Personen in Kostümen bei einer Demonstration in Kroatien.
Abtreibung bis zur zehnten Schwangerschaftswoche – in Kroatien ist das ein gesetzlich verbrieftes Frauenrecht, ohne besondere Indikationen und Bedingungen. Doch in der Praxis ist es oft kaum möglich, es wahrzunehmen – Frauenärzte weigern sich unter Einfluss einer kirchlich inspirierten Pro-Life-Kampagne massenhaft, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Darauf weisen Teilnehmerinnen einer Demo mit ihren auffälligen roten Kutten hin. Bildrechte: IMAGO / Pixsell

Frauenrechte Kroatien: Abtreibungsverbot durch die Hintertür

25. Mai 2022, 20:52 Uhr

Abtreibung ist in Kroatien legal. Dennoch ist es Frauen oft unmöglich, einen Arzt zu finden, der sie vornimmt. Der Grund: eine Anti-Abtreibungs-Kampagne von Pro-Life-Aktivisten mit dem Segen der katholischen Kirche.

Gordan Duhacek aus Zagreb
Gordan Duhacek Bildrechte: Gordan Duhacek/MDR

Mirela Čavajda befand sich in einer tragischen Situation. Sie war schwanger, mit einem Wunschkind – dem lang erhofften Brüderchen für ihren älteren Sohn. Doch dann kam die vernichtende Diagnose: Die Ärzte stellten fest, dass das in ihrem Körper heranreifende Baby an einem Tumor litt – einem Tumor, der es entweder noch im Mutterleib töten wird oder nach der Geburt, nach einem kurzen Leben voller Schmerzen.

Wunschkind soll abgetrieben werden

Mirela Čavajda. Die Frau konnte trotz medizinischer Indikation keinen Arzt finden, der eine Abtreibung vornimmt und schrieb deswegen einen offenen Brief.
Schweren Herzens entschied sich Mirela Čavajda ihr Wunschkind abzutreiben – es litt an einem unheilbaren Tumor. Doch sie fand keinen Arzt, der den Eingriff vornehmen würde. Bildrechte: index.hr

Die werdende Mutter entschied sich für einen Schwangerschaftsabbruch. Nach kroatischem Recht dürfen Frauenärzte bei schwerer Fehlbildung des Fötus auch in einer späten Phase der Schwangerschaft abtreiben, wie bei Mirela Čavajda. Doch der Frau gelang es nicht, einen Arzt in Zagreb zu finden, der dies tun würde. Vier Krankenhäuser suchte sie auf, doch die Ärzte hatten nur einen Rat für sie: eine Abtreibung im Nachbarland Slowenien vornehmen zu lassen.

Um auf ihre Lage hinzuweisen, schrieb Mirela Čavajda einen offenen Brief. "Nach der gestrigen letzten Kontrolle gibt es keinen Zweifel, keinen Hoffnungsschimmer, obwohl ich die ganze Zeit mich daran geklammert habe", schrieb die 39-Jährige. Der Fall, der sich in diesem Frühling ereignet hatte, löste eine landesweite Debatte aus: Wie kann es sein, dass Frauen ihr gesetzlich verbrieftes Recht auf eine Abtreibung nicht wahrnehmen können?

Ärzte wollen keine Abtreibungen vornehmen

Denn es ist kein Einzelfall. Einst hatte Kroatien eines der fortschrittlichsten Abtreibungsgesetze auf dem Balkan – es erlaubte Schwangerschaftsabbrüche bis zur zehnten Woche ohne Bedingungen und ohne Angabe von Gründen. Doch 2003 wurde es um die Bestimmung ergänzt, dass Ärzte den Eingriff aus Gewissensgründen ablehnen können.

Frau mit Kind vor Luftballons.
"Märsche für das Leben" finden regelmäßig in kroatischen Städten statt, wie hier in Varazdin am 7. Mai 2022. Das Land erlebt seit einigen Jahren eine konservative Rückbesinnung. Bildrechte: IMAGO / Pixsell

Und sie machen davon regen Gebrauch, denn Kroatien hat seit den 1990er Jahren eine konservative Rückbesinnung durchlaufen, in deren Verlauf der Einfluss der katholischen Kirche in der Gesellschaft deutlich gewachsen ist. Teil davon ist der sogenannte Appel ans Gewissen, aufgrund dessen Frauenärzte Abtreibungen ablehnen. Sie erklären, es handele sich um "Mord an einem ungeborenen Kind".

All dies ist nun durch den offenen Brief von Mirela Čavajda verstärkt in den Blick der Öffentlichkeit gerückt. Für sie persönlich folgte ein Spießrutenlauf durch die Amtsstuben und Anfeindungen der Pro-Life-Lobby. Kroatiens Gesundheitsminister Vili Beroš sagte, es wäre alles in Ordnung gewesen, wenn Čavajda ihn persönlich angerufen hätte. Danach setzte er eine Kommission ein, die ihren Fall erneut bewerten sollte. Premierminister Andrej Plenković betonte, dass der Fall Čavajdas für ihn überhaupt kein politisches Thema sei.

Massendemos pro und contra Abtreibung

Lautstarke Abtreibungsgegner begannen unterdessen, Čavajda zu beleidigen, erklärten sie zur Mörderin ihres eigenen Kindes und organisierten Gebete für die Rettung des Fötus. Ihnen schweben Regelungen nach dem Vorbild Polens vor, wo Abtreibungen nahezu komplett verboten sind. Die Situation hat sich so zugespitzt, dass es in mehreren Städten Kroatiens zu großen Kundgebungen für Frauenrechte, darunter das Recht auf Abtreibung, kam. So gingen Tausende Bürgerinnen und Bürgern auf die Straße – aus beiden Lagern. Es tobt ein Kulturkampf.

Personen bei einer Demonstration in Kroatien.
Der Fall Čavajda brachte das Fass zum Überlaufen. Mitte Mai 2022 gingen in Zagreb Tausende Demonstranten auf die Straße, um für das Recht auf Abtreibung zu demonstrieren. Bildrechte: IMAGO / Pixsell

Dabei scheut sich die Regierung, am Status quo zu rütteln – und das, obwohl es nicht nur wegen der weltanschaulichen Kämpfe Handlungsbedarf gibt. Seit 2017 gibt es ein Urteil des Verfassungsgerichts, das den Gesetzgeber dazu auffordert, ein neues Abtreibungsrecht auszuarbeiten. Hintergrund ist eine Klage von Pro-Life-Aktivisten, die ein Abtreibungsverbot verlangten. Dies sei mit der kroatischen Verfassung aber nicht vereinbar, urteilten die Richter. Allerdings forderten sie das Parlament auf, ein neues Abtreibungsgesetz auszuarbeiten, dass an die Stelle des sozialistischen von 1978 treten soll. Doch die Regierungspartei HDZ bleibt untätig, weil sie Aufstände von Ultrakatholiken in den eigenen Reihen befürchten.

Abtreibungstourismus ins Nachbarland Slowenien

Unterdessen wird es für Frauen in Kroatien immer schwieriger, ihr gesetzlich verbrieftes Recht auf Abtreibung in Anspruch zu nehmen. In Zagreb gibt es inzwischen Krankenhäuser, in denen kein einziger Gynäkologe Abtreibungen vornimmt. Auch offizielle Daten bestätigen den Trend: Im Vergleich zum Jahr 2005 hat sich die Zahl der Abtreibungen in Kroatien halbiert. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Zahl der Abtreibungen zurückgegangen ist, die kroatische Frauen vornehmen lassen – sie reisen einfach ins benachbarte Slowenien, um ihre Schwangerschaft dort abzubrechen.

Am Ende traf dieses Schicksal auch Mirela Čavajda. Die vom Gesundheitsminister Beroš einberufene Sonderkommission kam erneut zu dem Schluss, dass es für Čavajdas Fötus keine Rettung gibt und der Schwangerschaftsabbruch somit aus medizinischen Gründen auch nach der zehnten Woche gerechtfertigt ist. Gleichzeitig sprach sie die Empfehlung aus – kein Witz! – den Eingriff in Slowenien vorzunehmen.

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