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Gerhard Jüttemann arbeitete seit 1974 im Bergwerk Bischofferode. Bildrechte: MDR /Hoferichter & Jacobs

Bischofferode - Zeitzeugen erinnern sichGerhard Jüttemann: Musste lernen, Kollegen zu entlassen

24. Februar 2020, 14:01 Uhr

Der Bergmann Gerhard Jüttemann wird 1990 Betriebsrat in der Grube von Bischofferode. Es folgen die turbulentesten Jahre seines Lebens. Am Ende sitzt der ehemalige Kumpel als Abgeordneter im Bundestag.

von Inga Brantin

Im Sommer 1993 treten die Kalikumpel in Bischofferode in den Hungerstreik, um ihr Bergwerk vor der Schließung zu bewahren. Einer, dem beim Kampf um den Erhalt der Grube eine Schlüsselrolle zukommt, ist der Bergmann Gerhard Jüttemann. Ende 1990 wird er zum Betriebsrat gewählt – das ändert sein Leben radikal. Fortan ist er mit Entscheidungen konfrontiert, von denen er nie gedacht hatte, sie jemals treffen zu müssen. "Das war schlimm, machen wir uns nichts vor", sagt er noch heute, wenn er an die drei Jahre denkt, in denen die Belegschaft um den Erhalt des Bergwerks kämpfte.

Kollegen entlassen

Seit 1974 arbeitet Gerhard Jüttemann als Dreher unter Tage im Bergwerk Bischofferode. Bis zum Juni 1990 gehört das Kali-Werk zum VEB Kombinat Kali. Dann wird das Kombinat aufgelöst, die Kali-Werke werden unter dem Dach der Mitteldeutschen Kali AG vereint – alleiniger Eigentümer: die Treuhandanstalt. Ab jetzt ändern sich die Spielregeln, die Angst vor Arbeitslosigkeit regiert in den neuen Bundesländern. Gerhard Jüttemann ist als Betriebsrat gezwungen, langjährigen Kollegen die Kündigung auszusprechen, um das Bergwerk marktfähig zu machen. Anfangs blickt er noch zuversichtlich in die Zukunft: "Wir waren eigentlich sicher, dass wir alle Voraussetzungen haben, die viele ostdeutsche Betriebe eben nicht hatten. Dass man nicht mithalten konnte – den Gedanken hatte damals gar keiner."

"Gott, wo sind wir denn hier gelandet?"

Aber: Am 8. Dezember 1992 stimmt der Verwaltungsrat der Treuhandanstalt dem Kali-Fusionsvertrag zu - die Kali und Salz AG mit Sitz in Kassel übernimmt sämtliche Kaligruben in Ostdeutschland und kündigt an, dass sie zum Ende des Jahres 1993 die Grube in Bischofferode schließen wird. Gerhard Jüttemann ist da schon seit einem Jahr stellvertretender Betriebsratsvorsitzender. Für ihn brechen nun turbulente Zeiten an, denn die Bergleute wollen die Schließung ihres Werkes mit allen Mitteln verhindern.

Die Geschichte im Überblick


Jüttemann ist dabei, als die Kumpel das Werk besetzen. Er ist dabei, als 41 Bergleute in den Hungerstreik treten, und auch bei den Gesprächen mit der Treuhand, als dem Investor Johannes Peine jede Chance auf eine Übernahme der Grube genommen wird. Der traurige Höhepunkt für ihn: Silvester 1993, als die letzte Schicht in Bischofferode gefahren wird. "Das Jahr hat mich schon zum Nachdenken gebracht. Es sind viele Dinge passiert, die ich mir nicht vorstellen konnte: Wie man so skrupellos sein kann, bei den vielen Gesprächen, im Kanzleramt. Und diese Arroganz ... Das war schockierend für mich. Ich habe öfter gedacht: Gott, wo sind wir denn nun hier gelandet?"

Vom Bergmann zum Bundestagsabgeordneten

Doch für Gerhard Jüttemann beginnt nach dem Ende seiner Bergarbeiterlaufbahn ein ganz neues Kapitel: Bei den Bundestagswahlen 1994 und 1998 konnte Jüttemann über die PDS-Landesliste Thüringen in den deutschen Bundestag einziehen, wo er bis 2002 Abgeordneter war. In dieser Zeit war er u.a. Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der Neuen Länder und stellvertretendes Mitglied im Untersuchungsausschuss "Veruntreutes DDR-Vermögen".

Über dieses Thema berichtet der MDR auch im Fernsehen:Bischofferode - Das Treuhand-Trauma | Do, 05.07.2018 | 20:15 Uhr