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Bestseller-Autor aus Jena: Emanuel Maeß hat mit "Alles in allem" seinen zweiten Roman vorgelegt. Bildrechte: privat

"Alles in allem"Ungewöhnlicher Liebesroman: Emanuel Maeß schreibt über eine verbotene Affäre in Wittenberg

21. Mai 2023, 04:00 Uhr

Der Jeaner Schriftsteller Emanuel Maeß feierte mit seinem Debüt, das 2019 unter dem Titel "Gelenke des Lichts" auf den Markt kam, große Erfolge. Kritiker lobten das Werk euphorisch. Deshalb landete es sofort auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. Mit seinem neuen Werk "Alles in allem" knüpft Maeß an diesen Bestseller an und schreibt sinnlich und sprachlich brillant über einen Theologen, der auf einem Wittenberger Symposion eine für ihn alles verändernde Affäre mit einer Künstlerin beginnt.

von Ulf Heise, MDR KULTUR

Eine Eruption herrlich plastischer Sprachbilder eröffnet den Roman von Emanuel Maeß. Anfangs glaubt man, dass es sich um wunderbar präzise Landschaftsschilderungen in der Tradition von Wulf Kirsten, Johannes Bobrowski oder Günter Eich handelt. Doch dann enthüllt sich dem Leser ein Überraschungseffekt, denn der Autor porträtiert in Wahrheit den weiblichen Körper:

Auszug aus "Alles in allem""Als habe sie der Wind aufgeworfen, hoben sich immer wieder erhabene Bögen aus dem Grund, während Licht und Schatten eine Harmonie entfalteten, die keine Geraden kannte und sich stattdessen für die Verbindlichkeit und Anmut von Rundformen entschieden hatte. Abgeschliffene Kuppeln, leichthin überwehte Gräben, dann auch vereinzelt schroffere Höhenzüge, doch selbst die Vorsprünge der Schulterblattflügel flossen in gleitenden Linien dahin, eher ein Schwellen von Flugsand als ein Hinweis auf verborgene Härten und Kanten."

Emanuel Maeß über die Kraft von Liebe und Erotik

Seit D. H. Lawrence nahm niemand auf ähnlich schwungvolle Art die Schönheit des Frauenleibs ins Visier. Es geht Emanuel Maeß jedoch keineswegs um eine erotische Perspektive. Er schwärmt lediglich für anatomische Details wie die Struktur von Ohrläppchen, Augenbrauen, Fußknöcheln und Handgelenken. Allein wegen dieser feinnervigen Beobachtungen könnte man sich locker in seine Prosa verlieben. Noch mehr vernarrt man sich freilich in den Hauptakteur der Geschichte, der im 28. Semester Theologie studiert. Im Verlauf des Geschehens entpuppt er sich als sensibler Intellektueller, der häufig mit sich hadert und gerade wegen seiner ständigen Unentschlossenheit enorm sympathisch wirkt:

Auszug aus "Alles in allem""In einem Alter, in dem Männer noch meiner Vatergeneration auf der Höhe ihres Lebens standen, schrieb ich seit Jahren an einer Dissertation über Idol und Ikone. Zur Frage orthodoxer Bildtheorie und Offenbarung in Lehre und Praxis und kam ich zu keinem Ende. Immerhin hatte ich mich, möglicherweise beeinflusst von all den mystischen, neuplatonischen und spätbyzantinischen Schriften, in einen Zeitbegriff vorgearbeitet, der das zeitlose, ewige Jetzt umstandslos auf mein Leben übertrug. Darin belebte ich ein zum Sankt-Nimmerleins-Tag ausgedehntes Provisorium, in dem alles stillstand, Beruf, Beziehung, Lebensentwurf."

Der Schriftsteller Emanuel Maeß versetzt seinen neuen Roman nach Lutherstadt Wittenberg. Bildrechte: Rowohlt Verlag

Wittenberg Schauplatz von neuem Liebesroman

Die Intensität, mit der sich Emanuel Maeß am Thema Transzendenz abarbeitet, erinnert an Christian Lehnert, der das liturgiewissenschaftliche Institut der Universität Leipzig leitet. Wie dieser Lyriker reibt er sich an der Institution Kirche. Seinem Helden glückt der Befreiungsschlag, als er der Künstlerin Katharina begegnet, die ihn gleich einer biblischen Botin aus seinem Dilemma rettet.

Schriftsteller aus Jena als Hoffnungsträger deutscher Literatur

Emanuel Maeß erzählt hier mitreißend eine einfühlsame, unsentimentale Liebesgeschichte, die maßgeblich durch stilistische Brillanz bestrickt. Der Autor verfügt über einen üppigen Vorrat an Verben, Adjektiven und Substantiven. Mit diesem breit gefächerten Vokabular jongliert er geschickt wie ein Akrobat und löst sämtliche Erwartungen ein, die er mit seinem Debüt entfesselte. Dank seiner Gestaltungskraft gehört er zu den großen Hoffnungsträgern der deutschen Prosa.

Redaktionelle Bearbeitung: JB

Angaben zum BuchEmanuel Maeß: Alles in allem
Erschienen im Rowohlt Verlag
400 Seiten, 24 Euro
ISBN: 978-3-7371-0155-4

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 17. Mai 2023 | 18:20 Uhr