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NebenkostenHeizen mit Fernwärme: Kosten steigen deutlich - drastisches Beispiel in Thüringen

06. März 2024, 18:04 Uhr

Die Energiepreisbremsen sind zum 1. Januar ausgelaufen. Darum steigen die Kosten für Fernwärme 2024 drastisch. Im thüringischen Lucka etwa muss aktuell mit mehr als dem Doppelten gerechnet werden. Und das ist kein Einzelfall. Grundlage der Preisberechnung der Versorger ist die Fernwärmeverordnung: Wie zuvor Preissteigerungen kommen nun auch -senkungen auf dem Gasmarkt bis zu einem Jahr später bei den Kunden an.

von Thomas Falkner und Carmen Brehme, MDR-Wirtschaftsredaktion

Von 9,5 auf 24 Cent pro Kilowattstunde

Die Wohnungsgenossenschaft Lucka verwaltet mehr als 800 Wohnungen an der Grenze von Thüringen und Sachsen. Viele der Haushalte werden 2024 einen drastischen Preisanstieg bei der Fernwärme hinnehmen müssen. Denn die 2023 eingeführte Preisbremse ist zum Jahresende wieder ausgelaufen. Bei der Fernwärme lag der Preisdeckel bei 9,5 Cent pro Kilowattstunde – für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs. Was darüber hinaus verbraucht wurde, musste zum Marktpreis bezahlt werden.

Der Energiekonzern Engie verlangt seit Januar 24 Cent pro Kilowattstunde. "66 Prozent der Wohnungen sind mit Fernwärme ausgestattet", erklärt Henry Schüttoff, Vorstandsvorsitzender der Wohnungsgenossenschaft Lucka. "Den höheren Wärmepreis müssen wir eins zu eins an unsere Mieter weitergeben", sagt er.

Den höheren Wärmepreis müssen wir eins zu eins an unsere Mieter weitergeben.

Henry Schüttoff, Vorstandsvorsitzender der Wohnungsgenossenschaft Lucka

Lieferantenwechsel bei Fernwärme nicht möglich

Während bei Strom und Gas der Anbieter gewechselt werden kann, ist dies bei Fernwärme schlichtweg nicht möglich. "Der Gas- und Strombereich wurde vor 20 Jahren europaweit liberalisiert", erklärt der Energieexperte Thomas Engelke vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. "Der Fernwärmebereich ist das letzte Monopol."

Die Fernwärme für Lucka wird zum Beispiel in einem Heizhaus von Engie mit Erdgas erzeugt. Über isolierte Rohre gelangt von dort heißes Wasser in die Häuser, das schließlich für Raumwärme und warmes Wasser sorgt. Eine eigene Heizungsanlage benötigen die Gebäude also nicht.

Gestiegene Preise kommen erst 2025 an

Höhere Brennstoffkosten in den Vorjahren seien der Grund für die Preiserhöhung, erklärt der Energieanbieter Engie auf MDR-Nachfrage. Und damit müssen die Mieter leben. "Wir können ja nicht einfach sagen, wir drehen jetzt die Fernwärme ab. Wir nehmen jemand anderes. Das funktioniert leider nicht", beschreibt Wohnungsgenossenschafts-Chef Schütthof das Dilemma. "Wir sind tatsächlich an die gebunden."

Die Wohnungsgenossenschaft hat Einspruch gegen die Preiserhöhung eingelegt, will mit dem Versorger verhandeln. Den Mietern wird inzwischen geraten, die Vorauszahlungen vorsorglich anzuheben, um eine böse Überraschung zu vermeiden. Denn die Preiserhöhung kommt bei den Mietern erst im kommenden Jahr an – mit der Nebenkostenabrechnung für 2024.

Lucka kein Einzelfall

Der Ort Lucka ist nur ein drastisches Beispiel für gestiegene Preise bei der Fernwärme. Versorger bewerben diese Art des Heizens oft als günstige Lösung. Als Argument wird ins Feld geführt, dass ohne eigenen Heizkessel Kosten für Wartung und Brennstoffe gespart werden könnten. Dass jetzt die Preise steigen, hat mehrere Gründe.  

Punkt eins: Die Preisbremse ist gefallen. "Aufgrund der eingetretenen Entspannung auf den Energiemärkten und der Auflösung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds zur Energiekrise zum 31.12.2023 hatte die Bundesregierung dies so entschieden", erklärt eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums auf MDR-Nachfrage. Punkt zwei: Die Mehrwertsteuer auf den Gasverbrauch soll nach aktuellen Plänen der Bundesregierung Ende März wieder steigen, von den seit 1. Oktober 2022 reduzierten sieben wieder auf die allgemeingültigen 19 Prozent. Punkt drei: Die allgemeine Inflationslage wirkt sich auch nicht kostensenkend aus.

Der Preis kann für einen Haushalt mit einem durchschnittlichen Energieverbrauch um bis zu über 400 Euro steigen.

Thomas Engelke | Bundesverband der Verbraucherzentralen

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hat bei 21 Fernwärmenetzen gecheckt, wie sich nun der Preis zu 2023 verändert hat. "In 18 Netzen wird es teurer. Der Preis kann für einen Haushalt mit einem durchschnittlichen Energieverbrauch um bis zu über 400 Euro steigen. Das ist eine Menge", sagt Energieexperte Engelke im MDR-Magazin "Umschau". Hier geht es nur um den Zeitraum Januar bis März.

Preisänderungen auf dem Markt kommen verzögert bei Kunden an

Bei der Kalkulation für 2024 werden noch die hohen Gaspreise aus der Vergangenheit zugrunde gelegt. So kommt die Gaspreis-Krise zeitverzögert bei den Fernwärmekunden an. "Nach der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme (AVBFernwärmeV) dürfen Wärmeversorgungsunternehmen ihre Preise nicht frei anpassen, sondern orientieren sich zumeist an Preisindizes, wie Erzeugerpreisen für Gas", schreibt das Bundeswirtschaftsministerium auf MDR-Nachfrage. Die Ermittlung der Indizes und deren Übernahme für Wärmepreisänderungen führe systembedingt zu einer Verzögerung der Weitergabe steigender oder sinkender Gaspreise für den Wärmesektor von bis zu einem Jahr.

So steigt der Preis für die Fernwärme nun merklich - beispielsweise auch in Chemnitz gegenüber dem Vorjahr um durchschnittlich 45 Prozent, wie eine Anfrage der "Umschau" beim zuständigen Versorger "Eins Energie" ergab. Als ein Grund wird hier auch der Umstieg von Kohle auf Gas als Brennstoff angeführt. Zu einem Interview war der Anbieter nicht bereit.

Fernwärme-Netz soll ausgebaut werden – auch das kostet

Bundesweit werden nach Angaben des Energiewirtschaftsverbands BDEW derzeit 14 Prozent aller Wohnungen mit Fernwärme beheizt. Wobei Fernwärme im Osten besonders verbreitet ist. Der Anteil beträgt 24 Prozent in Thüringen, 27 Prozent in Sachsen-Anhalt und 28 Prozent in Sachsen.

Und es sollen mehr werden. Nach Plänen der Bundesregierung sollen 100.000 Gebäude jährlich neu an Wärmenetze und die klimafreundlichere Fernwärme angeschlossen werden. Die Netze sollen per Gesetz bis 2030 durch 30 Prozent und bis 2040 durch 80 Prozent mit Wärme aus Erneuerbaren Energien oder unvermeidbarer Abwärme betrieben werden. Durch die Umstellung kommt das auch direkt in den Haushalten an, ohne dass diese etwas umstellen müssten. Der Ausbau wird allerdings viel Geld kosten. Das werden auch die Mieter zu spüren bekommen.

"Die Kosten müssen sich ja irgendwie refinanzieren", sagt Clemens Felsmann, Professor für Gebäudeenergietechnik und Wärmeversorgung an der Technischen Universität Dresden. "Momentan sind es die Endkunden, auf die die Investitionskosten umgelegt werden", erklärt er. Hier sei die Politik gefragt, ob Investitionskosten nicht durch Förderungen ausgeglichen werden könnten oder "Kosten, die da entstehen, anderweitig auf die Gesellschaft umgelegt" werden könnten. Blieben diese am Endkunden hängen, könne dies jedoch "zu extrem hohen Preisen führen".

Fernwärmeverordnung in der Diskussion

Angesichts der Preiserhöhungen steht die Fernwärmeverordnung in der Kritik. "Wir brauchen kürzere Vertragslaufzeiten", fordert Energieexperte Engelke vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. "Wenn Preise sinken bei den Brennstoffen, muss das auch beim Kunden ankommen. Das ist derzeit nicht so", sagt Tobias Goldschmidt (Bündnis 90/Grüne), Umweltminister in Schleswig-Holstein und Vorsitzender der Energieministerkonferenz der Länder. "Das ist etwas, woran wir arbeiten müssen durch Reformen in der Fernwärmeverordnung", erklärt der Politiker.

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MDR (cbr) Erstmals erschienen am 08.02.2024.

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Umschau | 06. Februar 2024 | 20:15 Uhr