Hochwasser Mansfeld-SüdharzStausee Kelbra zu spät abgelassen wegen Kranichen? Talsperren-Chef widersprichtvon Daniel Salpius, MDR SACHSEN-ANHALT
Vor allem im Netz reißt die Kritik rund um die Talsperre Kelbra nicht ab. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass der Stausee durchziehenden Kranichen zuliebe nicht weit genug abgelassen wurde für den Winter. Die Daten des Talsperrenbetriebs zeichnen ein anderes Bild.
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Über Wochen haben Einsatzkräfte und Helfer an der Helme gegen das Hochwasser gekämpft. Ebenso lange bangten die Einwohner von Kelbra und Oberröblingen in Mansfeld-Südharz um ihr Hab und Gut. Die Frage, ob all das vielleicht hätte vermieden werden können, drängt sich in solch einer Situation ganz automatisch auf. Die Suche nach Schuldigen lässt aber auch Verschwörungstheorien und Gerüchte entstehen.
So geht vor allem im Netz die Diskussion um die randvolle Talsperre Kelbra weiter, die über die Helme abgelassen werden musste – in einem Umfang, der den Fluss bis an die Oberkante der Deiche hatte anschwellen lassen. Auch MDR SACHSEN-ANHALT haben zahlreiche Zuschriften dazu erreicht.
Die Kritik und die Theorien im Netz ähneln sich im Kern. Die Erzählung geht wie folgt: Die Talsperre sei nicht rechtzeitig abgelassen worden, wie es im Winter üblich sei. Dadurch sei sie durch den Regen im Dezember zu schnell voll gewesen, was erst zum Hochwasser der Helme geführt habe. Auch den Grund meinen die Kommentatoren zu kennen: Der Stausee werde nicht mehr vollständig abgelassen wegen der Kraniche, die im Herbst hier zu Tausenden Rast machen, heißt es immer wieder.
Daten zeigen: Talsperre Kelbra Mitte Dezember noch fast leer
Das Gerücht hält sich wohl auch deshalb so hartnäckig, weil der Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt – anders als für seine anderen Talsperren – die aktuellen Füllmengen des Stausees Kelbra nur für einen eingeschränkten Zeitraum veröffentlicht. MDR SACHSEN-ANHALT liegen nach einer Anfrage beim Talsperrenbetrieb nun aber für das gesamte Jahr 2023 Daten vor.
Es zeigt sich, dass die Talsperre bereits über den Sommer stetig abgelassen wurde. Nach einem geringen Anstieg ab Ende November wurde nochmals deutlich Wasser abgelassen, so dass der Füllstand am 11. Dezember beim vorläufigen Tiefstwert von 1,8 Millionen Kubikmetern landete. Die maximale Kapazität der Talsperre liegt laut Talsperrenbetrieb bei ungefähr 36 Millionen Kubikmetern. Damit war das Gewässer unmittelbar vor den einsetzenden Regenfällen nahezu leer.
Wassermengen schwer abschätzbar: Talsperre extrem flach
Am selben Tag – dem 11. Dezember – wurde laut Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft auch die erste Hochwasserwarnung für das Helme-Unstrut-Flussgebiet herausgegeben – und zwar aufgrund des vorhergesagten Regens sowie der erwarteten Schneeschmelze, teilte der LHW am Mittwoch auf MDR-Nachfrage mit.
Warum der Stausee auch bei geringen Füllmengen für Beobachter noch gut gefüllt wirken kann, erklärt Detlef Cöster vom Talsperrenbetrieb auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT. Das Gewässer sei nämlich sehr flach. So breite sich das Wasser auch beim niedrigen Füllstand von 1,8 Millionen Kubikmetern immer noch auf einer Fläche von 320 Hektar aus. Die Wassertiefe liege dann allerdings im Durchschnitt gerade einmal bei 60 Zentimetern.
Willingmann: Extreme Niederschläge verantwortlich für Situation
Vor diesem Hintergrund trat bereits am Dienstag in Magdeburg auch Umweltminister Armin Willingmann (SPD) den Spekulationen entgegen, wonach die Talsperre nicht rechtzeitig zum Winter entleert gewesen sei: "In der zweiten Dezemberwoche war die Talsperre zu 95 Prozent leer", sagte er. Nicht Versäumnisse der Verantwortlichen, sondern die extremen Niederschläge in den Folgewochen hätten die Talsperre bis an die Belastungsgrenze gebracht.
Der Hochwasserschutz hatte im Betriebskonzept der Talsperre stets oberste Priorität und er wird es auch in Zukunft haben.
Armin Willingmann | Umweltminister
Im Harz seien im Dezember 300 Liter Regen pro Quadratmeter gefallen. Die Talsperren und die intakten Hochwasseranlagen hätten insofern eine Jahrhundertkatastrophe verhindert. "Zwischen Weihnachten und Neujahr sind 50 Millionen Kubikmeter Wasser in die Talsperre gelaufen, 40 Millionen Kubikmeter Wasser konnten zurückgehalten werden. Das hat die Unterlieger vor den verheerendsten Überschwemmungen seit 1946 bewahrt", so Willingmann.
Talsperren-Chef äußert sich zu Vorwürfen
Auch der Chef des Talsperrenbetriebs Sachsen-Anhalt, Burkhard Henning, hat sich am Donnerstag noch einmal ausführlich zum Thema geäußert. "Die Anlage hat ihre Aufgabe erfüllt", sagte er im Interview mit MDR SACHSEN-ANHALT. Die Aufgabe sei allerdings nicht, das Hochwasser zu 100 Prozent abzuhalten, sondern die Hochwasserspitzen abzufedern.
Henning zufolge musste die Talsperre in der Spitze bis zu 160 Kubikmeter Wasser pro Sekunde aufnehmen, gleichzeitig seien nur 35, später 40 Kubikmeter pro Sekunde an die Helme abgegeben worden. Hieran zeige sich, was unterhalb der Talsperre passiert wäre, wenn die Anlage nicht funktioniert hätte.
Wasser wird auch wegen der Kraniche abgelassen
Behauptungen, der Hochwasserschutz werde den Kranichen geopfert, ärgern Henning besonders. Denn die Vögel bräuchten an ihrem Rastplatz auf dem Weg in den Süden ja eben gerade nicht hohes, sondern flaches Wasser. Daher seien im Gegenteil die Vögel neben dem Hochwasserschutz ein zusätzlicher Grund, im Herbst Wasser aus der Talsperre abzulassen. "Das tun wir aber auch nur dann, wenn es die meteorologische Lage erlaubt." Kommen große Wassermengen, werde ohne Rücksicht auf die Vögel aufgestaut.
Und auch den Anwurf, Wasser werde aus "Kommerz-Gründen" nicht konsequent abgelassen, weist der Talsperren-Chef zurück. Schließlich sei Kelbra kein Trinkwasser-Reservoir. Sie sei im Gegenteil ursprünglich als grünes Rückhaltebecken geplant gewesen, habe sich aber schon zu DDR-Zeiten zu einem Freizeit-Gebiet entwickelt, so dass insbesondere im Sommer Wasser im Stausee bleibe.
Laut Talsperrenbetrieb liegt die Füllmenge in der warmen Jahreszeit bei um die zwölf Millionen Kubikmeter. Dies entspreche auch den Wünschen der Gemeinde Kelbra, für die die Talsperre als Ausflugsziel für Camper und Wassersportler wichtig sei, so Henning. "Kommen also solche Extremniederschläge wie zuletzt um Weihnachten im Sommer auf uns zu, ist der Stausee dann tatsächlich nicht ausreichend leer."
Talsperrenchef: "Unsägliche Nutzungsanforderungen"
Für Henning reihen sich die aktuellen Gerüchte somit ein in die sehr konfliktbeladene Gemengelage rund um die Talsperre Kelbra. So würden hier völlig gegensätzliche Interessen aufeinander prallen, nämlich Tourismus, Umweltschutz und Hochwasserschutz. "Da ist es schwierig, jedem jeden Wunsch zu erfüllen. Das sind unsägliche Nutzungsanforderungen, die man nicht befrieden kann." Hochwasserschutz stehe allerdings immer an oberster Stelle und alles andere habe sich unterzuordnen.
Als wäre all das nicht genug, kommen in Kelbra auch noch herausfordernde hydrologische Bedingungen hinzu. Dadurch sei es tatsächlich mitunter schwierig, das Wasser loszuwerden, erklärt der Talsperren-Chef. Die Wasserqualität der Helme dürfe beispielsweise nicht gefährdet werden. Das Seewasser sei mitunter sauerstoffarm, enthalte viel organisches Material und Schwebstoffe. Laichplätze von Fischen im Fluss könnten dadurch beeinträchtigt werden. Unterm Strich seien die Talsperre Kelbra und das angeschlossene Helme-Unstrut-Gebiet ein extrem komplexes System, "eine Gleichung mit zig Unbekannten".
MDR (Manuel Mohr, Daniel Salpius), erstmals veröffentlicht am 10. Januar 2024
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 11. Januar 2024 | 17:00 Uhr
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