Wolodymyr Selenskyj
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

Entwicklungen in der Ostukraine So denkt man in Kiew über den Schritt von Kremlchef Putin

23. Februar 2022, 18:43 Uhr

Die Lage im Konflikt zwischen Russland und dem Westen, bei dem aus Sicht vieler Ukrainer ihr Land nur eine Statistenrolle spielt, hat sich weiter verschärft, nachdem Russlands Präsident die beiden selbsternannten "freien Volksrepubliken" Donezk und Luhansk anerkannt hat. Einschätzungen von unserem Ostblogger Denis Trubetskoy.

Wie reagiert die Führung in Kiew auf die Entscheidung Russlands, die "freien Volksrepubliken" Donezk und Luhansk anzuerkennen?

Die ukrainische Regierung leitet aus den aktuellen Entwicklungen ab, dass Russland durch seine Entscheidung, Donezk und Luhansk als "freie Volksrepubliken" anzuerkennen, freiwillig aus dem Minsker Prozess ausgestiegen ist. Das hat für die Ukraine sowohl Nach- als Vorteile. Vor allem aber versuchen Selenskyj und sein Team, ihre Entspannungslinie beizubehalten. Öffentlich äußern sie sich nach wie vor skeptisch zu einer möglichen großangelegten russischen Invasion.

Was genau bedeutet für Kiew das Ende des Minsker Abkommens?

Die Minsker Vereinbarungen, die Kommunalwahlen und einen anschließenden Sonderstatus der besetzten Gebiete vorsahen, waren für die Ukraine zunehmend obsolet, seit Russland an rund 800.000 Bewohner im Donbass russische Pässe ausgeteilt und die Separatistengebiete politisch und wirtschaftlich stark an sich gebunden hatte. Nun muss Kiew das Minsker Abkommen nicht mehr umsetzen. Die Risiken für die Ukraine bestehen nun einerseits in einer Stationierung russischer Streitkräfte in Donezk und Luhansk. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit einer direkten militärischen Auseinandersetzung der Ukraine und Russland im Donbass enorm – mit unabsehbaren Folgen. Zum anderen lässt Russland die Frage offen, wie groß das Gebiet ist, das es als die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk versteht. Die Separatisten kontrollieren nur ein Drittel der ukrainischen Regierungsbezirke Donezk und Luhansk, haben in ihren entsprechenden Verfassungen aber Anspruch auf das gesamte Territorium der entsprechenden Bezirke. Aus Russland waren gestern und heute widersprüchliche Kommentare zu hören, wie der Kreml das konkret sieht. Die Ausweitung der militärischen Aggression Moskaus auf den gesamten Donbass ist aber im Moment jedenfalls eine sehr ernstzunehmende Gefahr.

Ist vor dem Hintergrund von Putins Argumentation, die Ukraine sei kein eigenständiges Land, die Angst vor einem Überfall größer geworden?

Tatsächlich dreht sich die gesellschaftliche Diskussion im Moment sehr stark um die Person Wladimir Putin. Mich persönlich erreichen viele privaten Nachrichten, die sich darum drehen, ob er jetzt komplett verrückt sei oder wie seine Ukraine-Rede überhaupt einzuschätzen sei. Die Besorgnis hat zugenommen. Man fühlt sich verunsichert, wenn der russische Präsident derart abwertend über die ukrainische Geschichte spricht. Die ukrainischen Medien reagieren, für mich eher untypisch, gelassen. Sie analysieren die aktuelle Lage nüchtern und spekulieren nicht über apokalyptische Szenarien.

Wie wird Selenskyjs Krisenmanagement wahrgenommen?

Für mein Gefühl blicken die meisten meiner Landsleute positiv auf unseren Präsidenten. Seine selbstbewusste Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz, in der Selenskyj auch den Westen angegriffen hat, hat selbst bei seinen schärfsten politischen Gegnern für Beifall gesorgt. Davon abgesehen glauben die meisten Ukrainer, dass die Regierung in der aktuellen Krise wenig bewegen kann. Es geht zwar um die Ukraine, viele haben jedoch das Gefühl, dass Kiew in einer Abrechnung Russlands mit dem Westen allenfalls eine Statistenrolle spielt.

Logo MDR 1 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Bereitet sich das Land auf eine Flüchtlingswelle aus dem Donbass vor?

Wenn das so ist, dann habe ich davon zumindest bislang nichts mitbekommen. Mit Binnenflüchtlingen hat die Ukraine auf jeden Fall bereits große Erfahrungen. Seit der Annexion der Krim durch Russland und dem Kriegsbeginn in der Ostukraine 2014 sind rund 1,5 Millionen Menschen aus diesen Gebieten in die Ukraine geflüchtet.

Ein Angebot von

MDR

Dieses Thema im Programm: MDR Aktuell Fernsehen | 22. Februar 2022 | 19:50 Uhr

Mehr aus Osteuropa

Nachrichten

Handyaufnahme des Absturzes 1 min
Den Behörden zufolge sei der 240 Meter hohe Fernsehturm Ziel eines russischen Luftangriffes gewesen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
1 min 22.04.2024 | 20:32 Uhr

Der Fernsehturm von Charkiw im Nordosten der Ukraine ist in zwei gebrochen und zu Boden gefallen. Den Behörden zufolge sei der 240 Meter hohe Fernsehturm Ziel eines russischen Luftangriffes gewesen.

Mo 22.04.2024 20:22Uhr 00:31 min

https://www.mdr.de/nachrichten/welt/osteuropa/video-ukraine-charkiw-fernsehturm-explosion-abgestuerzt-russland-krieg100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Mehr aus der Welt

Nachrichten

Demoinstrierende Studentinnen 1 min
Lage in pro-Palästina-Protestcamp spitzt sich zu Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
1 min 30.04.2024 | 21:25 Uhr

Die Lage um ein propalästinensisches Protestcamp an der New Yorker Elite-Uni Columbia spitzt sich zu. Einige Demonstranten besetzen nun seit Montagnacht ein Gebäude.

Di 30.04.2024 21:09Uhr 00:56 min

https://www.mdr.de/nachrichten/welt/politik/video-columbia-universitaet-palaestina-protestcamp100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Nachrichten

Ein Vulkan, fotografiert aus der Ferne 1 min
Vulkan "Ruang" spuckt erneut Asche und Rauch Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
1 min 30.04.2024 | 19:38 Uhr

Der seit Wochen aktive Vulkan Ruang im Nordosten Indonesiens kommt nicht zur Ruhe. In der Nacht zum Dienstag spuckte er eine 2.000 Meter hohe Säule aus Asche, Rauch und Gestein in den Himmel.

Di 30.04.2024 19:17Uhr 00:25 min

https://www.mdr.de/nachrichten/welt/panorama/video-indonesien-ruang-vulkan100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video
Der frühere NATO-General und Generalleutnant a.D. Erhard Bühler 53 min
Bildrechte: MDR / Erhard Bühler

Nachrichten

Frank-Walter Steinmeier steht an einem Rednerpult 1 min
Frank-Walter Steinmeier in Teschechien Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
1 min 30.04.2024 | 17:13 Uhr

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach auf der Konferenz "20 Jahre Tschechien in der EU" unter anderem darüber, dass die Demokratie bei der Europawahl im Juni zu verteidigen sei.

Di 30.04.2024 16:45Uhr 00:56 min

https://www.mdr.de/nachrichten/welt/politik/video-steinmeier-europaeische-union-prag100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video
junge Frauen Arbeiten 3 min
Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk