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Im Kalten Krieg plante die UdSSR im Ernstfall einen Atomschlag auf die Bundesrepublik. Bildrechte: IMAGO / McPHOTO

Atomare Bedrohung durch MoskauSowjetische Atombombenziele in der Bundesrepublik

27. September 2022, 13:00 Uhr

Im Ukraine-Krieg hat Wladimir Putin erneut damit gedroht, auf "alle zur Verfügung stehenden Mittel" zurückzugreifen, um Russland zu schützen. Der Kreml besitzt momentan über 6.000 atomare Sprengköpfe und ist damit die größte Atommacht der Welt. Schon im Kalten Krieg schürte die UdSSR Ängste vor einem nuklearen Angriff. Damals wären die Bomben im Ernstfall auf die Bundesrepublik gefallen.

Im Zuge des Ukraine-Krieges orderte Wladimir Putin kürzlich im russischen Staatsfernsehen eine sofortige Teilmobilisierung an. Außerdem drohte er in seiner Rede erneut mit dem Einsatz aller "zur Verfügung stehenden Mittel" und betonte: Dies ist kein Bluff. Russland gilt als größte Atommacht der Welt, knapp gefolgt von den USA. Putins Drohung, nukleare Waffen einzusetzen, wurde von westlichen Politiker scharf verurteilt. Bundeskanzler Scholz nannte den Schritt einen "Akt der Verzweiflung" - Russland könne diesen verbrecherischen Krieg nicht gewinnen.

Papier zeigt Pläne für Atomangriff

Schon im Kalten Krieg plante die Sowjetunion im Ernstfall einen atomaren Angriff - und zwar auf die Bundesrepublik. Der westdeutsche Staat galt für Moskau als das wichtigste Zielland in Europa, denn dort waren die entscheidenden NATO-Truppenkontingente konzentriert. Einen kleinen Ausschnitt der Angriffspläne zeigt ein Papier aus dem Jahr 1955, das dem MDR vorliegt. Es listet die Zielplanungen für die 157. Bomberfliegerstaffel auf, die in Schutschin, im Gebiet Grodno in der Weißrussischen Sowjetrepublik (SSR) stationiert war. Die Staffel verfügte über IL-28-Bomber als Träger von nuklearen Waffen, der Atombombe "RDS 4". An der Spitze der im Papier aufgelisteten 13 Ziele: die damalige Hauptstadt Bonn.

Deutsche Angriffsziele der UdSSR

Das Dokument ist noch keine finale Gesamtplanung und es ist auch nur ein Puzzlestück aus einem Gesamtplan. Daher ist es auch deutlich schmaler als das US-Pendant aus dem Jahr 1956, das Planungs-Papier des Strategischen Luftkommandos der USA. Vor allem sind Luftwaffenstützpunkte auf der sowjetischen Liste zu finden: der Luftwaffenstützpunkt Binsfeld etwa, der Militärflughafen und das Atomwaffendepot in Bitburg sowie der Frankfurter Flughafen. Auch Wiesbaden befand sich im Visier der sowjetischen Militärs.

Nicht genügend Atombomben

Kreml-Chef Nikita Chruschtschow und seine Militärs hatten allerdings ein entscheidendes Problem: Sie verfügten über viel weniger Atombomben als die USA. Mitte der 1950er-Jahre gab es zum Beispiel nur 20 bis 30 Atombomben, die insgesamt für die Bundesrepublik eingeplant waren, berichtet Alexander Jazakow, Militärhistoriker und einst Stabsoffizier bei den Strategischen Raketenstreitkräften der UdSSR. Entsprechend bescheiden musste daher auch die Anzahl der Ziel-Objekte ausfallen. Insgesamt waren viel weniger Atombomben in der Sowjetunion vorhanden, als der Westen annahm. Doch Chruschtschows unablässiges Prahlen mit seiner atomaren Streitmacht hatte durchaus Früchte getragen. Die Furcht vor den sowjetischen Atomwaffen war im Westen riesig.

Angst vor einem Atomkrieg

Gut die Hälfte der westdeutschen Bevölkerung hielt laut Meinungsumfragen Mitte der 1950er-Jahre einen Dritten Weltkrieg für durchaus möglich. Und auf jenen Dritten Weltkrieg bereitete sich die 157. Bomberfliegerstaffel auch vor. Die IL-28-Staffel in Schutschin sollte im Ernstfall in die Bundesrepublik aufbrechen. Es wäre eine sehr lange und schwierige Route gewesen und ein Großteil der Bomber hätte Deutschland vermutlich nicht erreicht. Das wussten die Offiziere auch. Doch "drei von zehn Flugzeugen wären wahrscheinlich durchgekommen", vermutet Alexander Jazakow. Es wären natürlich immer noch genug gewesen, um ein nukleares Inferno im Westen Deutschlands zu entfachen.

Wichtigstes Ziel: Bonn

Das Hauptziel der nuklear bestückten IL-28-Bomber war von Anfang an Bonn, die Hauptstadt der Bundesrepublik. Die politische Führung Deutschlands sowie die Stadt selbst sollten vernichtet werden. Die Atombombe "RDS 4" besaß die doppelte Sprengkraft der Hiroshima-Bombe. "In Hiroshima sind 70.000 Menschen durch den Atomschlag gestorben, in Bonn wären 150.000 oder gar 200.000 Menschen vernichtet worden", schätzt Alexander Jazakow ein. "Die Stadt hätte aufgehört zu existieren."

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise | 06. September 2020 | 22:00 Uhr