bezog sich auf den Vergleich der Falschfahrer- zur Gesamtzahl aller Unfälle). Auch wenn ich Ihre Meinung bzgl. der Beinderung gefühlsmäßig teile: Die Krallen-Frage sollte den Rettungskräften als den "direkt Betroffenen" überlassen bleiben. Und die scheinen ja eher dagegen zu sein.

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