Zocken statt Sozialismus - Glücksspiel in der DDR
Es gab im Osten nicht nur Tele-Lotto. In den 1970er- und 1980er-Jahren entstanden Spielhöllen der unterschiedlichsten Art. Gespielt wurde Roulette, Poker, die Würfelspiele "Die Goldene Sechs" und "Grüne Wiese" oder auch das Kartenspiel "Meine Tante, Deine Tante". Man konnte viel Geld verdienen - aber auch verlieren.
Glücksspiel war in der DDR zwar unerwünscht aber nicht verboten. Im Dezember 1968 verabschiedete die Volkskammer das neue DDR-Strafgesetzbuch. Hier wurde nun auch gesetzlich verankert, dass privates Glücksspiel nicht mehr explizit verboten war. Die Lücke im Gesetz sprach sich schnell herum.
In den folgenden Jahren entstanden in der DDR Spielhöllen unterschiedlichster Art. An den Pferderennbahnen soll alles begonnen haben. Pferdewetten waren erlaubt, doch nach dem Rennen ging es erst richtig los mit dem Glücksspiel. An ungefähr zwanzig Tischen konnte man zocken. Gespielt wurde unter anderem "Die Goldene Sechs".
Eine Utopie entpuppt sich als Irrtum
Werner Pinkert war damals DDR-Volkspolizist und ärgerte sich über die Zockerszene. Während er mit seiner Arbeit monatlich 500 Mark netto verdiente, spielten andere an einem einzigen Abend hohe Geldbeträge ein. Bis heute ist er fassungslos, dass ihm und seinen Kollegen von der Volkspolizei damals die Hände gebunden waren, um gegen die Würfelpartien wirksam vorzugehen. Der DDR-Führung war beim Vorhaben, die entwickelte sozialistische Gesellschaft zu schaffen, ein großer Fehler unterlaufen, gespeist aus der eigenen Utopie, dass im Sozialismus die Kriminalität verschwinden werde.
Da man bislang keine gesetzliche Handhabe hatte, musste ein neuer Straftatbestand geschaffen werden. Die Würfel- und Kartenspieler sollten wegen unerlaubter Gewerbeausübung zur Rechenschaft gezogen werden. Am 29. Mai 1976 holte die Staatsmacht zum großen Schlag aus und begann eine großangelegte Razzia im Leipziger Scheibenholz. Insgesamt wurden 13 Personen festgenommen und mit sehr hohen Ordnungsgeldern bestraft. Es folgten drei weitere Razzien. Die Behörden glaubten, die Zockerszene erfolgreich zerschlagen zu haben. Das DDR-Fernsehen verfilmte die Vorgänge an der Rennbahn Leipzig Scheibenholz Jahre später im Fernsehfilm "Nachtpartie".
Wir haben damals gesagt: 'Jetzt haben wir endlich Ruhe.' Zu einem späteren Zeitpunkt habe ich erfahren, dass die Aktion nur bewirkt hat, dass sich die Spieler in Gaststätten und Wohnungen zurückgezogen haben.
Werner Pinkert, ehemaliger Volkspolizist
Rückzug ins Private
Das Glücksspiel in den Wohnungen und Kneipen war im vollen Gange. Zwischen Leipzig, Berlin und Dresden wurden sogar Städtewettkämpfe organisiert, quasi als sozialistischer Wettbewerb unter den besten Zockern.
"Das war wie ein kleiner Klassenkampf. Da wurde richtig der letzte Rest Taschengeld herausgeholt", erinnert sich ein Teilnehmer. Mehrere zehntausend Mark wechselten nicht selten an einem Abend den Besitzer. Neue Leute kamen durch Empfehlungen ins Spiel und die Szene wurde immer größer. Doch nun begann die Stasi, die Spieler zu observieren und stellte fest, dass sich bei einigen ein für DDR-Verhältnisse immenses Vermögen angehäuft hatte. Nun wurde gegen das private Glücksspiel auch in der Öffentlichkeit systematisch Front gemacht.
Die "unmoralische Lebensweise" der erfolgreichen Zocker passte nicht in die Moralvorstellungen des sozialistischen Alltags. Fast unbemerkt wurde das Strafgesetzbuch verändert. Danach galt privates Glücksspiel wie Prostitution als asoziale Lebensweise. Es war nun keine Ordnungswidrigkeit mehr, sondern wurde strafrechtlich geahndet.
Man hat dann halt auf den Paragraphen 249 zurückgegriffen. Das war ein neuer Tatbestand, der sich da nannte 'kriminelle Asozialität'. Und da hieß es also wörtlich, wenn ich das mal zitieren darf: 'Wer entweder als arbeitscheu keiner geregelten Arbeit nachgeht oder auf andere unlautere Weise Mittel zum Unterhalt erwirbt.' Und unter diesem Blankett-Tatbestand, man könnte auch sagen Kautschuk-Tatbestand, ist dann auch das Glücksspiel hineininterpretiert worden.
Peter Przybylski, Rechtsanwalt
1986 wurde die DDR-Zockerszene endgültig zerschlagen und viele der Beschuldigten mussten einige Jahre ins Gefängnis. Das Glücksspielmonopol lag wieder fest in der Hand des SED-Staates. Man plante den Bau eines staatlich kontrollierten Spielklubs in der Berliner Friedrichstraße. Doch das "Casino Berlin" blieb Fiktion. 1989 kam die Wende.
Glücksspiel "Die Goldene Sechs"Drei Würfel, ein Becher
Der Wurf bleibt verdeckt liegen. Auf dem Tisch befinden sich alle Würfelaugen von eins bis sechs. Nun legt man seinen Einsatz an die Zahlen, die nach eigener Meinung gefallen sind. Haben alle gesetzt, wird der Becher gelüftet und diejenigen ausgezahlt, die richtig getippt haben.