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Besonders im Süden und Osten Deutschlands sind Misteln auf dem Vormarsch und befallen viele Bäume. Bildrechte: picture alliance / ZB | Matthias Tödt

NaturschutzWie gefährlich sind Misteln und was kann man gegen den Parasiten tun?

17. März 2024, 10:00 Uhr

Misteln sind Parasiten und befallen deutschlandweit immer mehr Bäume. Im Winter zeigt sich das ganze Ausmaß, da sieht man die immergrünen Kugelbüsche in den kahlen Baumkronen besonders gut. Ein starker Befall kann Bäume töten. Besonders gefährdet sind Streuobstwiesen, die nicht mehr gepflegt werden. Der Nabu sieht die Entwicklung mit Sorge.

Bislang klagen vor allem Obstbauern über die Ausbreitung der Weißen Mistel (lat. Viscum album). Der Naturschutzbund Nabu schlug schon vor Jahren Alarm, dass Streuobstwiesen als besonders artenreicher Lebensraum mit teils seltenen, alten Apfelsorten gefährdet seien. Dort haben die Bauern früher die Misteln aus den Obstbäumen rausgeschnitten, heute lohnt das nicht mehr, und der Parasit verbreitet sich ungestört.

Wie der Nabu MDR AKTUELL mitteilte, sind besonders in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Bayern, Baden-Württemberg, Saarland und Rheinland-Pfalz die Bestände gefährdet. In einzelnen Regionen seien Streuobstwiesen flächendeckend befallen, "lokal bereits bestandsgefährdend". Doch die Mistel befällt auch andere Baumarten und breitet sich vor allem südlich einer gedachten Linie von der Ostseeküste bis ins nördliche Ruhrgebiet aus. Mehr dazu erfahren Sie bei Naturgucker.de.

Welche Baumarten sind besonders betroffen?

Die Mistel zählt zu den Halbschmarotzern, weil sie ihrem Wirt zwar Nährstoffe entzieht, aber auch selbst per Fotosynthese Energie gewinnt. Unterschieden wird zwischen spezialisierten Tannen- und Kiefernmisteln sowie Laubholzmisteln, die neben Obstbäumen auch Linden, Pappeln, Weiden und Ahorn attackieren. Die  Laubholzmistel hat sich in den letzten Jahren deutschlandweit stark ausgebreitet, ganze Baumgruppen und Waldstücke sind befallen – gerade auch in Ostdeutschland.

Die Mistel als Glücksbringer und Heilpflanze

Misteln gelten als Symbol des Friedens, der Liebe und als immergrüne Pflanze auch des ewigen Lebens. Zur Weihnachtszeit wird gern unterm Mistelzweig geküsst.

Der Mistel werden auch Heilkräfte zugesprochen. Die Universalgelehrte Hildegard von Bingen empfahl die Pflanze bei Lebererkrankungen. Mistelpräparate werden zur Senkung des Blutdrucks, gegen Arteriosklerose oder in der Krebstherapie eingesetzt. Asterix-Fans kennen die Mistel als Zutat für den Zaubertrank. Mehr zum Glücksbringer, der Heilpflanze und dem Baumschädling Mistel.

Die Beeren der Weißen Mistel ähneln Perlen. Bildrechte: IMAGO/imageBROKER/BA-Geduldig /

MistelnMisteln gehören zu den Sandelholzgewächsen. Es gibt verschiedene Unterarten, die sich auf unterschiedliche Wirte spezialisiert haben. Die Laubholzmistel mit ihren weißgelblich, perlenartigen Früchten wächst zu einem Kugelbusch mit etwa einem Meter Durchmesser. Die Beeren sind stark giftig, andere Pflanzenteile schwach giftig. Misteln werden bis zu 70 Jahre alt.

Darum breitet sich die Mistel so stark aus

Neben ungepflegten Streuobstwiesen gilt der Klimawandel als Hauptursache für die Ausbreitung der Mistel in nördlichen Breiten. Die immergrüne Mistel ist frostempfindlich und braucht im Frühling Wärme. Dann keimt der Samen und muss dabei das Immunsystem des Baumes überwinden, um anzuwachsen. Erderwärmung und durch Trockenheit und Schädlingsbefall geschwächte Wirte bieten dem Parasiten gute Bedingungen.

Die Mistel entzieht mit ihren Saugwurzeln dem Wirtsbaum Wasser und Nährstoffe. Sie wächst recht langsam, erst im zweiten Jahr bildet sich ein verzweigter Spross mit ledrigen Blättern. Über mehrere Jahre entsteht die typische Kugelbuschform. Misteln bevorzugen stickstoffreiche Böden und Pflanzen.

Vögel verbreiten die Samen

Misteln verbreiten sich auf zwei Wegen: Nach etwa fünfjähriger Wachstumsphase kommt der Parasit zur Blüte. Die klebrigen Samen tropfen dann ab und die Mistel kann sich im gleichen Baum explosionsartig vermehren. Hauptüberträger sind jedoch Vögel.

Seidenschwänze in einem Mistel-Strauch. Bildrechte: IMAGO / blickwinkel

Viele Vögel naschen gern an den extrem klebrigen Beeren der Mistel. Dabei bleiben Teile der Frucht an ihren Schnäbeln haften. Wetzen die Vögel den Schnabel später am Zweig eines anderen Baums, können die klebrigen Samen kilometerweit verbreitet werden – oder auch über unverdaute Reste im Kot.

Nach Nabu-Angaben haben Untersuchungen gezeigt, dass neben der Misteldrossel mindestens 26 weitere Vogelarten die Mistelbeeren fressen und Samen weitertragen, beispielsweise Sing- und Wacholderdrosseln, die Mönchsgrasmücke und der Seidenschwanz.

Wie stark schädigen Misteln den Baumbestand?

Deutsche Forstexperten und Biologen sehen bislang keine großen negativen Folgen durch die Expansion des Parasiten. Der Nabu bestätigte MDR AKTUELL, dass die Mistel ihren Wirtsbäumen "in der Regel keinen dauerhaften Schaden zufügt". Allerdings könne starker Befall den Baumwuchs einschränken "oder dafür sorgen, dass er gänzlich abstirbt". Horst Sproßmann vom Thüringenforst sagt, die Mistel sei Teil des Ökosystems und trete auch nur lokal massiv auf.

Doch es gibt Berichte über Schäden durch Mistelbefall. Forstwirte beklagen geringere Erträge beim Holz und eine schlechtere Qualität; Obstbauern melden weniger Blüten und Früchte. Zudem sind befallene Gehölze meist auch anfälliger für andere Schädlinge oder Pilze.

Neben anderen Umweltbelastungen stressen Misteln ihre Opfer zusätzlich. Biochemische Untersuchungen der Universität im spanischen Granada wiesen in den Nadeln stark befallener Schwarzkiefern größere Mengen von Verteidigungsstoffen wie Phenolen und Tanninen nach, dafür aber weniger lebenswichtige Stickstoffvorräte. Befallene Bäume zeigten Reaktionen wie bei Dürre oder einem Feuer. Forscher im rumänischen Oradea untersuchten Laubbäume und fanden in  den Blättern besonders stark befallener Pappeln dreimal so hohe Phenolkonzentrationen wie bei unversehrten Bäumen. Zudem hatten sie rund ein Drittel weniger Chlorophyll, das für die Fotosynthese wichtig ist.

In Nordamerika beobachteten Biologen auch schon, wie Misteln bislang untypische Opfer attackierten, etwa Birken, Robinien und Rosengewächse. Zwergmisteln breiten sich dort massiv in den Nadelwäldern aus. In Australien sind Eukalyptus- und Akazienplantagen betroffen.

Wie kann man die Mistel bekämpfen?

Eine Quelle der Mistel-Ausbreitung sind ungepflegte Streuobstwiesen. Naturschützer raten, befallene Obstbäume in der blattlosen Zeit von November bis März und an frostfreien Tagen zu beschneiden. Dabei sollten befallene Äste 30 bis 50 Zentimeter ins gesunde Holz zurück abgesägt werden. So könne die Ausbreitung gestoppt werden. Bei regelmäßiger Baumpflege reiche es, die Mistel abzubrechen. So werde verhindert, dass sie Beeren produziert und sich vermehrt.

Experten von den Obst-Forschungseinrichtungen in Bund und Ländern fordern, die Ausbreitung der Mistel in Mitteleuropa systematischer zu untersuchen, biologische Bekämpfungsmethoden zu erproben und Kommunen sowie Verbände über den jeweils aktuellen Forschungsstand zu informieren.

Der Nabu tritt auch dem sich hartnäckig haltenden Gerücht entgegen, Misteln stünden unter Naturschutz. Zwar gelte der allgemeine Artenschutz, aber kein besonderer Schutz.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 17. März 2024 | 07:00 Uhr

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