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Die Komintern: Der lange Arm der roten Front

15. Mai 2019, 09:36 Uhr

Endlich schien ihnen die Zeit gekommen: nach den Verwerfungen des I. Weltkriegs wähnten linke Politiker aus aller Herren Länder die große proletarische Weltrevolution zum Greifen nah. Mitten im Russischen Bürgerkrieg fanden sich Anfang März 1919 einige von ihnen in Moskau zusammen, um die Kommunistische Internationale zu gründen – die als Zusammenschluss ihrer Parteien das Ende des Kapitalismus herbeiführen sollte. Am 15. Mai 1943 wurde sie von Stalin aufgelöst.

von Johannes Christof

Als der oberste Genosse Lenin am Abend des 2. März 1919 im Moskauer Kreml den I. Weltkongress der Kommunistischen Internationalen eröffnete, erhoben sich die Anwesenden zunächst im Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von ihren Sitzen. Nur anderthalb Monate zuvor waren die beiden linken Größen in Deutschland ermordet worden. Als Nächstes sprach Lenin von einer Zusammenkunft mit "weltgeschichtlicher Bedeutung", durch die bewiesen sei, dass die "Illusionen der bürgerlichen Demokratie" zerstört seien. Was nun folgen sollte, sei nichts weniger als die proletarische Weltrevolution.

Offiziell waren 35 Delegierte aus nahezu aller Welt anwesend – wobei einige der Teilnehmer dem Vernehmen nach kurzerhand noch aus Emigranten und Kriegsgefangenen innerhalb Sowjetrusslands rekrutiert worden waren. Nicht zuletzt deshalb zweifelte der gebürtige Thüringer Hugo Eberlein wohl als Vertreter der deutschen KPD an, dass der Kongress tatsächlich befugt sei, eine neue Internationale zu begründen – als Nachfolgerin zweier Vorläuferorganisationen seit 1864.

Rotfront in Moskau

Unter der Führung von Lenin und Leo Trotzki nahm die Gründung der sogenannten Komintern aber dennoch ihren Lauf und wurde vor allem durch die Nachricht befördert, dass in Ungarn eine sozialistische Räterepublik ausgerufen worden war. Als Spitze der werdenden "Weltpartei" des Kommunismus wurde neben dem alle paar Jahre tagenden Weltkongress ein Exekutivkomitee eingerichtet, für dessen Sitz Moskau gewählt wurde. Allerdings sollte dieser nach dem erwarteten Ausgreifen der Revolution in das Herz Europas verlegt werden. Erster Präsident wurde der Lenin-Vertraute Grigori Sinowjew.

Dem Kampf verschrieben

Obwohl in Ungarn und auch in Bayern der Versuch einer Räterepublik scheiterte, blieb der revolutionäre Optimismus innerhalb der Komintern zunächst groß. Der internationale Umbruch zugunsten der Arbeiter und Bauern wurde bald erwartet. Ein friedlicher und somit langwieriger Weg zur Macht kam gerade für viele russische Genossen eigentlich nicht in Frage – auch nicht nachdem das Vorrücken der sowjetischen Truppen aus dem Bürgerkrieg heraus gen Westen in der Schlacht von Warschau im August 1920 gestoppt wurde. Vielmehr setzte man unter den erprobten Revolutionären in Moskau beharrlich darauf, den Beginn der neuen Zeit wie im "Roten Oktober" 1917 nun auch mitten in Europa gezielt einzuläuten.

Machtprobe in Mitteldeutschland

In diesem Sinne waren es Abgesandte der Komintern-Spitze, die Anfang 1921 in Deutschland einen Umsturz befördern sollten – als Meilenstein im Kampf um den Kontinent. Die "Vertrauensleute" des Exekutivkomitees hielten die deutschen Genossen nun dazu an, mithilfe der unzufriedenen Arbeiterschaft gegen die noch junge Weimarer Republik loszuschlagen. Als die preußische Polizei im März 1921 in die Provinz Sachsen als unruhige mitteldeutsche Hochburg der Kommunisten einmarschierte, riefen diese schließlich ihre Unterstützer landesweit zum Generalstreik auf.

Dem Aufruf ihrer Parteiführer folgten die kommunistisch gesinnten Arbeiter aber nur in Teilen Deutschlands – wie etwa im Ruhrgebiet und besonders in Mitteldeutschland als dem Herz des nun entfachten Aufstands. Dieser eskalierte besonders durch die Aktionen des Anarchisten Max Hoelz, der mit Arbeiterstoßtrupps Plünderungen und diverse Anschläge durchführte, und endete mit einem blutigen Kampf um die besetzten Leuna-Werke bei Merseburg. Nach gut zwei Wochen Chaos war die Machtprobe im Sinne des Staates entschieden – neben einigen Dutzend Toten hatte sie mehrere Tausend Verhaftungen unter den Aufständischen zur Folge. Für die kommunistischen Parteistrategen war die schlecht organisierte und letztlich aussichtslose Aktion insgesamt ein herber Rückschlag, der einen massiven Mitgliederschwund in der Partei nach sich zog. Allerdings war sie noch nicht das Ende ihrer Kampflinie – denn vor allem in Moskau war ein erzwungener Umbruch in Deutschland keineswegs vom Tisch.

Auf verlorenem Posten

Zwar unterstützte vor allem Lenin nun demonstrativ Gegner der mitteldeutschen Märzaktion wie die Komintern-Mitstreiterin Clara Zetkin und sprach davon, dass man in Deutschland auf eine Provokation hereingefallen sei. Aber der wesentlichen Mitverantwortung und der weiteren Strategie der Komintern-Führung entsprach dies freilich nicht. Zwar bekannte man sich in Moskau jetzt verstärkt dazu, die Macht in Europa eher Schritt für Schritt erobern zu wollen – aber nur zwei Jahre nach den erfolglosen Märzkämpfen setzte die Komintern-Spitze um Sinowjew erneut auf den gewaltsamen Umsturz in Deutschland.

Der sogenannte "Deutsche Oktober" von 1923 als geplanter Schlag gegen die Weimarer Ordnung fand aber letztlich nur in Hamburg durch kämpfende Arbeiter unter dem Komintern-Genossen Ernst Thälmann statt und wurde dort blutig niedergeschlagen. In Mitteldeutschland liefen die Planungen zu einem erneuten Aufstand weitgehend ins Leere, als man beispielsweise im Chemnitzer Volkshaus letztlich entschied, der bereits anrückenden Reichswehr nicht entgegenzutreten.

Vom Aufschwung zum Niedergang

Der erneute Rückschlag Ende 1923 ließ nun auch in der Moskauer Komintern-Zentrale die Erkenntnis wachsen, dass in Deutschland wohl kein gewaltsamer Umbruch zu schaffen war. Man hatte die Stärke und Entschlossenheit des Weimarer Staates offensichtlich unterschätzt. Dementsprechend schwenkte die zusehends sowjetisch dominierte Internationale nun endgültig um auf das Ziel, die Machtverhältnisse in Europa allmählich über die Wahlurnen zu verändern.

In den folgenden Jahren wuchs die Komintern als Herzstück der weltweiten kommunistischen Bewegung zu der straff organisierten "Weltpartei" heran, als die sie von Anfang an gedacht war. Aus 40 angeschlossenen Parteien mit 1,6 Millionen Mitgliedern 1928 wurden so bis 1935 61 Parteien mit 3,1 Millionen Mitgliedern. Auf den insgesamt sieben Weltkongressen bis 1935 diskutierten bekannte Genossen wie Georgi Dimitroff, Ho Chi Minh, Herbert Wehner oder Walter Ulbricht über den weiteren Weg. Allerdings war dieser spätestens ab Ende der 1920er-Jahre unter der absoluten Macht des Lenin-Nachfolgers Stalin weitgehend vorgezeichnet und orientierte sich stets strikt an der Entwicklung der Sowjetunion.

Stalin war es auch, der die Komintern am 15. Mai 1943 schließlich als Zugeständnis an seine westlichen Verbündeten im II. Weltkrieg auflöste – nachdem die Organisation unter seiner Herrschaft letztlich machtlos geworden und mit ihrem ursprünglichen Ziel der Weltrevolution längst gescheitert war.


Über dieses Thema berichtete der MDR auch in Geschichte Mitteldeutschlands:TV | 12.07.2016 | 21:15 Uhr