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Interview zum Booker PrizeJenny Erpenbeck: "Ich bin dafür, dass dieses Schwarz-Weiß-Denken über die DDR aufhört.“

23. Mai 2024, 16:12 Uhr

Als erste deutsche Autorin ist Jenny Erpenbeck mit dem renommierten International Booker Prize ausgezeichnet worden. Ihr Roman "Kairos", dessen englische Übersetzung geehrt wurde, nimmt wie viele ihrer Werke Bezug auf die DDR- und Wendezeit. Gerade im angloamerikanischen Raum ist das Interesse an diesen Themen groß – warum erklärt die Schriftstellerin im Interview mit MDR KULTUR. Außerdem spricht sie sich dafür aus, die DDR differenzierter wahrzunehmen.

MDR KULTUR: Jenny Erpenbeck, die Autorin, die in Deutschland kaum jemand kennt – so titelte das Magazin Stern zum Booker-Preis. Wenn es denn stimmen würde, dann hat sich das jetzt fundamental geändert. Aber was geht in Ihnen vor, wenn Sie so eine Überschrift lesen?

Jenny Erpenbeck: Ehrlich gesagt würde ich jetzt nicht sagen, dass mich vorher niemand gekannt hat. Ich habe ja eine ziemlich lange Preisliste und auch wirklich viele Leser. Seit 20 Jahren reise ich durchs ganze Land und die Lesungen sind voll. Aber ich denke, so eine Zeile kommt auch dadurch zustande, dass ich mit dem Buch, mit dem ich jetzt ausgezeichnet wurde, weder beim Deutschen Buchpreis noch beim Preis der Leipziger Buchmesse auf die Longlist gekommen bin. Also ich würde sagen, es ist nicht ganz so schlimm, macht aber eine gute Titelzeile.

Hat es vielleicht etwas damit zu tun, dass in der Jury keine Personen aus dem Osten waren, sondern nur aus dem Westen? Haben wir ein Ost-West-Problem auf dem deutschen Literaturmarkt?

Es kann sein. Aber ehrlich gesagt müssen Sie das mal die Juroren fragen. Ich bin ja bei den Sitzungen nicht dabei. Ich habe keine Ahnung, wie die Entscheidung gefallen ist, und ich finde es, wie soll ich sagen, für mich ein bisschen schwierig. Es mag schon daran liegen, dass es andere Interessen gibt oder eben nicht so viel Interesse für noch eine Wendegeschichte. Zumal ja auch das 30-jährige Jubiläum gerade dann vorbei war. Aber ich weiß es nicht und ich kann es auch wirklich nicht einschätzen.

Sie sind in 1967 in Ost-Berlin geboren. In ihren Romanen gibt es immer wieder, wie jetzt auch in "Kairos", den Bezug zur DDR, zur Wende und zur Nachwendezeit. Was denken Sie: Wie nähern sich Ihre englischsprachigen Leser solch einem Thema in Ihrer Literatur? Wie exotisch ist das vielleicht auch?

Es ist gar nicht so exotisch, wie man denkt. Also, die englischsprachigen Leser nähern sich auf jeden Fall unvoreingenommener, weil sie natürlich aus dieser Ost-West-Diskussion draußen sind. Ich habe auch das Gefühl, dass es jetzt, wo sich in Amerika die Wahlen nähern und die eher links eingestellten Leute wirklich Angst davor haben, dass Trump wiedergewählt wird, ein grundlegendes Interesse daran gibt, die Fehler der Linken zu verstehen. Es ist auch die Angst vor so einem gravierenden Umbruch da und auch die Frage danach, wie man mit solchen historischen Vorgängen, die einen so überrumpeln, umgehen kann.

Jenny Erpenbeck freut sich über die Auszeichnung mit dem International Booker Prize für ihren Roman "Kairos". Bildrechte: picture alliance/dpa/AP | Alberto Pezzali

In englischsprachigen Ländern werden Sie mit großer Freude rezipiert. Dort haben Sie viele Leserinnen und Leser. Denkt man beim Schreiben daran, dass man eigentlich auch so eine Art Botschafter ist?

Auf gar keinen Fall in erster Linie. Ich schreibe ein Buch nur, wenn mich das Thema wirklich auch selber interessiert und wenn es da für mich auch noch Sachen zu entdecken gibt. Ich denke gar nicht so viel an die Leserschaft. Aber natürlich weiß ich, dass ich im englischsprachigen Raum gelesen werde.

Nachdem ich viele Jahre lang immer gehört habe, dass alle den Film "Das Leben der Anderen" gesehen haben und dass das Einzige, was sie wissen, ist, dass es in der DDR die Stasi gab und dass es in der DDR die Mauer gab, ist mir schon auch der Gedanke gekommen, dass die Wahrnehmung ein bisschen komplexer sein könnte. Damit meine ich nicht, dass man die negativen Dinge ausblendet, die in der DDR auf jeden Fall da waren, sondern dass man einfach auch Nuancierungen hat, also dass man eine größere Wahrnehmung hat.

Das heißt, Sie denken nicht als Erstes daran, dass Sie eine Art Botschafterin sind, aber eine Botschaft haben Sie schon?

Ich bin einfach dafür, dass man genauer hinschaut und dass dieses Schwarz-Weiß-Denken aufhört. Das ist ja doch so eine Sache, die gerade im Bezug auf die DDR auch häufig gemacht wird: dass die Erinnerungen mancher Menschen, mit denen ich auch befreundet bin, und auch meine eigenen im Prinzip gar nicht vorkommen im Rückblick.

Zum Beispiel die Freiheit davon, Geld verdienen zu müssen, um die Miete zu bezahlen. Oder die Zeit, die wir hatten, um uns mit Kunst und Kultur zu beschäftigen. Diese größere Ruhe, die es gab, kam natürlich auch durch die mangelnde Reisefreiheit. Das ist die Kehrseite davon. Aber man muss eben alles anschauen. Man kann nicht einfach nur sagen, es ist eine Gesellschaft gewesen, die permanent von Terror gekennzeichnet war. So habe ich es nicht wahrgenommen. Und so haben es auch viele meiner Freunde nicht wahrgenommen. Ich finde, an dem Bild kann man ein bisschen was schärfer stellen.

Quelle: MDR KULTUR (Interview von Annett Mautner), Redaktionelle Bearbeitung: lig, tmk

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 23. Mai 2024 | 13:10 Uhr