Interview mit dem Fotografen Armin Kühne"Ruinen schaffen ohne Waffen"
In den 1980er-Jahren begann der Fotograf Armin Kühne den Verfall Leipzigs mit der Kamera festzuhalten. Nach 1990 dokumentierte er die Veränderungen und veröffentlichte seine Fotos u.a. in dem Buch "Leipzig im Wandel".
Wie kamen Sie dazu, den Verfall Leipzigs zu dokumentieren?
Armin Kühne: Mich als gebürtigen Leipziger interessiert alles, was in meiner Stadt geschieht oder irgendwie auffällt – sowohl positiv wie auch negativ. Das ist beinahe wie ein Wahn, alles zu dokumentieren, ohne zu wissen, wo kann es veröffentlicht werden.
Wann hatten Sie mit dieser Dokumentation begonnen?
Ich bin in Leipzig groß geworden, mit all dem Grau und den verfallenden Häusern. Und auch ich habe diesen Zustand zunächst als gar nicht so absonderlich empfunden. Erst nachdem ich einen Vergleich mit der Partnerstadt Hannover hatte, wohin ich in den Achtzigerjahren einmal reisen durfte, kamen mir Zweifel. Und ich fragte mich: Warum erhält man die historische Bausubstanz nicht? Und daraus ergab sich für mich, diese Situation mit der Kamera festhalten.
Wie reagierten die Leute darauf, als Sie die maroden Häuser fotografierten?
Meist reagierten die Leute mit Kopfschütteln: Warum fotografiert der das alte verfallene Haus? Angesprochen hat mich aber niemand und auch nicht am Fotografieren gehindert. Heute dagegen wird man schon öfter angesprochen – von den Hausbesitzern. Die fragen dann: "Warum fotografieren Sie mein Haus? Haben Sie eine Genehmigung?"
Haben Sie die Fotos damals veröffentlichen können?
Ich habe sie immer mal wieder der Lokalredaktion der "Leipziger Volkszeitung" angeboten. Aber da wurde mir gesagt: "Die können wir nicht bringen!" Für eine Zeitung, die von der Bezirksleitung der SED herausgegeben wurde, war es unmöglich, diesen Verfall zu dokumentieren.
Im Herbst 1989 lief im DDR-Fernsehen die aufsehenerregende Reportage "Ist Leipzig noch zu retten?" Erinnern Sie sich noch daran?
Mit dieser Reportage hatten uns gewissermaßen Außenstehende, Nicht-Leipziger, mit der Nase darauf gestoßen, wie schlimm es wirklich um die Stadt steht. Wenn man damals mit offenen Augen durch die Stadt marschiert ist, dann sah man natürlich den Verfall. Aber die Wenigsten haben das realisiert. Man hatte andere Sorgen. Andererseits kursierte natürlich in den Achtzigerjahren der von der Opposition geprägte Slogan: "Ruinen schaffen ohne Waffen". Und der beschrieb den Zustand der Stadt genau.
Hatten Sie damals den Eindruck, dass Leipzig noch zu retten ist?
Bei vielen Gebäuden, die ich damals fotografierte, glaubte ich nicht, dass die jemals neu entstehen könnten: Die Dächer waren kaputt, an den Fassaden war kaum noch Putz, und in den Wohnungen breitete sich der Schimmel aus. Ich dachte eher, ich mache noch ein Foto, bevor die Abrissbirne kommt. Und ich bewundere heute noch den Mut der Bauherren und Architekten, aus dieser Substanz wieder bewohnbare und nutzbare Gebäude geschaffen zu haben, in denen sich die Menschen wohlfühlen.
Nach 1990 gingen Sie daran, den Wandel in der Stadt zu dokumentieren …
Angestachelt wurde ich dazu von Niels Gormsen (1990 – 1995 Beigeordneter für Bau- und Stadtplanung in Leipzig – Anm. d. Red.), so nach dem Motto: "Hast du nicht alte Fotos in der Schublade?" In den folgenden Jahren bin ich dann mit der Kamera wieder an die einstigen "Tatorte" gegangen und habe die Veränderungen an den Häusern fotografiert. Ich wollte zeigen, dass sich etwas bewegt und die Leute stolz sein können auf das, was geworden ist - bei all den Problemen, die es sonst gibt.
Von heute aus betrachtet, war es nicht ein Glücksfall für die historische Bausubstanz, dass die DDR nicht einmal das Geld für den Abriss hatte?
Tatsächlich müssen wir der Mangelwirtschaft der DDR eigentlich dankbar sein. Wenn die DDR diese Kapazitäten gehabt hätte, die heute zur Verfügung stehen, hätte man diese ganzen maroden Häuser ruckzuck weggerissen und dafür Plattenbauten hingestellt. Gar keine Frage. Und wir dürfen ja nicht vergessen: Für die meisten Bewohner der alten Häuser war so eine Wohnung im Plattenbau ein großer Gewinn: Heizung, warmes Wasser, Bad und das Klo nicht auf halber Treppe …
Armin Kühne, geboren 1940 in Leipzig, arbeitet als freier Fotograf für verschiedene Tageszeitungen. Gemeinsam mit Niels Gormsen veröffentlichte er die Bücher "Leipzig im Wandel" und "Leipzig – Stadt des Wandels", die bereits etliche Nachauflagen erlebten. 2007 erschien sein Fotoband "Rügen im Wandel".