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Menschen demonstrieren gegen die Energiepreise und die Politik, wie hier am Tag der Einheit in Magdeburg. Bildrechte: IMAGO / Christian Schroedter

MDRfragtMehr als die Hälfte befürchtet Radikalisierung der Energiepreis-Demos

18. Oktober 2022, 05:00 Uhr

Seit Wochen gehen in vielen Städten in Mitteldeutschland Menschen auf die Straßen. Viele wünschen sich dadurch ein Umdenken in der Energiepolitik und politisches Handeln gegen die steigenden Preise und es geht darum, Sorgen, Ängsten und Wut Ausdruck zu verleihen. Dass sich die Proteste radikalisieren werden, befürchten mehr als die Hälfte der knapp 30.000 MDRfragt-Mitglieder, die sich an der aktuellen Befragung beteiligt haben. Dabei zeigen die nicht-repräsentativen, aber gewichteten und wissenschaftlich begleiteten Ergebnisse auch: Das Verständnis für die Proteste ist groß.

von MDRfragt-Redaktionsteam

59 Prozent der MDRfragt-Mitglieder, die sich an der Befragung beteiligt haben, gehen davon aus, dass sich die Proteste in den nächsten Wochen radikalisieren werden. 36 Prozent glauben das nicht.

Einige MDRfragt-Mitglieder haben uns dazu ihre Meinung ausführlicher geschrieben:

Es gibt keine gesellschaftlichen Kräfte, die in der Lage sind, die unzufriedenen, aber nicht radikalen Kräfte zu bündeln und Alternativen zu schaffen. Keine Parteien, keine Gewerkschaft, keine Organisation, also bleibt nur die Linke oder Rechte.

Gustav K., 64 Jahre, Landkreis Zwickau

Leider nutzen zunehmend radikale Menschen und Parteien die Proteste, um der Demokratie zu schaden.

Sandy M., 38 Jahre, Leipzig

Bin ich schon radikal, nur wenn ich an einer Demo teilnehme? Das ist eine obstruse Unterstellung!!!

Karin W., 79 Jahre, Sächsische Schweiz - Osterzgebirge

Ich bin verärgert darüber, dass die Politik jetzt schon versucht, den möglichen Protesten im kommenden Herbst/Winter den Stempel "radikal" bzw. "gewalttätig" aufzudrücken. Damit soll doch nur Angst geschürt werden, um möglichst viele Menschen von der Teilnahme abzuhalten.

Torsten L., 58 Jahre, Magdeburg

Die mögliche Radikalisierung der Proteste beschäftigt auch die Innenminister der ostdeutschen Länder: Sie wollen Anfang November über dieses Thema beraten. Etwas mehr als die Hälfte der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer (53 %) finden das notwendig. 40 Prozent finden dieses Ansinnen dagegen unnötig.

Mehr als drei Viertel haben Verständnis für Proteste

Das Verständnis für die Proteste indes ist groß: 80 Prozent können nachvollziehen, dass die Menschen aktuell in Anbetracht der Krisen auf die Straßen gehen. 19 Prozent können dafür jedoch kein Verständnis aufbringen.

In ihren Kommentare haben uns einige MDRfragt-Mitglieder geschrieben, warum ihrer Meinung nach die Proteste in Ostdeutschland aktuell besonders verbreitet sind:

Weil Ostdeutschland wieder verliert: Geringere Löhne, Renten, aber höhere Kosten bei Energie.

Ursula R., 60 Jahre, Gera

Zu viele Veränderungen seit der Wende, oft mit negativen Auswirkungen in Ostdeutschland. Politik wird oft zu wenig erklärt, oder es kommen nur bekannte, oft nichtssagende Politikerphrasen.

Jörg H., 66 Jahre, Landkreis Stendal

Warum gerade wieder in den ostdeutschen Ländern viele auf die Straße gehen und nicht auch mal die Menschen in den westdeutschen Ländern, ist mir ein Rätsel. Geht es denen noch zu gut im Westteil Deutschlands? Haben sie keine Ängste? Muss da der Ostteil wieder aufstehen und auf die Probleme aufmerksam machen?!

Bärbel K., 60 Jahre, Anhalt-Bitterfeld

Knapp die Hälfte kann sich vorstellen, in den nächsten Wochen gegen die Krisenpolitik auf die Straße zu gehen

Bislang haben nach eigenen Angaben 15 Prozent der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer dieser Befragung an einer Demo gegen die derzeitige Krisenpolitik der Bundesregierung teilgenommen. Allerdings kann sich knapp die Hälfte – 45 Prozent – vorstellen, das in den kommenden Wochen und Monaten noch zu tun. Für 50 Prozent kommt das dagegen nicht in Frage.

Vor allem Energiepolitik und Preissteigerungen treiben Menschen auf die Straßen

Diejenigen MDRfragt-Teilnehmer, die bereits auf einer der Demos waren oder die angegeben haben, sich das für die nächsten Wochen vorstellen zu können, haben wir gefragt, was für sie dabei die wichtigsten Themen sind:

  • Für fast alle ist das zentrale Thema der Proteste die Energiepolitik, gefolgt von den Preissteigerungen.
  • Knapp drei Viertel finden den Russland-Ukraine-Konflikt ein zentrales Thema, um zu demonstrieren.
  • Corona-Maßnahmen und Klimapolitik sind für weniger als die Hälfte thematische Beweggründe.

Wunsch nach Umdenken in der Politik bei fast allen Motivation für Demo-Teilnahme

Für die MDRfragt-Mitglieder, die bereits vor Kurzem demonstriert haben oder sich das in den nächsten Monaten vorstellen könnten, ist der Wunsch, dass die Politik ihr Handeln überdenkt, das zentrale Motiv, auf die Straße zu gehen. 90 Prozent geben das als Grund an, sich an den Demos zu beteiligen. Knapp drei Viertel möchten damit jedoch auch ihre Sorgen und Ängste zum Audruck bringen - und knapp die Hälfte ihre Wut.

Nur Minderheit hat Verständnis für Beleidigungen auf Protesten

Wir haben die Befragten mit einigen Aussagen bezüglich Demonstrationen konfrontiert:

  • Lediglich 15 Prozent haben Verständnis dafür, wenn auf Protesten Personen des öffentlichen Lebens beleidigt werden.
  • Allerdings wird ein rauer Tonfall auf Protesten von 41 Prozent akzeptiert.
  • Die Mehrheit (53 %) ist sich einig, dass man nicht gemeinsam mit Rechtsextremen demonstrieren sollte.
  • Grundsätzlich finden 43 Prozent, dass bei Demonstrationen das Thema wichtig ist, weniger jedoch, wer sich daran beteiligt. 40 Prozent finden außerdem, dass es keine Rolle spielt, wer die Demo angemeldet hat, wenn das Thema stimmt.

Auch zu diesen Themen haben uns einige Kommentare erreicht:

Demonstrationen, Meinungsäußerungen - alles o.k. - Sobald Gewalt, egal ob mit Sprache, Beleidigungen oder gar Taten ins Spiel kommt, ist Schluss mit lustig und geht gar nicht. 1989 war man froh, dass die alte Staatsmacht Gewalt vermieden hat. Man spricht noch immer von der friedlichen Revolution. Und heute: Gewalt ist an der Tagungsordnung. Von Demokratie verstehe ich etwas anderes!

Friedemann K., 68 Jahre, Mittelsachsen

Wenn das Auftreten der Demonstration nicht mehr mit den eigenen Ansichten übereinstimmt, sollte man sie verlassen, egal wer sie organisiert hat.

Gerald P., 68 Jahre, Ilm-Kreis

Es laufen bei den Demos gewiss auch Linke oder Rechte mit, das ist aber völlig egal, denn alle sind friedlich und sorgen sich um ihre Zukunft und die ihrer Kinder!

Corinna H., 43 Jahre, Salzlandkreis

Demo-Teilnehmer unzufriedener und wütender als Nicht-Teilnehmer

Zwischen den MDRfragt-Mitgliedern, die bereits selbst an einer der Demos der letzten Wochen teilgenommen haben und denen, die nicht dabei waren, zeigen sich deutliche Unterschiede:

  • Generell ist die deutliche Mehrheit der MDRfragt-Mitglieder, die an der Befragung teilgenommen haben, unzufrieden mit dem Krisenmanagement der Bundesregierung (85 %) - auch diejenigen, die in den letzten Wochen nicht bei den Protesten dabei waren (82 %). Bei den Demo-Teilnehmern zeigen sich allerdings fast alle (98 %) unzufrieden.
  • Bei den meisten Demo-Teilnehmern ist Wut das vorherrschende Gefühl angesichts der derzeitigen Krisen. Dagegen beschreiben bei den Nicht-Teilnehmern vor allem Sorge und Angst die aktuelle Gefühlslage.
  • Für die Demo-Teilnehmer ist es generell weniger wichtig als für Nicht-Teilnehmer, wer sich an der Demo beteiligt oder wer sie angemeldet hat – das Thema steht für sie im Vordergrund.
  • Das Verständnis dafür, dass bei Protesten Personen des öffentlichen Lebens beleidigt werden, ist bei den Demo-Teilnehmern größer. Auch die Meinung, dass bei Protesten ein rauer Tonfall herrschen darf, ist bei den Demo-Teilnehmern weiter verbreitet.
  • Deutlich mehr Nicht-Demo-Teilnehmer als Demo-Teilnehmer finden, dass man nicht mit Rechtsextremen gemeinsam demonstrieren sollte.

 Demo-TeilnehmerNicht-Teilnehmer
Unzufriedenheit mit Krisenmanagement98 %82 %
Vorrangiges Gefühl "Wut"56 %23 %
Vorrangiges Gefühl "Sorge / Angst"31 %48 %
Anmelder der Demo irrelevant67 %33 %
Andere Teilnehmer irrelevant74 %36 %
Verständnis für Beleidigungen27 %12 %
Rauer Tonfall legitim62 %36 %
Nicht gemeinsam mit Rechtsextremen22 %61 %

Weitere Zahlen zu diesem Vergleich finden Sie ausführlich in unserem PDF-Dokument mit allen Befragungsergebnissen, das Sie hier herunterladen können.


Über diese BefragungDie Befragung vom 14.-17.10.2022 stand unter der Überschrift:
Wut oder Gelassenheit – was erwartet uns diesen Herbst?

Insgesamt sind bei MDRfragt 62.778 Menschen aus Mitteldeutschland angemeldet (Stand 17.10.2022, 15:30 Uhr).

29.559 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben online an dieser Befragung teilgenommen. 4.105 haben sich in den vergangenen Wochen an einer Demonstration gegen die derzeitige Krisenpolitik der Bundesregierung beteiligt, 23.869 nicht.

Verteilung nach Altersgruppen:
16 bis 29 Jahre: 352 Teilnehmende
30 bis 49 Jahre: 4.490 Teilnehmende
50 bis 64 Jahre: 12.546 Teilnehmende
65+: 12.171 Teilnehmende

Verteilung nach Bundesländern:
Sachsen: 15.177 (51 Prozent)
Sachsen-Anhalt: 7.231 (25 Prozent)
Thüringen: 7.151 (24 Prozent)

Verteilung nach Geschlecht:
Weiblich: 13.184 (45 Prozent)
Männlich: 16.319 (55 Prozent)
Divers: 56 (0,2 Prozent)

Die Ergebnisse der Befragung sind nicht repräsentativ. Wir haben sie allerdings in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat nach den statistischen Merkmalen Bildung, Geschlecht und Alter gewichtet. Das heißt, dass wir die Daten der an der Befragung beteiligten MDRfragt-Mitglieder mit den Daten der mitteldeutschen Bevölkerung abgeglichen haben.

Aufgrund von Rundungen kann es vorkommen, dass die Prozentwerte bei einzelnen Fragen zusammengerechnet nicht exakt 100 ergeben.

Mehr zu den Demonstrationen

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 18. Oktober 2022 | 21:45 Uhr