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Frauengefängnis Hoheneck: Verbotenes Konzert für die Insassinnen

19. Februar 2022, 05:00 Uhr

Die Burg Hoheneck im sächsischen Stollberg war zu DDR-Zeiten das größte und wohl berüchtigtste Frauengefängnis. Unter den Insassinnen waren Straftäterinnen, psychisch Kranke sowie Frauen und junge Mädchen, die aus teils fadenscheinigen politischen Gründen inhaftiert wurden. Wer genau hinter den dicken Mauern der "Burg" einsaß, das blieb für die Einwohnerinnen und Einwohner Stollbergs bis zum Ende der DDR ein streng gehütetes Geheimnis. Doch die Männer des Posaunenchores brachten diesen Frauen nicht genehmigte Ständchen - aus Nächstenliebe. Das erste Mal geschah dies 1954.

In einem handgeschrieben zweiseitigen Brief bedankt sich eine ehemalige Gefangene im Mai 1955 bei den "Lieben Männern vom Stollberger Posaunenchor" für ein Konzert der besonderen Art, das mehr als 16 Monate zurücklag. Sie schreibt: 

Es war der 1. Januar 1954 in der Anstalt Hoheneck. Plötzlich hörten wir Musik. Alles stürzte zum Fenster und da sahen wir Sie auf einem Gartengrundstück unterhalb des Anstaltsterritoriums stehen und Sie brachten uns Ihre Neujahrsbotschaft...

Unbekannte ehemalige Insassin von Hoheneck | Brief an den Posaunenchor Stollberg

Unter den Musizierenden auf jenem Gartengrundstück war auch der damals 15-jährige Wolfgang Scheunert mit seiner Trompete. "Wie man auf die Idee kam? Na ganz im christlichen Sinn, dass wir auch an die denken, die eingesperrt sind."

Wir wollten denen eine Freude machen, die haben ja sonst keine Freude gehabt.

Wolfgang Scheunert

Vielleicht 15 Männer waren damals vom Posaunenchor der Kirche dabei. Einer der Männer stellte seinen Garten zur Verfügung, in Sicht- und Hörweite der Burg. "Dann sind wir so weit wie möglich ran und da können wir blasen. Das machen wir – und wir haben es gemacht...", erinnert sich Wolfgang Scheunert.

Neujahrskonzert vor den Gefängnismauern

Es war kalt und nass an jenem Januartag. Doch dann sahen die Bläser, dass die Frauen aus dem Gefängnis mit Taschentüchern winkten. Die Männer packen ihre Instrumente erneut aus, um weiter zu spielen. Die Unbekannte aus dem Brief schreibt dazu: "Als wir dann sahen, dass Sie durch unser Winken angefeuert immer noch mal ihre Instrumente auspackten, um noch etwas für uns zu spielen, lagen wir uns vor Freude in den Armen..."

Die Männer spielten für Frauen, von denen sie nicht einmal wussten, warum sie im Gefängnis saßen. Die Frauen auf der "Burg" waren in den 1950er Jahren meist Verurteilte aus den sowjetischen Militärtribunalen. Frauen jeden Alters, auch Frauen, die mit dem NS-Regime verflochten gewesen waren, Aufseherinnen aus Konzentrationslagern, Frauen, die schuldig geworden sind.

Hoheneck-Frauen überwiegend unschuldig

Doch nach den Recherchen von Stefan Appelius, Projektleiter der künftigen Ausstellung in Hoheneck, saßen zu jener Zeit überwiegend Frauen auf der "Burg" ein, die in seinen Augen unschuldig waren. So wie eine junge Frau aus der Gegend, die sich in einen sowjetischen Soldaten verliebte und schwanger wurde. "Doch der junge Mann wurde von seinen militärischen Vorgesetzten verhaftet und nach Sibirien abtransportiert. Und die Frau, das junge Mädchen, konnte ihr Kind noch zur Welt bringen, ist dann aber ebenfalls verurteilt worden zu einer 25-jährigen Haftstrafe hier in Hoheneck, weil sie angeblich den jungen Mann zum Desertieren verleitet habe."

Ein Uniformierter beendete schließlich das Neujahrskonzert 1954 und hat die Musiker des Geländes verwiesen, erinnert sich Wolfgang Scheunert: "Diese Sympathiekundgebungen, das haben die nicht ertragen. Wir haben keine Angst gehabt, aber wollten sie nicht provozieren."

Im darauffolgenden Jahr haben die Männer nicht musiziert, aber über die Jahre hinweg doch immer mal wieder. Dieses erste Konzert aber für die gefangenen Frauen in Hoheneck, das war Gesprächsstoff über viele Jahre hinweg in der "Burg" unter den Insassinnen.

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