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Heute im Osten

Der Polit-Analyst Bulcsu Hunyadi. Bildrechte: Bulcsú Hunyadi

Ungarn"Regierung nutzt diese Emotionen aus"

26. Februar 2017, 06:00 Uhr

Der ungarische Analyst Bulcsú Hunyadi über den knapp ein Jahrhundert alten Trianon-Vertrag und warum das Abkommen heute noch in Ungarn ein Thema ist.

Warum beschäftigt ein Vertrag, der vor fast 100 Jahren geschlossen wurde, die Menschen heute immer noch so?

Der Vertrag von Trianon bedeutete damals für Ungarn, dass zwei Drittel des Staatsgebiets verlorengegangen sind. Das war ein großer Schock für das Land und für die Nation. Und dieses Trauma wurde eigentlich seitdem nicht richtig aufgearbeitet. Das heißt, dieses Trauma spielt immer noch mit in vielen politischen Diskussionen. Und ich glaube, diese Nichtaufarbeitung ist eigentlich der Grund, warum viele Wähler heute sehr emotional auf dieses Thema reagieren und ein idealisiertes Bild von Ungarn haben, das vor diesem Vertrag existiert hat.

Wie sieht dieses idealisierte Bild aus?

Ungarn war viel größer als heute, es war eine Blütezeit für Ungarn, dieses Ungarn ist verknüpft mit Konjunktur, mit Erfolg, mit schönen Ideen, mit ganz vielen positiven Sachen. Und ich glaube, wenn man an diesen Vertrag denkt, denkt man daran, dass diese Zeit zu Ende gegangen ist.  Diese Emotionalität kann die Regierung natürlich ausnutzen.

Wie macht Viktor Orban das denn?

Für die Regierung ist der Trianon-Vertrag ein symbolisches Thema. Ihrer Auffassung nach hat dieser Vertrag die Nation getrennt, weil so viele Ungarn in Folge außerhalb Ungarns leben. Ziel der Regierung ist es, die Nation wieder zu vereinen – ohne natürlich die Gebiete anzutasten. Seit 2010 gab es sehr viele symbolische Gesten. Zum Beispiel wurde die doppelte Staatsbürgerschaft eingeführt für Ungarn, die außerhalb Ungarns leben. Schulausflüge in Gebiete, in denen auch heute noch ethnische Ungarn leben, werden vom Staat unterstützt. Autoren aus der Zwischenkriegszeit wurden ins Curriculum aufgenommen, die positiv über diese Zeit geschrieben haben. Wir haben jetzt einen Tag der nationalen Einheit. Das ist ein Gedenktag an den Trianon-Vertrag. Das sind alles symbolische Versuche der Regierung, um die Nation wieder zu vereinen.

Aber die Regierung hat keine Pläne, die Gebiete zurückzuerobern, oder?

Nein, natürlich nicht. Sie wissen, dass das nicht geht. Doch vor nicht allzu langer Zeit haben sehr viele Politiker der rechtsnationalen Jobbik-Partei Anspielungen gemacht, dass diese Gebiete zu Ungarn zurückkehren sollten. Inzwischen sagt die Partei das nicht mehr, sie geben sich gemäßigter. Aber es gibt rechtsextremistische Organisationen, die solche Ideen öffentlich vertreten. Und viele dieser Organisationen haben enge Kontakte zu Jobbik – sowohl persönliche, als auch finanzielle.

Wie reagieren die Nachbarstaaten auf die Anstrengungen Orbans, die ungarische Nation wieder zu vereinen?

Die Reaktionen etwa auf die Pässe, die Orban ausgegeben hat, waren unterschiedlich. In Rumänien existiert bereits die Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft, denn das Nachbarland vergibt selbst seine Staatsbürgerschaft an Einwohner der Republik von Moldau ausgibt. In der Slowakei aber existiert sie nicht, deswegen war die slowakische Regierung auch sehr stark dagegen. Sie lehnt das ab und erkennt die doppelte Staatsbürgerschaft nicht an.

Was müsste denn passieren, damit die Ungarn ihr Trauma vielleicht irgendwann überwinden?

Es wird sehr wenig darüber gesprochen, wie Ungarn vor diesem Vertrag ausgesehen hat. Also, welche Rolle etwa die Minderheiten gespielt haben, wie viele ethnische Ungarn überhaupt in Großungarn gelebt haben. Das waren nämlich nur 48 Prozent. Die ethnischen Ungarn waren in ihrem eigenen Land also in der Minderheit. Und es gibt sehr viele Verschwörungstheorien darüber, wie und warum dieser Vertrag zustande gekommen ist.  Darüber müsste mehr gesprochen werden.

Zur PersonBulcsú Hunydai ist politischer Analyst beim ungarischen Think Tank "Political Capital" in Budapest.