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Steigende KostenWie ein alleinerziehender Vater aus Eisleben jeden Cent umdrehen muss

31. August 2022, 11:12 Uhr

Die Lebenshaltungskosten sind enorm gestiegen. Für Haushalte mit kleinem Einkommen ist das Leben aktuell besonders teuer. Alleinerziehende Väter wie Marcel Felgner aus Eisleben treffen die hohen Energiekosten und Lebensmittelpreise überproportional. Die Entlastungspakete der Bundesregierung bieten bislang nur kurzfristig Hilfe. Wie der junge Vater und sein Sohn versuchen, ihr Leben trotzdem zu managen.

Nur noch einen Transporter ausladen, dann ist für heute Feierabend. Marcel Felgner ist 36 Jahre alt und arbeitet ehrenamtlich bei der Tafel in Eisleben. Jeden Tag kommen Bedürftige hierher und holen sich dringend benötigte Lebensmittel ab – viele Lebensmittel: 180 Tonnen sind es etwa pro Monat, die an 1.400 Personen verteilt werden.

Auch Marcel Felgner gehört dazu. Seit vier Jahren bekommt er Grundsicherung – lange Zeit konnte er seine Einkäufe noch selbst bestreiten – doch seit die Lebensmittelpreise in Deutschland enorm gestiegen sind, ist auch er auf die Tafel angewiesen.

Ich habe finanziell kaum noch Spielraum. Und nicht nur bei mir ist das so. So geht es vielen – es sind Hunderttausende. Die Zahlen steigen – man sieht's ja auch bei uns bei der Tafel. Wöchentlich werden es mehr Menschen. Das ist schon heftig.

Marcel Felgner, Tafel-Mitarbeiter und -Kunde in Eisleben

Einmal in der Woche bekommen auch die freiwilligen Helfer eine Kiste mit Lebensmitteln. Pilze, Tomaten, Pflaumen und Radieschen liegen darin – daneben Joghurt, Bananen und Brötchen. "Für einen Warenwert von rund 25 Euro zahle ich nur zwei Euro", sagt Marcel Felgner. Das reiche für drei bis vier Tage. Alles Übrige müsse er selbst kaufen.

Neuer Inflationsschub für September erwartet

Die Inflationsrate betrug im Juli 7,5 Prozent – so gibt es das Statistische Bundesamt an. Die Hans-Böckler-Stiftung hat dagegen im aktuellen "Inflationsmonitor" ausgerechnet, dass die Preissteigerungen für Familien mit niedrigen Einkommen fast einen ganzen Prozentpunkt höher liegen (8,4 Prozent).

Weniger stark würden die Steigerungen für Single-Haushalte mit hohem Einkommen ausfallen – sie beliefen sich demnach auf 6,4 Prozent. Die unterschiedlich hohe Belastung ergibt sich laut der Stiftung aus der Tatsache, dass die größten Preistreiber – Haushaltsenergie und Lebensmittel – bei kleinen Einkommen besonders stark ins Gewicht fallen.

Die Autoren des Inflationsmonitors verweisen auf die zuletzt leicht gesunkene Inflation, was laut Experten auch am 9-Euro-Ticket und am Tankrabatt liegt. Mit dem Auslaufen der Erleichterungen im September wird allerdings ein Wiederanstieg der Inflation erwartet – der die soziale Schere bei den Belastungen noch größer werden lässt. Auch vor diesem Hintergrund diskutiert die Bundesregierung aktuell ein drittes Entlastungspaket, das dieses Mal auch Rentner und Studierende erreichen soll.

Wir begleiten Marcel Felgner zum Supermarkt. Für das anstehende Wochenende will er noch ein paar Einkäufe erledigen, gerade eben hat er seinen fünf Jahre alten Sohn aus der Kita abgeholt. Als alleinerziehender Vater gehört Marcel Felgner in jene Gruppe, die laut dem Paritätischen Wohlfahrtsverband das größte Risiko hat, von Armut betroffen zu sein. Rund 1.000 Euro, sagt Felgner, habe er pro Monat zur Verfügung.

Suche nach reduzierten Lebensmitteln

Die Miete und der Großteil der Nebenkosten werden vom Jobcenter bezahlt. Während der Vater den Einkaufswagen durch die Gänge schiebt und in den Regalen nach reduzierten Lebensmitteln schaut, sind die Augen seines kleinen Sohnes Christopher beim Kinderspielzeug hängengeblieben: Er greift in die Auslage und hält zwei kleine Plastiktüten mit Steckfiguren in den Händen – jede Tüte für 1,99 Euro. "Wir haben gerade Ende des Monats – da wird es immer etwas eng. Wenn er dann, so wie jetzt, einen Wunsch hat und mir in die Augen guckt, das ist schon hart."

Er versuche, sagt der Vater, ihm das auf sanfte Art beizubringen, "dass wir halt nicht so viel haben. Und wir wollen ja auch etwas zu essen haben im Kühlschrank. Obwohl es ihm manchmal etwas schwerfällt, versteht er das meistens."

80 Cent für ein Doppelbrötchen beim richtigen Bäcker – das tut schon weh.

Marcel Felgner, alleinerziehender Vater aus Eisleben

Heute gibt der Papa nach – die zwei kleinen Tüten landen im Wagen und Christopher strahlt. Dann geht es zum Backstand. Früher, erzählt Marcel, sei er öfter mal zum richtigen Bäcker gegangen – doch das sei jetzt kaum noch drin. Stattdessen nimmt er das Billigste: 29 Cent für ein Aufbackbrötchen. "Wir können froh sein, dass wir hier die Möglichkeit haben, solche TK-Ware zu kaufen, die hier vor Ort aufgebacken wird. 80 Cent für ein Doppelbrötchen beim richtigen Bäcker – das tut schon weh."

Mehrwertsteuer-Senkung auf Lebensmittel nicht der richtige Weg

Experten zufolge sind Lebensmittel rund 15 Prozent teurer als im Vorjahr. Deshalb wünscht sich auch Marcel eine echte Entlastung durch die Bundesregierung. Er schlägt eine Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel vor – oder eine zeitweilige Abschaffung. Genau das hält der Wirtschaftswissenschaftler Andreas Knabe von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg für den falschen Weg.

Das ist nach seiner Einschätzung kein guter Weg, um mit den Belastungen umzugehen, sagt Knabe. "Denn davon würden ja nicht nur die wirklich Bedürftigen profitieren, sondern alle Haushalte." Problem sei, dass so etwas aber gegenfinanziert werden müsse. "Denn die Steuereinnahmen fehlen ja dann beim Staat. Entsprechend müssten nach den Worten Knabes andere Steuern erhöht werden. "Oder der Staat müsste an anderer Stelle seine Ausgaben senken."

Davon würden ja nicht nur die wirklich Bedürftigen profitieren, sondern alle Haushalte. Das Problem ist, dass so etwas natürlich auch gegenfinanziert werden muss.

Andreas Knabe, Wirtschaftswissenschaftler Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Besser sei, den bedürftigen Haushalten Einkommenszuschüsse zu geben, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. "Sodass sie mit den höheren Preisen umgehen können."

Hartz IV: Sonderzahlung verpufft

Solche Zuschüsse gibt es tatsächlich. Im Zuge der Entlastungspakete haben alle Empfänger von Grundsicherung im August eine Sonderzahlung von 200 Euro bekommen. Auch Marcel Felgner hat sich über den warmen Regen gefreut – doch der währt nur kurz. "Das Leben ist aktuell so teuer, dass das Geld sofort wieder weg ist. Ich möchte nicht undankbar klingen, aber das war ein Tropfen auf den heißen Stein."

Um sein Einkommen aufzubessern, habe er Minijobs angenommen, erzählt Felgner. Im Einzelhandel und auch als Gebäudereiniger. Rund 150 Euro dürfe er monatlich dazuverdienen – doch dadurch, sagt er, seien seine Tage sehr lang geworden. Um 5 Uhr aufstehen, Büros reinigen, bei der Tafel arbeiten, den Haushalt organisieren und sich um seinen Sohn kümmern. Da stünden Aufwand und Nutzen in keinem guten Verhältnis, sagt er.

Das Familienleben leidet

Seit es das zusätzliche Taschengeld nicht mehr gibt, müsse er wegen der Lebenshaltungskosten nun noch mehr rechnen. Darunter leide auch das Familienleben – weil Freizeit und Kultur häufig zu teuer seien. "Mit dem Kleinen mal wegfahren oder Urlaub machen – das ist schon sehr kostenintensiv, das geht nicht mehr. Wir sind sonst regelmäßig mit der Familie weggefahren." Zurzeit sei das nicht möglich, sagt Felgner. Da blieben nur kleine Spritztouren, zum Beispiel in den Tierpark. "Man versucht, irgendwie so zu leben, dass Christopher den finanziellen Druck möglichst wenig mitbekommt."

Man versucht, irgendwie so zu leben, dass Christopher den finanziellen Druck möglichst wenig mitbekommt.

Marcel Felgner, alleinerziehender Vater aus Eisleben

Sich hängen lassen, kommt für den 36-Jährigen allerdings nicht in Frage. Er könne sich jeden Tag neu motivieren, weil er wisse, für wen er das alles mache, sagt er. "Ich helfe ja nicht nur mir, ich helfe auch den anderen Bedürftigen. Und ich lebe dem Kleinen auch kein Lotterleben vor. Er sieht: Papa geht raus, Papa geht arbeiten – und sitzt nicht zu Hause rum und macht sich früh um neun sein Bier auf. Das wäre für mich ein No-Go."

TV-Tipp: FAKT IST! aus Magdeburg zum teuren Herbst

In der Sendung FAKT IST! aus Magdeburg haben die Gäste am Montagabend über den teuren Herbst und die mit ihm verbundene Angst vor Armut diskutiert. Zu Gast waren unter anderem der Finanzexperte Hermann Josef Tenhagen und die Linken-Bundestagsabgeordnete Petra Sitte aus Halle. Auch der Konditor und Bäckermeister Helge Sommerwerk aus Mücheln wird von seinen Erfahrungen berichten, ebenso wie Marcel Felgner aus Eisleben.

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MDR (Stefan Bernschein, Luca Deutschländer) | Erstmals veröffentlicht am 29.08.2022

Dieses Thema im Programm:MDR Fernsehen | FAKT IST! aus Magdeburg | 29. August 2022 | 22:15 Uhr

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