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Fachkräftemangel in der SolarbrancheIndustrie gegen Handwerk – der Kampf um qualifiziertes Personal

07. Juni 2024, 10:28 Uhr

In der deutschen Solarbranche kämpfen Industrie und Handwerksbetriebe um die wenigen Fachkräfte, die es gibt. Oft gewinnt die finanzstärkere Industrie. Auch heimische Unternehmen sind davon betroffen, wie der Geschäftsführer einer Elektrofirma aus dem Erzgebirge berichtet. Kann das Anwerben von Arbeitern aus dem Ausland helfen?

Jörg Eißmann sitzt auf seiner Bank im Garten. Blauer Himmel – die Sonne scheint. Er blickt auf die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach hinter ihm. Seit über 22 Jahren verbaut der gelernte Elektromonteur mit seiner Firma aus dem sächsischen Kirchberg Solaranlagen. Auch jetzt ist die Auftragslage nicht schlecht, sein Problem liegt an einer anderen Stelle: Ihm fehlt qualifiziertes Personal. 

Konkurrenzdruck verstärkt sich durch Fachkräftemangel

Der Fachkräftemangel ist eines der drängendsten Probleme in der Branche. Auch Jörg Eißmann spürt den Mangel und der Konkurrenzdruck ist hoch. Gerade hat er zwei Auszubildende verloren, die er gerne als Mitarbeiter übernommen hätte. Beide entschieden sich gegen seinen Betrieb und gingen lieber in den öffentlichen Dienst und in die Industrie.

Jörg Eißmann führt im Erzgebirge ein Unternehmen, das Solaranlagen verbaut. Bildrechte: Jonas Armbruster

Dass sich der Konkurrenzdruck in der Branche erhöht, hat für ihn einen Grund: "Viele Firmen versuchen sich jetzt im Solarsektor, ziehen die Elektrofachkräfte ab. Dadurch, dass sie nur die Installation der Solarpanele machen, können sie den Leuten ein höheres Gehalt bieten." Kleinere Elektrobetriebe wie sein eigener würden auch andere Dienstleistungen, wie den Umbau der Zählerplätze und den Anschluss an die Haustechnik, übernehmen. Geschäftsbereiche, die laut Eißmann weniger lukrativ sind. "Es ist auf jeden Fall der Druck da, dass versucht wird, die Leute abzuziehen."

Außerdem muss Eißmann demnächst auf einen weiteren Mitarbeiter verzichten, der kurz vor der Rente steht. "Das ist einer meiner zuverlässigsten Mitarbeiter", sagt Eißmann. Doch man merkt ihm an, dass ihm der Weggang seiner Auszubildenden Sorgen bereitet. "Was mich immer wieder ein bisschen berührt, ist, dass es eigentlich ein wahnsinnig interessantes Geschäftsfeld ist, diese Techniken zusammenzubringen. Das müsste eigentlich für jeden begeisterten Jugendlichen, der sich mit Technik auseinandersetzt, sehr interessant sein."

Umschulungen gegen den Fachkräftemangel

In Zukunft will Eißmann auf Mitarbeiter setzen, die umgeschult haben. Denn Lehrlinge auszubilden, die dann von der Industrie abgezogen werden, sei problematisch und würde sich auf Dauer nicht lohnen, sagt er. Umschulungen sind ein mögliches Mittel, um dem Fachkräftemangel entgegenzutreten. Eine andere Strategie, die von der Politik verfolgt wird, ist die Fachkräfteeinwanderung aus dem nichteuropäischen Ausland. 

So gibt es etwa eine Kooperation des Bundesverbands Deutsche Solarwirtschaft (BSW Solar) mit Indien mit dem Ziel, dass 51.000 Inderinnen und Inder als sogenannte Suryamitras (Sonnenarbeiter) nach Deutschland kommen. Auf Nachfrage dämpft der Bundesverband Solarwirtschaft aber die Erwartungen und spricht von einer Pilotphase. Deshalb sei die Vermittlungsquote bislang "erwartungsgemäß gering".

"Wichtig wäre es nun, auf den etablierten Strukturen mit einer zweiten Phase mit Indien aufzubauen, Erlerntes anzuwenden und ein wachsendes Kontingent an qualifizierten indischen Elektrofachkräften in Deutschland zu vermitteln", sagt BSW-Geschäftsführer Carsten Körnig. Die Anwerbung übernimmt das "Hand in Hand for International Talent"-Projekt, das vom Bundesministerium für Wirtschaft finanziert und von der Bundesagentur für Arbeit und den Industrie- und Handelskammern umgesetzt wird. Das Projekt ist bei Weitem nicht das einzige seiner Art. Ziel ist es, Menschen aus Brasilien, Indien und Vietnam für die Solar- und Elektrobranche anzuwerben. Bereits 2020 war das Projekt gestartet, um das neue Fachkräfteanwerbungsgesetz zu erproben, so erklärt Anine Linder, Projektkoordinatorin bei der IHK in Berlin. "Wir begleiten wirklich den kompletten Prozess vom Anwerben der Fachkraft bis hin zur Integration im Betrieb." 

Internationale Fachkräfte für die Elektrobranche

Seit 2020 konnten über das Projekt etwa 30 Personen für die Elektrobranche angeworben werden. "Aufgrund der Corona-Pandemie konnten wir mit den Einreisen erst zwei Jahre nach Projektstart beginnen", so Linder. Auch sie wünscht sich, eine größere Zahl von Menschen schneller nach Deutschland zu bringen. Eine Beschleunigung der Anerkennung von Qualifikationen und Sprachkenntnise wäre schon ein Anfang. Denn oft klaffen die Vorstellungen der deutschen Unternehmen über das Tempo der Fachkräfteanwerbung und die Realität weit auseinander. 

In Zukunft will die Solarbranche auch qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland anwerben. Bildrechte: IMAGO/Wolfgang Maria Weber

Victor Gáal ist einer dieser dreißig Personen, die über das Projekt in Deutschland angeworben werden konnten. Seitdem er 2013 für einige Monate in Deutschland war, hatte der brasilianische Elektrotechniker und studierte Maschinenbauer die Idee, nach Deutschland auszuwandern. Als er 2021 von dem Programm erfährt, ist er erst skeptisch wegen der vielen Angebote. Denn durch das Programm bekommt er einen Sprachkurs bezahlt und wird mit potenziellen Arbeitgebern in der neuen Heimat verbunden – kostenlos. Auch bei Problemen mit dem Visum wird ihm unbürokratisch geholfen. Knapp ein Jahr nachdem er sich bei dem Programm einschreibt, kann er in Deutschland einreisen. Das war im April 2022. Auch nach seiner Ankunft wird Gáal bei Behördengängen und der Wohnungssuche durch die Projektmitarbeiter unterstützt.

Projektkoordinatorin Linder bestätigt: "Die Fachkräfte haben darauf sehr großen Wert gelegt und das als sehr hilfreich empfunden." Sie gibt aber auch zu bedenken: "Es braucht dieses Unterstützungsnetzwerk, definitiv. Und es braucht auch ein Engagement der Betriebe, damit die Leute gut ankommen und sich hier wohlfühlen. Also ich glaube, alleine auf sich gestellt wäre es für die meisten wirklich schwierig."

Gáal fühlt sich wohl in seiner neuen Heimat Sömmerda, das merkt man im Gespräch mit ihm. Bald soll seine Frau nach Deutschland nachkommen, sie hat gerade noch ihre Doktorarbeit in der brasilianischen Heimat verteidigt. "Ich bin sehr zufrieden damit. Es wäre sehr schwer etwas schlechtes daran zu finden", sagt er. Das "Hand in Hand for International Talent"-Programm empfiehlt er ohne Einschränkungen weiter. 

Großer Druck durch ausländische Hersteller

Neben dem Mangel an Elektronikern nimmt auch der Druck auf die Produktion der Photovoltaik-Anlagen in Deutschland zu. 2023 wurden knapp 300.000 Anlagen nach Deutschland importiert – mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Die Branche boomt, das zeigen die Zahlen. Aber: Der Boom ist vor allem bei den Importen sichtbar, die Zahl der Exporte stieg im gleichen Zeitraum weit weniger. Ausländische Hersteller profitieren von dieser Entwicklung, allein 2022 kamen 87 Prozent aller importierten PV-Anlagen aus China. Die niedrigen Produktionskosten in der Volksrepublik lassen die Preise für Solarmodule in Deutschland sinken, seit 2022 um mehr als die Hälfte. Europäische Solarmodulhersteller können bei den günstigen Preisen nicht mithalten und wandern – wie Ende März der Schweizer Hersteller Meyer Burger – in lukrativere Märkte ab. 

Aus Sicht des BSW Solar wird sich an dieser Entwicklung vorerst nichts ändern. Ohne Unterstützung bestehe keine Chance, eine wettbewerbsfähige Produktion von Solarmodulen in Deutschland aufzubauen. In der Ablehnung des Resilienzbonus Ende März sieht der BSW Solar ein bitteres Signal. Bei diesem wären Käufer von Modulen aus europäischer Produktion mit einer höheren Einspeisevergütung belohnt worden. Die vielleicht letzte Chance für eine Renaissance der Solarindustrie in Deutschland und für mehr Sicherheit bei der Versorgung mit Schlüsselkomponenten sei verspielt worden.

Jörg Eißmann kommt zu einem ähnlichen Schluss: "Meiner Meinung nach wäre der Resilienzbonus schon ganz hilfreich gewesen." Eißmann selbst verbaut nur Solarmodule deutscher und europäischer Hersteller. Es sei auch ein wenig eine ideelle Frage. Sein Betrieb könne nicht im Alleingang eine ganze Firma unterstützen, aber er wolle einen Beitrag dazu leisten. Er ist überzeugt: "Man sollte die Produzenten, die wir noch haben, am Leben erhalten, weil das auch ein Stück Unabhängigkeit für uns in Deutschland ist."

Dieser Beitrag entstand im Rahmen von "Crossborder Journalism Campus", einem Erasmus+-Projekt der Universität Leipzig, der Universität Göteborg und des Centre de Formation des Journalistes in Paris. Unter Mitarbeit von: Gabriela Angelo, Märta Bonde, Robin Bucher, Solène Cahon, Anatole Clement, Sehend Mayiwar, Vera Pokorny, Eléna Roney und Stephanie Jauss.

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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 29. April 2024 | 19:00 Uhr