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HVA-Chef Markus Wolf – eine Legende in der Welt der Spionage. Bildrechte: MDR/rbb/ARD/BStU

"Mann ohne Gesicht"Markus Wolf: Orte, Daten und Ereignisse

10. November 2020, 12:37 Uhr

Markus Wolf avancierte während seiner Karriere zum Leiter der Hauptabteilung Aufklärung (HVA), des Auslandsnachrichtendienstes der DDR. Die Chronologie vereint biografische Stationen und Schauplätze seines Lebens und meist geheimen Wirkens, das ihn nach 34 Jahren in Mielkes MfS am 4. November 1989 zur Großdemonstration auf den Berliner Alexanderplatz führte.

1921: Heinrich Graf von Einsiedel geboren

Potsdam: Heinrich Graf von Einsiedel wird in Potsdam als Sohn des Grafen Herbert von Einsiedel und seiner Ehefrau Irene, einer Enkelin des Reichskanzlers Otto von Bismarck, geboren. Als Adjutant einer Jagdfliegergruppe gerät Einsiedel im August 1942 bei Stalingrad in sowjetische Gefangenschaft, wo er den späteren DDR-Geheimdienstchef Markus Wolf kennen lernt.

Rund 40 Jahre später gewährt Einsiedel, der in Deutschland mittlerweile als Publizist und Politiker Karriere gemacht hat, seinem Freund Markus Wolf Unterschlupf in seiner Wohnung im österreichischen Kitzbühel. Dort kann sich Wolf auf seiner Flucht vor den bundesdeutschen Behörden für mehrere Monate verstecken.

19. Januar 1923: Markus Wolf geboren

Hechingen (Baden-Württemberg): Markus Johannes ("Mischa") Wolf wird in Hechingen geboren. 1933 flieht seine Familie vor den Nationalsozialisten über die Schweiz und Frankreich nach Russland. Dort wächst er mit seinem Bruder Konrad zweisprachig auf. Die Sowjetunion wird den Geschwistern zur zweiten Heimat. Markus Wolf besucht ab 1942 eine Hochschule für Flugzeugbau in Moskau und tritt in die Exil-Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ein, sein Bruder Konrad meldet sich zur Roten Armee an die Front. Markus Wolf arbeitet als Redakteur, Sprecher und Kommentator beim "Deutschen Volkssender" in Moskau.

1945 kehrt Markus Wolf schließlich nach Deutschland zurück. Von 1952 bis 1986 leitet er die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), den Auslandsnachrichtendienst im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR. Als Chef der DDR-Auslandsspionage wirkt er im Geheimen - im Westen kennt man jahrzehntelang nicht mal sein Gesicht. Als er enttarnt wird, gilt das als Sensation - ein erster großer Rückschlag für Markus Wolf.  Mielkes "bester Mann" gilt vielen heute noch als erfolgreichster Spionagechef des Kalten Krieges.

9. März 1929: Werner Großmann geboren

Pirna: In der Nähe des sächsischen Pirna wird Werner Großmann, Markus Wolfs Nachfolger als DDR-Spionage-Chef, am 9. März 1929 geboren. Von 1941 bis 1952 studiert er an der Technischen Hochschule in Dresden Pädagogik, wird FDJ-Funktionär und besucht die Schule des außenpolitischen Nachrichtendienstes. Danach tritt Großmann in die von Markus Wolf geleitete Einheit der HVA ein. Dort macht er schnell Karriere. Erst wird er Wolfs Stellverstreter, 1986 Chef übernimmt er dann seinen Posten. Gleich nach der Widervereinigung - Wolf ist noch auf der Flucht - wird Großmann von den bundesdeutschen Behörden verhaftet.

5. Oktober 1953: Tod von Friedrich Wolf

Oranienburg-Lehnitz (Brandenburg): Friedrich Wolf, Vater von Markus Wolf, stirbt in Lehnitz bei Oranienburg. Der Arzt und Schriftsteller verbringt einige Jahre im Ausland, lebt ab 1945 wieder in Deutschland und gehört der Aufbau-Generation der DDR an. Hier ist er vor allem schriftstellerisch und kulturpolitisch tätig, so ist er an der Gründung der DEFA beteiligt Von 1949 bis 1951 ist er erster Botschafter der DDR in Polen.

1945-1946: Nürnberger Prozesse

Nürnberg: Zwischen dem 20. November 1945 und dem 14. April 1949 finden die "Nürnberger Prozesse" statt. Vor dem Internationalen Militärgerichtshof stehen die Hauptkriegsverbrecher. Außerdem gibt es zwölf weitere Nachfolge-Prozesse vor dem US-amerikanischen Militärgerichtshof im Justizpalast von Nürnberg.

Unter dem Decknamen "Michael Storm" ist Wolf seit seiner Rückkehr nach Deutschland beim neu aufgebauten Berliner Rundfunk tätig, wo er bis 1949 bleibt. Wolf ist in dieser Funktion auch als Berichterstatter bei den Nürnberger Prozessen akkreditiert.

1951: Gründung des Außenpolitischen Nachrichtendienstes

Berlin: Am 1. September 1951 wird unter Leitung von Anton Ackermann der Außenpolitische Nachrichtendienst (APN) der DDR gegründet, getarnt als "Institut für wirtschaftswissenschaftliche Forschung" (IPW). Später geht er über in die "Hauptverwaltung Aufklärung" (HVA), dem Auslandsnachrichtendienst der DDR, der zum Ministerium für Staatssicherheit gehörte.

Nach späterer Erinnerung von Markus Wolf sind bei der Gründung in Berlin-Bohnsdorf acht Deutsche und vier sowjetische Berater anwesend. Der APN untersteht dem Außenministerium der DDR. Erster Leiter ist Ackermann, sein Stellvertreter wird Richard Stahlmann. Chef der "Berater" ist der KGB-Offizier Andrej Grauer, laut Wolf von Stalin persönlich mit der "Aufbauhilfe" beauftragt. Wolf selbst wird stellvertretender Leiter der Hauptabteilung III (Abwehr) des Nachrichtendienstes.

1952-1986: Karriere im Geheimdienst

Berlin: 1952 wird Markus Wolf als Nachfolger von Anton Ackermann zum Leiter des APN berufen. Ein Jahr später  wird der Außenpolitische Nachrichtendienst (APN) in das Ministerium für Staatssicherheit eingegliedert. Fortan fungiert Wolf als Leiter der Hauptabteilung XV (Auslandsaufklärung). 1956 ändert sich die Bezeichnung der Stelle in Hauptverwaltung Aufklärung (HVA). Wolf wird Generalmajor und als Spionagechef auch 1. Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit - zunächst unter Ernst Wollweber, dann unter Erich Mielke.

Bei Wolf laufen nun alle Fäden eines weltweiten Agentennetze zusammen: 4.600 Hauptamtliche Mitarbeiter, über 10.000 Inoffizielle Mitarbeiter, 1.500 Spione in der Bundesrepublik, darunter rund 50 Spitzenquellen arbeiten ihm zu. Seine Mitarbeiter in der Hauptverwaltung A werden speziell ausgewählt und sind vielfach besser ausgebildet als normale Stasi-Spitzel, sie verstehen sich als Elite im Ministerium. Das wichtigste Ziel für Wolf und seine Abteilung ist die Wirtschaftsspionage in der BRD. Außerdem soll die westdeutsche Politik und ihre wichtigsten Vertreter beeinflusst und durch gezielte Falsch-Informationen destabilisiert werden.

24. August 1947: Werner Stiller geboren

Schkopau in Sachsen-Anhalt /Leipzig: Am 24. August 1947 wird der spätere Nachrichtendienstler Werner Stiller in Weßmar, einem Ortsteil von Schkopau im heutigen Sachsen-Anhalt geboren. Ab 1966 studiert Stiller Physik an der Universität Leipzig. 1970 wird er inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR, Hauptverwaltung Aufklärung HVA, Abteilung XIII, Referat 1, das zuständig ist für Spionage auf dem Gebiet der Kernwaffen und Forschung in der Physik. Als Überläufer enttarnt er Markus Wolf im Westen.

27. April 1972: Misstrauensvotum gegen Willy Brandt

Bonn: Am 27. April 1972 kommt es im Bundestag zum konstruktiven Misstrauensvotum gegen den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt (SPD). Es richtet sich gegen die von der sozialliberalen Koalition unter Brandt eingeleitete Entspannungspolitik, die in den sogenannten Ostverträgen gipfelt. Sie sollen die Grundlage für Zusammenarbeit und Frieden in Europa schaffen, für Entspannung zwischen Ost und West sorgen und vor allem dem Auseinanderleben der beiden deutschen Staaten entgegenwirken. Doch gerade diese Ostpolitik bringt die sozialliberale Koalition, etwa ein halbes Jahr nachdem Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden ist, an den Rand einer Regierungskrise. Die Opposition spricht vom "Ausverkauf deutscher Interessen".

Markus Wolf trägt maßgeblich zum Scheitern des Misstrauensvotums bei, indem er die Stimme des CDU-Abgeordneten Julius Steiner kauft. Dies kommt allerdings erst nach der Wende ans Tageslicht, als Wolf in seinen Memoiren zugibt, Steiner mit der Zahlung von 50.000 DM bestochen zu haben, damit sich dieser beim Misstrauensvotum der Stimme enthält. Das Ministerium für Staatssicherheit will Brandt 1972 im Amt halten und die Ostverträge sichern, an denen nicht nur der DDR, sondern auch der Sowjetunion gelegen ist.

Allerdings gibt es damals noch einen zweiten Abgeordneten, der Brandt damals die Kanzlerschaft rettet. Das ergibt sich erst 2006 nach einer Auswertung geheimer Stasi-Akten: Magazine wie "Der Spiegel" oder "Cicero" berichteten, dass die so genannten Rosenholz-Dateien den früheren CSU-Abgeordneten Leo Wagner als Inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi ausweisen. Das erhärtet den bereits bestehenden, aber nie bewiesenen Verdacht, dass Wagner ebenso wie Steiner Geld für seine Stimme erhalten hat.

1974: Die Affäre Günter Guillaume

Bonn: Über 15 Jahre lebt und arbeitet der Stasi-Spitzel Günter Guillaume im Westen, steigt in der SPD immer weiter auf und wird schließlich zum engsten Mitarbeiter von Bundeskanzler Willy Brandt. Damit hat Markus Wolf eine Quelle direkt in der westdeutschen Regierungsspitze.

Ab Mitte 1973 häufen sich im Westen die Indizien gegen Guillaume. Der bundesdeutsche Verfassungsschutz überwacht ihn und seine Frau Christel. Doch Markus Wolf belässt Guillaume auf seinem Posten. Zu lange, denn am 24. April 1974 werden er und seine Frau verhaftet. So verliert Wolf seinen Top-Mann im Westen und der größte Spionagefall in der Geschichte der Bundesrepublik zwingt Willy Brandt am 6. Mai 1974 zum Rücktritt. Guillaume wird 1975 zu acht Jahren Haft verurteilt, von denen er jedoch wegen eines Agententausches nur sechs absitzen muss.

1976: Ehe mit Christa Heinrich

Karl-Marx-Stadt/Chemnitz: Christa und Markus Wolf lernen sich in Karl-Marx-Stadt kennen, 1976 heiraten sie. Erst dann weiht Wolf seine zweite Ehefrau in seine Geheimdienst-Tätigkeit ein. Für die gelernte Schneiderin ist dies aber kein Problem, denn auch sie ist schon seit Jahren für die Stasi tätig. Die Ehe endet 1986.

Im selben Jahr kommt Markus Wolf mit seiner späteren dritte Ehefrau Andrea Stingl zusammen. Wolfs Frauengeschichten sind seinem Vorgesetzten Erich Mielke ein Dorn im Auge, besonders weil Stingl bereits vier Monate wegen versuchter Republikflucht in Stasi-Haft gesessebn hat. In späteren Zeitungsinterviews deutet er an, dass auch Wolfs Lebenswandel zu seinem Ausscheiden bei der Stasi im Jahr 1986 führte. 

1979: Die Affäre Stiller

Pullach: Werner Stiller nimmt 1972 Kontakt mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) auf, der zunächst eine Falle wittert. Doch sieben Jahre später flüchtet Stiller mit zahlreichen geheimen Unterlagen der DDR-Spionageabteilung HVA in den Westen. Seine Flucht aus der DDR, bei der er eine Agentenschleuse am Bahnhof Friedrichstraße nutzt, gilt bis heute als eine der spektakulärsten Affären im Kalten Krieg.

Als ihm ein Foto von Geheimdienst-Chef Markus Wolf vorgelegt wird, bestätigt er dessen Identität. Plötzlich hat Wolf im Westen ein Gesicht, Auslandsreisen sind für ihn von nun an nur noch schwer möglich. Als auch der "Der Spiegel" sein Foto als Titelbild veröffentlicht, muss sich Wolf für den Misserfolg in einer internen Auseinandersetzung mit Erich Mielke rechtfertigen.  

1980er-Jahre: Markus Wolf im "Stern" enttarnt

Hamburg: Harald Schmitt ist als Fotograf des Magazins "Stern" sechs Jahre in Ostberlin tätig. Er liefert Fotos von Reisen Erich Honeckers nach Japan oder Sambia (1979). Am 12. März 1982 macht er ein Foto von Markus Wolf bei der Beerdigung von dessen Bruder Konrad auf dem Friedhof Berlin-Friedrichsfelde.

In seinem Bildband "Sekunden, die Geschichte wurden" berichtet Schmitt später, dass die Negative zu den Fotos aus dem "Stern"-Archiv "auf mysteriöse Weise" verschwunden seien. Schmitts Fotos, die er unter anderem vor und während der Wende 1989 in der DDR und den angrenzenden Ostblockstaaten schießt, zählen heute zu den Dokumenten der Zeitgeschichte.

1989: Ende der DDR

Ost-Berlin: Markus Wolf veröffentlicht sein Buch "Die Troika", das durch selbstkritische Offenheit überrascht. Im September 1989 spricht er in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" von seiner Mitverantwortung an den Mängeln der DDR. Später nimmt er an Veranstaltungen oppositioneller Gruppen teil und bezeichnet sich selbst als Berater der neuen SED-Politiker, übernimmt aber selbst keine Ämter.

Das Stasi-Etikett wird er dennoch nicht mehr los. Im November 1989 tritt er auf dem Berliner Alexanderplatz vor hunderttausenden Demonstranten öffentlich auf und wird ausgepfiffen. Im wiedervereinigten Deutschland soll die Stasi-Führung schließlich auf die Anklagebank. Ab Juni 1990 erlässt die Bundesrepublik einen Haftbefehl gegen Markus Wolf. Er flieht mit seiner Familie über die Tschechoslowakei nach Österreich, dann nach Russland.

27. September 1990: Flucht von Markus Wolf

Oberwiesenthal: Markus Wolf flieht über die DDR-Grenze in die Tschechoslowakei. Mit dabei sind sein Sohn Franz aus erster Ehe, seine dritte Frau Andrea sowie sein Schwiegervater. Alle reisen mit ihren echten Pässen und Namen. Allerdings hat Wolf sein West-Auto kurz zuvor gegen einen alten Lada getauscht. Die Flucht der Familie gelingt. Als ehemaliger DDR-Geheimdienstchef steht Wolf ganz oben auf der Fahndungsliste der Bundesanwaltschaft.

Das erste Versteck der Wolfs ist eine unauffällige Ferienwohnung im österreichischen Kitzbühel, die ihm sein Freund Heinrich Graf von Einsiedel verschafft. Schließlich helfen Wolf seine alte Kontakte zum sowjetischen Geheimdienst. Im November 1990 flieht er mit seiner Frau weiter nach Moskau. Ein KGB-Kurier bringt sie aus Österreich nach Ungarn, von dort geht es per Flugzeug in die sowjetische Hauptstadt. Sie bleiben ein Jahr, bis schließlich auch die Sowjetunion zusammenbricht.

September 1991: Rückkehr nach Deutschland

Bayerisch Gmain (Österreich): Fast genau nach einem Jahr kehrt der Flüchtling Markus Wolf mit seiner Frau Andrea nach Deutschland zurück. Sie haben ihr Moskauer Exil verlassen, auch auf Anraten ihrer Anwälte. Wolfs letzte Option ist, sich den deutschen Behörden zu stellen.

Bundesanwalt Joachim Lampe nimmt den prominenten Häftling schon an der Grenze in Gewahrsam. Johann Schwenn, ein bekannter Anwalt aus Westdeutschland, übernimmt seine Verteidigung.

Mai 1993: Prozess gegen Wolf

Düsseldorf: Fast zwei Jahre nach seiner Festnahme beginnt im Mai 1993 der Prozess gegen den ehemaligen DDR-Spionage-Chef Markus Wolf. Das Medien-Interesse ist riesig, die Anklage lautet auf Landesverrat und Bestechung. Das Gericht folgt letztlich der Anklage und verurteilt Markus Wolf zu sechs Jahren Freiheitsstrafe.

Allerdings muss der mittlerweile 70-Jährige nicht mehr in Haft. Zwei Jahre später kommt es zu einer Wende: Denn das Bundesverfassungsgericht trifft eine Grundsatzentscheidung: Mitarbeiter der HVA mit damaligem Lebensmittelpunkt in der DDR werden nicht strafrechtlich verfolgt. Das Urteil gegen Wolf wird damit aufgehoben.

9. November 2006: Tod von Markus Wolf

Berlin: In der Nacht zum 9. November stirbt Markus Wolf in Berlin. Am 25. November wird seine Urne im Grab seines Bruders Konrad in der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin beigesetzt.