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Heute im Osten

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Die Kinder von Sarajevo

07. Mai 2018, 10:52 Uhr

1992 ist Krieg in Bosnien. Sarajevo ist von serbischen Truppen umlagert und eingekesselt. In der Stadt gibt es keine Versorgung. Granaten und Schüsse fallen, viele Menschen sterben. Unter den Opfern sind auch viele Kinder. Inmitten des Kriegsgebietes liegt das Waisenhaus Bjelave. Viele der Pfleger sind geflohen. Zurück geblieben sind einige erwachsene Helfer und traumatisierte Waisenkinder, ohne Schutz und Hilfe.

Eine gefährliche Mission

Jürgen Angelbeck während der dramtischen Rettungsaktion 1992 in Sarajevo. Bildrechte: Jürgen Angelbeck

Beim Landtagsabgeordneten Jürgen Angelbeck in Magdeburg geht ein Hilferuf aus dem Waisenhaus in Bjelave ein. "Wenn man helfen kann, muss man helfen!" so hat es Jürgen Angelbeck gelernt. Er spricht mit deutschen und bosnischen  Politikern und Behörden, sucht sich Mitstreiter, um die Kinder aus Sarajevo zu retten. Unterstützung gibt es damals wenig, und so macht er sich gemeinsam mit seinem Kollegen Karsten Knolle, einem Kinderarzt und zwei Krankenschwestern auf den Weg, um die Kinder aus der Stadt zu holen. Eine schwierige Mission - sie reisen durch ein waffenstarrendes Gebiet.

Ein Waffenstillstand für die Kinder

Das entscheidende Dokument: Erlaubnis zur Ausreise Bildrechte: Jürgen Angelbeck

Der Kurort Fojnica, etwa eine Fahrstunde von Sarajevo entfernt, erweist sich als günstigster Ort für die Vorbereitung der Rettungsaktion, denn nur von hier kann Angelbeck direkt ins Telefonnetz in Sarajevo telefonieren und faxen. In einem Kurheim kommen die deutschen Helfer unter, organisieren über eine örtliche Hilfsorganisation einen Bus, können sogar einen kurzen Waffenstillstand aushandeln und erwirken schließlich die Genehmigung für die Ausreise der Kinder.

Schüsse aus dem Hinterhalt

Fast in Sicherheit. Und dann fallen doch noch Schüsse ... Bildrechte: OPEN house media

Dann ist es soweit und der Bus kann die Stadt verlassen. Babys und Kleinkinder fahren mit wenigen Betreuerinnen aus der umkämpften Stadt. Der Bus wird von Heckenschützen beschossen, die sich nicht an den Waffenstillstand halten. Zwei Kinder werden getötet.  Angelbeck erfährt in Fojnica davon und ist fassungslos und wütend. Schließlich landet der Kindertransport dann doch auf dem Flughafen in Split und die Waisenkinder können mit einer russischen Transportmaschine ausgeflogen werden.

Hilfe für die Kinder in Deutschland

Bei der Landung in Zerbst auf dem russischen Militärflughafen wird den Kleinen sofort jede erdenkliche Hilfe zuteil und sie werden in Krankenhäuser und umliegende Waisenhäuser verteilt. Die Hilfsbereitschaft der Menschen ist beeindruckend. Spenden über Spenden gehen bei den Kinderheimen ein, in denen die bosnischen Waisen untergekommen sind.

Der Blick zurück

Bis heute hat Jürgen Angelbeck die schweren Stunden in Bosnien nicht verwunden. Zumal er und seine Mitstreiter hinterher politisch in Deutschland wegen ihrer vermeintlichen Eigenmächtigkeit angegriffen wurden.  1.600 Kinder sind während des Bosnienkrieges allein in Sarajevo ums Leben gekommen. Und so ist die Rückkehr nach 25 Jahren und der reflektierte Rückblick auf die Ereignisse von damals besonders wichtig für ihn.

Über dieses Thema berichtet der MDR auch in einer Reportage :MDR | 29.04.2017 | 18:00 Uhr

Die Kinder von Sarajevo

Eine Gruppe von Magdeburgern will die Kinder nach Deutschland holen. Der Landtagsabgeordnete Jürgen Angelbeck reist vorab nach Sarajevo, um Verhandlungen zu führen. Hier im Juli 1992 am Flughafen in Sarajevo bei der Vorbereitung der Rettungsaktion. Bildrechte: Jürgen Angelbeck
Es gelingt ihm, von der serbischen Armee einen Passierschein für die Heimkinder zu bekommen. Bildrechte: Jürgen Angelbeck
Das fast Unmögliche gelingt:  Die Kinder dürfen ausreisen. Im August 1992 werden sie mit Bussen von Sarajevo zum Flughafen nach Split gebracht. Bildrechte: OPEN house media
Unterwegs wird der Bus  von Heckenschützen attackiert. Zwei der Kinder werden getötet. Bildrechte: OPEN house media
Ankunft des russischen Transport-Flugzeuges mit den Kindern auf dem Militärflughafen in Zerbst. Die Kinder werden medizinisch versorgt und in sachsen-anhaltische Waisenhäuser gebracht. Bildrechte: OPEN house media
Die Aktion bekommt mediale Aufmerksamkeit. Bildrechte: OPEN house media
BILD am Sonntag–Schlagzeile am 9. August 1992: "Gerettet!" Die Kleinkinder und Säuglinge kommen traumatisiert und unterernährt, teilweise ohne Namen in Sachsen-Anhalt an. Bildrechte: Bildzeitung
Endlich Frieden! In den Kinderheimen in Sachsen-Anhalt werden die Kleinen fünf Jahre lang liebevoll umsorgt. Sie lernen deutsch und bosnisch, verbringen dort eine glückliche Kindheit. Viele Menschen spenden Kleidung und Spielzeug. Bildrechte: OPEN house media
Der Landtagsabgeordneter Karsten Knolle war an der Rettungsaktion beteiligt. Hier beim Essen zuhause in Sachsen-Anhalt mit einigen der geretteten Waisenkindern aus Sarajevo. Bildrechte: OPEN house media
20 Jahre später. Die Erzieherinnen Constanze Wolf und Elke Lindau in Sarajevo. Sie wollen ihre Schützlinge von damals wiedersehen. 1997 waren alle Kinder nach Bosnien zurückgekehrt. Bildrechte: OPEN house media
Sarajevo ist heute eine moderne und friedliche, aber geteilte Stadt. Auf der einen Seite der größere, überwiegend bosniakische Teil. Hier befindet sich der historische Kern Sarajevos mit kleinen Restaurants, Moscheen, orthodoxen und katholischen Kirchen. Auf der anderen Seite der dünner besiedelte, in der serbischen Landeshälfte gelegene Teil der Stadt. Bildrechte: OPEN house media
Mehr als 20 Jahre nach Kriegsende sind die Spuren der Kämpfe noch allgegenwärtig. Bildrechte: OPEN house media
Glückliches Wiedersehen nach 20 Jahren: Die Erzieherinnen aus dem Marienheim Schönebeck, Elke Lindau und Constanze Wolf, und der Organisator des Kindertransportes,  Jürgen Angelbeck, mit den inzwischen erwachsenen Kindern in Sarajevo. Viele haben inzwischen eigene Kinder. Bildrechte: OPEN house media