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Die SchicksalsstreckeDas Zugunglück von Langenweddingen

18. November 2021, 09:45 Uhr

1967 ereignete sich das schwerste Zugunglück der DDR. In Langenweddingen bei Magdeburg kollidierte ein Doppelstockzug der Deutschen Reichsbahn mit einem Tanklastwagen. 94 Menschen kamen dabei ums Leben.

von Sebastian Mantei

Am 6. Juli 1967 haben in der DDR gerade die Sommerferien begonnen und Ferienzüge rollen auch in den Harz. Doch für einen Zug endet an diesem Tag die Fahrt in einer Katastrophe. An einem beschrankten Bahnübergang bleibt eine Schranke in einem Telefonkabel hängen. Dieses quer über den Bahnübergang baumelnde Kabel hatte sich bereits des Öfteren in den Schranken verfangen. Passiert war aber nie etwas, immer hatten die Schrankenwärter die Schranken wieder freibekommen. Diesmal aber versucht der Schrankenwärter vergeblich durch Hoch- und Runterkurbeln der Schranke das Kabel zu lösen.

Unterdessen nimmt ein aus Magdeburg kommender, mit Ferienkindern besetzter Personenzug in Richtung Thale Kurs auf Langenweddingen. Die Schranke ist noch immer oben und dem Fahrdienstleiter gelingt es nicht mehr, die Signale der Bahnstrecke auf Rot zu schalten. Dann geschieht das Unfassbare. Ein mit 15.000 Litern Leichtbenzin befüllter "Minol"-Tankwagen fährt über die Gleise. In diesem Moment rast der Zug in den Tankwagen. Es kommt zu einer verheerenden Explosion.

So eine Explosion, so eine schreckliche Explosion vergesse ich mein ganzes Leben nicht. Die Fensterscheiben waren geborsten, ein Kind neben mir rang nach Luft. Ich bin dann noch gestürzt, ging alles ganz schnell und die Kinder haben geschrien: 'Es ist Krieg, es ist Krieg!'

Jutta Hamann, damals eines der Ferienkinder im Personenzug. Sie verlor bei dem Unglück ihre beiden Schwestern. Sie selbst war im Gesicht und an den Händen stark verbrannt.

Schreckensszenen entlang der Bahnlinie

In der Nähe der Unglücksstelle steht damals zufällig Heinz Neumann. Er ruft umgehend seine Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr. Doch trotz des schnellen Einsatzes können die Helfer die Folgen der Katastrophe nicht bewältigen. Die vorderen und hinteren Waggons stehen meterhoch in Flammen. Schreckensszenen spielen sich ab. Der Feuerwehrmann Manfred Carsten: "Dieses Ausmaß, so was hatte man noch nie gesehen. Und dann die Panik, die da ausgebrochen war. Es war wirklich sehr, sehr schlimm."

Noch bevor Krankenwagen am Unglücksort eintreffen, bringen Auto- und Busfahrer aus Langenweddingen die Verletzten in Krankenhäuser ins nahegelegene Bahrendorf und nach Magdeburg. In der "Medizinischen Akademie Magdeburg" werden alle Operationen umgehend abgebrochen und Betten geräumt.

Diese Bilder auf der improvisierten Intensivstation, die verlassen einen zeitlebens nicht. Zumal bei den Kindern, die zum Teil Verbrennungen im Gesicht hatten, und alle eigentlich auch an den Händen, weil sie alle versucht hatten, sich irgendwie zu befreien. Und dann immer wieder die besorgten Fragen: 'Was wird aus mir, werd' ich wieder gesund ...?' Das vergisst man sein ganzes Leben nicht.

Professor Wolfgang Röse, damals Oberarzt der Anästhesie

Staatsakt für die Todesopfer

Insgesamt fordert das Zugunglück in Langenweddingen 94 Todesopfer, davon 44 Schulkinder. Die DDR gedenkt der Opfer der Katastrophe mit einem Staatsakt, der vom Fernsehen übertragen wurde: "Feuerwehrleute, Soldaten unserer Nationalen Volksarmee, Volkspolizisten, Helfer des Deutschen Roten Kreuzes kämpften und rangen um jedes Menschenleben. Doch für viele gab es nicht mehr Rettung, nicht mehr Hilfe ..."

Der Schrankenwärter und der Bahnhofsvorsteher von Langenweddingen werden jeweils zu Freiheitsstrafen von fünf Jahren verurteilt. Ein halbes Jahr nach dem Unglück wird in der DDR eine neue "Transportordnung für Gefahrgüter" beschlossen – die Schließzeiten für Schranken werden deutlich ausgedehnt und Busse und Gefahrguttransporter angewiesen, auch bei geöffneten Schranken vor dem Überqueren der Gleise anzuhalten.

(zuerst veröffentlicht am 31.01.2011)

Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV:SACHSEN-ANHALT HEUTE | 06.07.2017 | 19:00 Uhr