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RadfahrlegendenDuelle bei der Internationalen Friedensfahrt

16. November 2021, 13:49 Uhr

Bei der Apres Tour 2021 in Gera treffen die Radsportlegenden Olaf Ludwig und sein Kontrahent Dschamolidin Abduschaparow aus Usbekistan wieder aufeinander. Trotz Abduschaparows aggressivem Sprintstil gelang es dem DDR-Radrennfahrer Ludwig, sich bei Rennen der Friedensfahrt und der Tour de France auf seinen Rivalen einzustellen.

von Wiebke Stedler

Der Usbekische Radrennfahrer Dschamolidin Abduschaparow beim Zieleinlauf 1994. Bildrechte: IMAGO / Bürhaus

Aggressiv und Verbissen

Ihre Sprintduelle kurz vor der Zielgeraden sind legendär. Ab 1987 liefern sich DDR-Radrennfahrer Olaf Ludwig und der Usbeke Dschamolidin Abduschaparow bei den Etappen der Internationalen Friedensfahrt oft ein erbittertes Kräftemessen. "Der ist einen Sprint gefahren, der eigentlich nicht zulässig war. Der hat mit dem ganzen Oberkörper gerudert ohne Ende, das war gemeingefährlich. Gegen Abduschaparow zu fahren war verdammt riskant. Und die damaligen DDR-Fahrer hatten sich darauf einstellen müssen. Der hat seine Mitkonkurrenten weggefegt", erinnert sich Walter Weitz an Abduschaparows Fahrstil.

Sportreporter Walter Weitz von MDR INFO im Gespräch mit Täve Schur und Uwe Raab (1992). Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Weitz hat von 1995 bis zum Ende der Friedensfahrt 2006 als Hörfunk-Reporter für den MDR von den Etappen berichtet. Sein unnachgiebiger Fahrstil bringt Abduschaparow den Spitznamen "Terror von Taschkent" ein. Später benennt sich sogar eine britische Rockband nach ihm. Dreimal fährt er bei der Friedensfahrt, dem international wichtigsten Amateur-Radrennen, mit.

Olaf Ludwig bändigt den "Terror von Taschkent"

Seinem Kontrahenten Olaf Ludwig gelingt es dennoch, sich auf den aggressiven Fahrstil seines Rivalen einzustellen. Ludwig ist lange einer der erfolgreichsten deutschen Radrennfahrer. 1980 fährt er das erste Mal bei der Friedensfahrt mit, zwei Mal wird er Gesamtsieger. Insgesamt siegt Ludwig bei 36 Etappen. Auch an der Tour de France 1991 nimmt er teil, die Abduschaparow zum Verhängnis wird. Bei einem Massensprint gelangt er zu weit an den rechten Fahrbandrand, bleibt in der Absperrung hängen und stürzt. Zwei Konkurrenten bringt er dabei wortwörtlich zu Fall, darunter auch den Leipziger Rennfahrer Jan Schur, Sohn der DDR-Radlegende Täve Schur.

Bereits als 17-Jähriger trat Olaf Ludwig im internationalen Amateur-Radsport für die DDR an. Bildrechte: imago images / Camera 4

Duelle waren einmalig

"Zwar gab es andere große Duelle zwischen Rennfahrern aus der DDR und der Sowjetunion, aber so etwas wie die Abduschaparow-Ludwig Duelle, die gab es später nie wieder", ist sich Weitz sicher. Harte Kopf-an-Kopf-Rennen seien typisch für die Tour de France gewesen, nicht aber für die Friedensfahrt, meint auch Michael Schiffner, der selbst von 1972 bis 1976 bei der Friedensfahrt für die DDR an den Start geht. "Man legte viel Wert auf die Mannschaftswertung der einzelnen Länder. Eine gewisse Rivalität gab es immer. Allerdings fielen die einzelnen Etappen mehr ins Gewicht und am Ende hat sich das stärkste Team durchgesetzt.", erklärt er.

Die Internationale Friedensfahrt

Die Internationale Friedensfahrt war das bedeutendste Amateurrennen des Radsports. Ins Leben gerufen wurde sie 1947 und etablierte sich über die Jahre als "Tour de France des Ostens". Die Etappen führten in den meisten Jahren über die Städte Warschau, Prag und Berlin. Zwischenzeitlich gingen mehr als 20 Nationen an den Start. Als erster DDR-Bürger gewann Gustav-Adolf "Täve" Schur die Friedensfahrt und wurde zur Radsport-Legende der Nation. Nach der Wende konnten die Organisatoren die Friedensfahrt für einige Jahre im Profisport etablieren. Wegen Finanzierungsschwierigkeiten und Dopingvorfällen wurde das Rennen 2006 eingestellt.

Diese Radfahrer waren Weltklasse im Amateur-Bereich. Radsport war das Non plus ultra in der DDR.

Walter Weitz

Gustav-Adolf "Täve" Schur war 1955 der erste DDR-Bürger, der die Friedensfahrt gewann. Er wurde zur Radsportlegende. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Holprige Nachwendejahre

Die Duelle zwischen den Rivalen Abduschaparow und Ludwig markieren nur ein kleines Kapitel in der Geschichte der Friedensfahrt. Radrennfahrer wie Gustav-Adolf "Täve" Schur, Hans-Joachim Hartnick oder Uwe Ampler traten im Laufe der Zeit für die DDR bei dem Rennen an. "Diese Radfahrer waren Weltklasse im Amateur-Bereich. Radsport war das Non plus ultra in der DDR. Die Friedensfahrt hat da einen entscheidenden Anteil gehabt. Sie war fast schon ein Staatsunternehmen im weitesten Sinne", so Weitz. Die Friedensfahrt habe deshalb eine nicht zu unterschätzende politische Dimension gehabt, derer sich die Staatsführungen der beteiligten Länder durchaus bewusst gewesen seien.

Eine Herausforderung jagt die nächste

Die politische Bedeutung verschwindet jedoch abrupt nach der Wende. Plötzlich muss eines der weltweit wichtigsten Amateurradrennen einen Platz im Profisport finden. Eine Herausforderung, die nur schwer zu bewältigen ist. Der ehemalige tschechische Rennfahrer Pavel Doležel wird Hauptorganisator der Friedensfahrt. Er meldet das Rennen zunächst beim Dachverband der nationalen Radsportverbände UCI als tschechisches Rennen an, um es unter altem Namen fortlaufen zu lassen.

Auch Radsportlegende Täve Schur setzt sich für den Erhalt der Friedensfahrt ein. Keine leichte Aufgabe, denn die Friedensfahrt konkurriert nun direkt mit anderen Profirennen, allen vorweg der Tour de France. Für die enormen Kosten müssen genügend Sponsoren gefunden, Rennfahrer für die Etappen verpflichtet werden. In den 1990er-Jahren braucht die Friedensfahrt deshalb einige Jahre, um sich als Profirennen zu etablieren.

Das Ende der Friedensfahrt

Im neuen Jahrtausend gerät die Friedensfahrt zunehmend in eine Krise. Wegen eines Rechtsstreits gibt Doležel seine Position als Hauptorganisator des Rennens auf. In der Folge springen wichtige Sponsoren ab und die Veranstalter geraten in finanzielle Schwierigkeiten. Michael Schiffner macht Negativschlagzeilen, als seine Stasi-Vergangenheit bekannt wird. Zudem belasten zahlreiche Dopingskandale viele Teilnehmer der Friedensfahrt. 2005 wird das Rennen abgesagt, im Jahr darauf findet es zum letzten Mal statt. Nachdem er zum dritten Mal bei den Olympische Spielen teilgenommen hat, beendet Olaf Ludwig schon 1996 seine Karriere als Radrennprofi. Ein Jahr später muss auch Abduschaparow seine Profikarriere wegen eines Dopingvorwurfs beenden. Pläne, die Friedensfahrt im Jahr 2014 wiederzubeleben, scheitern ebenfalls. Zur Apres Tour 2021 hat Ludwig es jedoch nicht weit, um noch einmal gegen seinen alten Kontrahenten anzutreten: Er lebt heute wieder in seiner Geburtsstadt Gera und bietet Radsporttouren für Touristen an.

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Über dieses Thema berichtete der MDR im TV:MDR AKTUELL - Spätausgabe | 07.05.2021 | 21:45 Uhr