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Entertainer Heinz Quermann 1999 im Interview

29. Januar 2018, 10:46 Uhr

Seinen letzten großen Auftritt hatte der Nestor der DDR-Unterhaltungskunst, Heinz Quermann, im Jahr 2000. Da erhielt er den ostdeutschen Medienpreis "Goldene Henne" für sein Lebenswerk. Zum letzten Mal sagte er: "Tschüss und winke, winke - Ihr Heinz, der Quermann." Am 14. Oktober 2003 starb Heinz Quermann im Alter von 82 Jahren in Berlin-Köpenick. Lesen Sie hier noch einmal ein MDR-Interview aus dem Jahr 1999 mit dem Entertainer über seinen damaligen Unruhestand.

MDR: Sind Sie denn noch ausgelastet, Herr Quermann?

Quermann: Das kann man wohl sagen. Ausgelastet ist ein hübscher Ausdruck. Ich mache ja noch sehr viele Veranstaltungen und das macht nach wie vor Spaß, vor allem bei den Senioren. Was die alles noch wissen, Sachen, die habe ich längst vergessen. Wie lange ich das noch durchhalte, weiß ich nicht. Es gibt aber noch so viele Anrufe und Angebote. Wenn es passt, mache ich es gerne.

Das ist doch schön, so gefragt zu sein!

Ja, das hätte ich nie gedacht. Vor vier Jahren habe ich meine Frau verloren und was soll ich da allein zu Hause rumsitzen. Gemeinsam hätten wir uns jetzt die Welt angesehen, aber alleine durch die Gegend ziehen ...

Können Sie sich denn noch an den Beginn Ihrer Karriere erinnern?

Das weiß ich noch, als wäre es gestern. Ich hatte in Musik eine Fünf, obwohl ich beim Konzertmeister des Niedersächsischen Rundfunksinfonieorchesters Violinenunterricht hatte. Was die aber in der Schule gemacht haben, das hat mich angekotzt. Ich fing immer an, Schlager zu singen und bin damit auch aufgetreten. Doch der Rektor meckerte und sagte, dass sich "Nigger-Jazz" für einen Schüler der Hindenburgschule nicht gehöre. Aber ich habe nicht aufgehört und bin geflogen. Ich hatte allerdings nicht bedacht, dass ich dann in der Bäckerei meines Vaters arbeiten musste. Ich nahm nebenbei noch Schauspielunterricht. Das war ein hartes Leben: Um halb Vier aufstehen, bis mittags in der Backstube arbeiten, dann Violinenunterricht, dann Schauspielunterricht, dann abends, wenn Kleindarsteller gebraucht wurden, auf die Bühne.

Ich bekam ein erstes Engagement am Theater Bernburg-Köthen. Als die Russen einmarschierten, kam schon am zweiten Tag ein Wagen angefahren und holte mich ab zum Kommandanten. Der sagte: "Du Quermann?" "Ich Quermann." "Du Intendant!" So wurde ich der erste Intendant eines deutschsprachigen Theaters nach dem Krieg. Das war ein Dienstag und bereits am Samstag drauf hatten wir die erste Premiere, weil ich es in meiner Einfalt dem Kommandanten so versprochen hatte. Es muss furchtbar gewesen sein. Aber die Leute waren glücklich.

Wie sind Sie dann zum Rundfunk gekommen?

Von Köthen bin ich nach meinem Rauswurf 1946 nach Halle und habe dort Rundfunk gemacht - jede Woche zwei Sendungen. Dort war ich auch einen Monat lang am Steintor-Varieté. Der arme Intendant tut mir heute noch leid, der musste jede Woche zur Kommandantur und sich dafür entschuldigen, was der Quermann am Vorabend wieder auf der Bühne losgelassen hatte. Und von Halle ging es dann nach Leipzig und später nach Berlin, wo ich mit der "Schlagerrevue" begonnen hatte. Es gab keine Hitparade, die so lange lief und immer mit dem gleichen Moderator. 36 Jahre lang. Das hält kein Mensch aus. Ich hab immer gesagt: "Unsere Leute halten das aus". Ich war so eine Art Serienstar im Rundfunk. Aber dann fing ich mit Fernsehen an. Zwölf Jahre lang lief "So lacht der Bär". Nur zweimal ist die Sendung ausgefallen, wegen bestimmter Texte ..., na ja, wie das eben so war ...

Konnten Sie sich aufgrund Ihrer Popularität eigentlich gegen Zensur wehren?

Ich habe immer gerade so die Kurve gekriegt. Wenn die so genannten Abnahmen waren, hatte ich immer einen Gag drin, den sie rausnehmen konnten. Mit Absicht, damit sie etwas zum Streichen hatten und zufrieden waren. Später hatten sie den Trick raus.

Sie wurden später auch der größte "Talentevater" der Nation ...

Das ist für mich eigentlich das Wichtigste. Professor Masur, der damalige Chef des Leipziger Gewandhauses, kam mal ganz erstaunt zu mir, weil er festgestellt hatte, dass fünf seiner besten Musiker von mir kommen. Es gibt mindestens 20 Kammersänger und Kammersängerinnen der Opernhäuser, die durch mich an die Hochschulen kamen. Und fast die gesamte Schlagerecke der DDR war ja "Quermanns bunte Bühne". Auch in der Volksmusik hatte ich mich bald engagiert. Für Herbert Roth aus Suhl zum Beispiel. Der war bei den Genossen gar nicht gut angesehen, weil er keiner war, obwohl er einer der größten Devisenbringer war. Deshalb bekam er auch keinen Berufsausweis. Bei irgendeiner Kulturtagung saß dann ein Mitglied des Politbüros, das mit dafür verantwortlich war. Am nächsten Morgen fuhr der Kulturminister persönlich nach Suhl, um die alle zusammenzuscheißen.

Hatten Sie soviel Macht?

Die haben halt alle auf mich gehört. Mein Freund Roland Neudert rief mich einmal ganz aufgeregt an, dass er am 8. März mit mir zusammen bei Honeckers Frauentag auftritt. Da habe ich ihm gesagt, welche Lieder er singen solle. Na, und der "Honni" ist vor Freude bald vom Stuhl gefallen, denn das waren seine Lieblingslieder. Der hat sich gleich mit Neudert unterhalten und gefragt, wie es ihm so geht. Roland sagte, dass er gerne eine bessere Einstufung hätte. Da kam sofort der Kulturminister angerannt und am nächsten Tag hatte er die beste Einstufung überhaupt.

Es gibt ja auch sonst einige legendäre Geschichten über Ihre eigenen Beziehungen zur Staatsführung ...

Ich musste 1959 zur Bitterfelder Konferenz. Aus der eigentlichen Schriftstellertagung hatte Ulbricht auch eine Unterhaltungskonferenz gemacht. Da saß ich nun etwas deplatziert mit den oberen Schriftstellern beim Mittag. Auf einmal geht die Tür auf und Ulbricht kommt rein. Er bleibt hinter mir stehen. Totenstille natürlich. "Wir müssen uns mal unterhalten", hat er gesagt. Und ich soll geantwortet haben: "Von mir aus!" Aber ich weiß nicht, ob es stimmt. Also ging ich mit Herrn Ulbricht in einen anderen Raum. Und da saßen wir zwei Stunden unter vier Augen. Es ging darum, warum die in Köln schon einen Tag nach ihrem Karneval die ganzen Lieder auf Platte haben, während es bei uns so lange dauert. Da habe ich ihn aufgeklärt, woran das liegt. Die Leute im Saal in Bitterfeld warteten zwei Stunden: Der Quermann weg, der Ulbricht auch weg. Zwei Tage später kam der Fernsehintendant zu mir und sagte: "Mit dir werde ich mich nie streiten, weil ich nicht weiß, wer alles hinter dir steht."

Sie haben mal gesagt, Sie seien "volkseigen", haben Sie sich so gefühlt?

Jeder konnte mit mir meckern. Es gab da mal eine ganze böse Situation. 1964 machte der "RIAS" ein Quermann-Porträt. Die Sprecherin sagte, Ulbricht wüsste schon, was er dem Quermann zu verdanken hat, nämlich eine zufriedene DDR, zufriedene Menschen und deshalb hat er dem Quermann das Haus in Karolinenhof geschenkt. Die Leute waren so dusselig und haben das geglaubt. Ich konnte mich anderthalb Jahre lang nirgendwo mehr sehen lassen. Ich wollte schon abhauen, weil ich beinahe verrückt geworden wäre.

Aber Sie haben mit der Unterhaltung doch tatsächlich dafür gesorgt, dass eine gewisse Zufriedenheit im Lande herrschte.

Ja, die Unterhaltung war natürlich dicke da. Und sie hatte alle Unterstützung, die es gab. Natürlich gab es auch mal Schwierigkeiten, aber die gibt es heute auch.

Wie haben Sie es eigentlich geschafft, immer den Geschmack der Leute zu treffen?

Ich war pausenlos unterwegs und habe mich mit "meinen" Werktätigen unterhalten. Die haben mir ihre Sorgen erzählt und hatten großes Vertrauen. Es gab immer einen guten Kontakt zwischen den Werktätigen und mir und den anderen Künstlern, bis auf Ausnahmen. Besonders die Genossen Künstler waren sauer auf mich: Der Quermann kriegte immer die Orden und sie nicht. Krenz hat später mal gesagt: Wenn ich wissen will, was in der Unterhaltung los ist, frage ich nicht euch Idiotenm, Genossen, sondern den Quermann, der sagt mir wenigstens die Wahrheit. Das wurde mir natürlich am gleichen Abend noch aufs Brot geschmiert. Aber ich habe eben nie versucht, irgendwas zu verschönern.

Haben Sie denn manchmal Probleme mit Schlagertiteln bekommen, die Sie dann nicht spielen durften?

Nein, da war ich immer selber schlau genug. Aber es gab zum Beispiel den großen Krach mit "Sing, mei Sachse, sing." Mein Redakteur sagte, den Titel könne ich nicht spielen, der sei gesperrt. Weil ich aber gerade aus dem Urlaub kam, habe ich so getan, als wüsste ich nichts und habe ihn trotzdem gespielt. Er wurde haushoher Sieger, aber es gab ganz finstere Briefe von den Genossen. Rausnehmen konnten wir ihn allerdings nicht mehr, da hätten wir uns lächerlich gemacht. Dann lief er noch zwei Wochen, bis der Knaller kam: General Hoffmann, der Armeechef, rief beim Intendanten an und bestellte Bänder von "Sing, mei Sachse, sing", weil die Soldaten danach marschieren sollten. Danach hat nie wieder einer über den Titel geschimpft.

Es gab aber auch den Vorwurf: Der Quermann macht immer das Gleiche, das ist alles einseitig!

Na ja, logisch. Aber dieses Gleiche ist bei den Leuten doch sichtlich gut angekommen. Die waren doch enttäuscht, wenn ich mal was anderes gemacht habe.

Sie haben alles alleine gemacht, die Texte geschrieben, Redaktion gemacht, moderiert - wie war das eigentlich zu schaffen?

Ich habe natürlich sehr viel improvisiert. Da ist manches Ding so während der Sendung entstanden. Deshalb geriet auch mal was rein, was nicht so toll war. Eine der schwierigsten Sendungen in dieser Hinsicht lief 1963. Da saßen Chruschtschow und alle anderen Parteichefs der Bruderländer und natürlich Ulbricht mit im Publikum. Und da musste ich zu Beginn eines wissen: Wie kriege ich den Chruschtschow. Das Ballett tanzte, dann kam ich raus. Ich hatte zum Glück auch gleich den richtigen Einfall. Als Gastdelegierter beim großen Parteitag hatte ich gesehen, wie Chruschtschow eine Rede aus dem Stehgreif hielt, weil er einfach das Manuskript wegwarf. Jeden anderen hätten sie eingesperrt, wenn er das gesagt hätte, was der da auf dem Parteitag gesagt hat. Und das fiel mir gerade im richtigen Augenblick ein. Ich hatte auch mein Manuskript in der Hand und sagte: "Das gefällt mir, was der Genosse Chruschtschow da gemacht hat", und habe das Blatt einfach weggeschmissen. Da springt Chruschtschow auf und freut sich.

Frau Ulbricht hat, das hat sie später überall rumerzählt, dem Quermann das Leben gerettet. Die wusste ja, dass ich keinen Alkohol vertrage. Chruschtschow wollte nach der Sendung mit dem Quermann saufen. Da wäre ich umgefallen durch die Anspannung. Sie hat dann Chruschtschow beiseite geschoben und ich kriegte zwei Tage später von ihm ein Foto mit Autogramm.

Wenn Sie heute ihre Sendungen mal wieder sehen, gibt es da ein bisschen Wehmut bei Ihnen?

Ja, ein bisschen schon. Als meine Frau noch lebte, haben wir oft hier gesessen und sie hat gesagt: Was du dich alles getraut hast. Aber es war ja nie böse oder so. Es war eben nur ein bisschen locker vom Hocker. Den Leuten hat es sowieso gefallen und bis auf einige Ausnahmen den Genossen auch.

(Das Interview führte der MDR am 20.05.1999)


Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV, am:07.02.2016 | 20:15 Uhr