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Konsument-Warenhaus am Brühl, die Blechbüchse in Leipzig. Aufgenommen am 01. Juni 1990. Bildrechte: imago/Detlev Konnerth

Konsument-Warenhaus in LeipzigDie "Blechbüchse": Ein wahrer Einkaufstempel

22. November 2021, 16:30 Uhr

Sie gilt bis heute als das "heimliche Wahrzeichen von Leipzig": Die "Blechbüchse". Im August 1968 öffnete das "konsument"-Warenhaus am Brühl seine Türen. Eines der größten Kaufhäuser der DDR war mit 11.500 Quadratmetern ein wahrer Shopping-Tempel.

von Johanna Kelch

Leipzig bietet in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ein eher armseliges Bild. Die Gebäude sind zerstört oder marode. Die einst prunkvolle Handels- und Messestadt wirkt grau und zerfallen. Auch das 1908 eröffnete "Warenhaus des Friedens" zeigt deutlich Kriegsspuren. Nach 1945 wird das Kaufhaus am Brühl nicht mehr betrieben. Das Zentrale Handelsunternehmen "konsument" übernimmt Anfang 1965 das Jugendstilgebäude und baut es im Duktus der "Leitlinien für die sozialistische Stadtplanung" wieder neu auf.

Die Fassade verhilft der "Blechbüchse" zu ihrem Namen

Von dem alten Kaufhaus bleibt nur die geschwungene Form. Der Leipziger Bildhauer Harry Müller ist für die neue Fassade zuständig. Eine im Erzgebirge ansässige Firma baut die markanten Blechteile für die Außenseite des Konsument-Warenhaus. Noch vor der Fertigstellung taufen die Leipziger das Gebäude "Bemmenbüchse" oder "Blechbüchse". Der Clou an der fensterlosen Fassade aus silbrig-weißem Aluminium: Je nach Lichteinfall sieht das Gebäude immer anderes aus. Es ist das Prunkstück in der Innenstadt.

Die Blechbüchse, so der Volksmund mehr zärtlich als spöttisch, gehört zum wenigen Guten, ja zum Besten, was zu DDR-Zeiten architektonisch geschaffen worden ist.

Erich Loest | Deutscher Schriftsteller

Und nicht nur das: Das Warenhaus am Brühl gilt als Flaggschiff der Warenhauskette "konsument". Mit 11.500 Quadratmeter Verkaufsfläche auf fünf Etagen ist das Gebäude ein wahrer Einkaufstempel. Schon wenige Jahre nach dem Bau der Mauer werden in den Städten Leipzig, Dresden, Potsdam, Gera oder Dessau weitere große Warenhäuser eröffnet. Fünf Jahre nach dem Bau der Mauer gibt es elf Kaufhäuser dieser Art.

Monatelanger Andrang hält 1.300 Verkäufer auf Trab

Im Sommer 1968 rollen in Leipzig die ersten Lastwagen mit den Waren an. Das Warenhaus wird eingeräumt und der Probebetrieb beginnt. Am 22. August 1968 ist es dann soweit: Die Leipziger können das erste Mal die sozialistische Kaufhalle betreten. Schon in den frühen Morgenstunden ist die Blechbüchse von Menschenmengen umringt. Da der Andrang so riesig ist, muss die Eröffnung um eine Stunde vorgezogen werden. Die Leipziger hatte die Konsum-Lust gepackt. Die harten Nachkriegsjahre waren vorüber und die Industrie befand sich im Aufbau. Seit den 1950er-Jahren musste in der DDR niemand hungern. Das Einkommen war so bemessen, dass es für eine gute Grundversorgung reichte. Die Menschen in der Messestadt waren in Einkaufslaune.

Ein wahres Dienstleistungsparadies

Das "konsument"-Warenhaus bedient genau diese Laune. Rund 80 Dienstleister sind hier angesiedelt. Vom Schneider über den Blumenhandel hin zur Wohnberatung gibt es alles. 1.300 Verkäuferinnen und Verkäufer rotieren rund um die Uhr. Auch Monate nach der Eröffnung nimmt der Besucheransturm kein Ende. Vom Sortiment her unterscheiden sich die Kaufhäuser in Ost und West eher weniger. Die "konsument"- und "Centrum"-Warenhäuser bieten eine reichhaltige Auswahl verschiedener Artikel wie elektronische Geräte, Haushaltsartikel, Möbel und andere Einrichtungsgegenständen, Büchern, Radios oder Fernsehgeräte.

Beispiellose Rund-um-Versorgung des Personals

Nicht nur der Kunde ist bei "konsument" König, sondern auch die Mitarbeiter. Ehemalige Angestellte des Warenhaus beschreiben eine beispiellose Rund-um-Versorgung des Personals. So durften die Verkäuferinnen auf Betriebskosten zum Friseur, zur Massage, zum Frauenarzt. Das Betriebsklima im Warenhaus stimmte. Fasching wurde groß gefeiert. Sozialistische Feiertage ebenfalls. In der Kantine gab es gutes Essen.

Besonders in den Sommermonaten war diese immer voll gefüllt. Denn in den heißen Augusttagen fehlt der Sauerstoff in den oberen Etagen. Die Verkäuferinnen kippen reihenweise um. In der vierten Etage war es besonders heiß: Hier war die Glühlampenabteilung. Lediglich das Erdgeschoss sowie die obere Etage im Restaurant-Bereich wurden mit Tageslicht versorgt.

Die Blechbüchse versinkt in einen Dornröschenschlaf

In den 80er-Jahren kam die Zäsur für das Warenhaus: Mangelwirtschaft bestimmte den Alltag der Leipziger. Die Waren verstaubten in der "Blechbüchse". Die Stimmung in der Messestadt wurde im Laufe der 80er Jahre immer gedrückter. Etwas braute sich zusammen. Am 9. Oktober 1989 rief der Chef des Konsument-Warenhaus alle Mitarbeiter zu einer Versammlung. Mit deutlichen Worten mahnte er: Wenn jemand seiner Mitarbeiter bei den Demonstrationen gesehen werde, werde die Kündigung folgen. Noch am gleichen Tag wurden die Schaufenster mit Holz verbarrikadiert.

Während der 1990er-Jahre kaufte kaum mehr einer ein in der Blechbüchse. Nach der Wende wurde das Kaufhaus von einem westdeutschen Unternehmer übernommen. Von den mehr als 1.300 Mitarbeitern blieben 175 Verkäufer übrig. Nach der Schließung 2010 wurden sie von Karstadt und Kaufhof übernommen. Das Gebäude wurde abermals saniert und umgebaut. Die historische Fassade ziert nun teilweise das neue Einkaufszentrum "Höfe am Brühl", welches im September 2012 eröffnet wurde.