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Drei Pilger erzählenPilgern in Sachsen-Anhalt: Ohne Handy-Apps – und so weit die Füße tragen

20. Juli 2023, 13:32 Uhr

…ich bin dann mal weg, auf dem Jakobsweg: Pilgern liegt im Trend. Einfach mal für ein paar Tage oder Wochen alles hinter sich lassen und loslaufen. Das geht nicht nur auf spanischen Staubstraßen, sondern auch hier in Sachsen-Anhalt. Pilgern, das hat auch etwas mit Loslassen zutun. Begegnungen mit Pilgern, am Jakobsweg in Mansfeld-Südharz.

Einen Reiseführer hat Annett von Kukowski dabei an diesem Morgen. Darauf: eine Landkarte. Beschreibungen von Kirchen und Klöstern auf dem Weg. Was das Heft für den Jakobsweg in Sachsen-Anhalt aber besonders macht, sind die Wegbeschreibungen. "Durch die Ackerflur bis zur Wegespinne", steht da. Oder: "Am Industriegebiet vorbei bis zur Wegkreuzung."

Gelbe Muschel auf blauem Grund: Das ist das Erkennungszeichen des Jakobswegs. Bildrechte: colourbox

Für die Kurz-Anweisungen gibt es einen praktischen Grund: Für den Jakobsweg gibt es keine Hinweisschilder, sondern nur dezente Aufkleber an Laternenmasten oder anderen Wegweisern. Eine gelbe Jakobsmuschel auf blauem Grund. Den Weg weisen die Strahlen der stilisierten Muscheln – das Symbol des Jakobsweges. Die Aufkleber ziehen sich auch quer durch Sachsen-Anhalt. Von der Gegend um Stendal, über Magdeburg, Halberstadt, den Harz, Mansfeld-Südharz, in den Burgenlandkreis. Durch Sachsen-Anhalt verlaufen drei der deutschen Jakobswege.

Der Jakobsweg ist ein Wegenetz

Eigentlich ist der Jakobsweg ein Wegenetz. Eines, das sich wie ein Baum von Santiago de Compostella in Spanien weit nach Osten erstreckt, auch durch Deutschland. Und auf diesen alten Pilgerpfaden ist auch Annett von Kukowski unterwegs. Sie kennt Spanien, aber auch die Pilgerrouten in Sachsen-Anhalt. Beide haben eines gemeinsam: Um den Weg zu finden, braucht es keine Handy-Apps. Sondern offene Augen. Mit der Zeit stellt sich ein Blick ein, für die Aufkleber. Wohin aber die Strahlen der Jakobsmuschel weisen – das ist manchmal schwer zu interpretieren. Dabei helfen die Wegbeschreibungen – und Vertrauen. Vertrauen, auf dem richtigen Weg zu sein.

Den richtigen Weg im Leben zu finden, das war für Annett von Kukowski nicht immer einfach. Angefangen zu Pilgern habe sie aus Verzweiflung, erzählt sie. Um Dinge mit sich auszumachen. "Ich habe immer versucht, allen Erwartungen gerecht zu werden. Nirgendwo anzuecken", sagt sie. Man erzähle sich, dass der Jakobsweg auch für Menschen sei, die keinen anderen Weg mehr gehen können.

Pilgern entschleunigt

Und tatsächlich — Pilgern macht den Kopf frei: Jeden Tat ein anderer Ort. Jeden Tag ein anderes Bett und zwischendurch: gehen. Die einzige Aufgabe für den Tag. Im Rucksack nur die Dinge, die es wirklich braucht im Leben. Wer unterwegs ist, denkt nach. Ordnet Gedanken. Kommt an, bei sich. "Das Pilgern entschleunigt mich", sagt Annett von Kukowski. "Ich fühle mich dort frei." In schwierigen Situationen erinnere sie sich an Erlebnisse und Gespräch auf dem Weg.

In der neuen Folge von #hinREISEND entdecken die MDR-Reporter Tom Gräbe und Marcus Poschlod die schönsten Pilgerrouten.

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Schnupperpilgern mit der Jakobusgesellschaft

Wer das Pilgern einfach mal ausprobieren will, ohne gleich wochenlang unterwegs zu sein, für den gibt es das Samstagspilgern der Jakobusgesellschaft in Sachsen-Anhalt. Ein Tag unterwegs mit anderen ein Stück des Jakobswegs hier in Sachsen-Anhalt zurücklegen. Listen mit Terminen gibt es im Internet auf der Seite der Jakobusgesellschaft.

Annett von Kukowski war in Spanien genau so pilgern wie in Sachsen-Anhalt. Allein oder mit ihrer Tochter. Als Frau auf dem Jakobsweg, allein unterwegs, Gedanken hätte sich eher die Familie gemacht. "Ich muss ganz ehrlich sagen ich habe mich kaum irgendwo sicherer gefühlt als dort", sagt sie. Die Wegbeschreibungen der Karte, die helfen tatsächlich. Das Handy kann in der Tasche bleiben.

Beim Pilgern Tausende Kilometer durch Deutschland

Das Telefon von Hans-Michael Strube kann auch in der Tasche bleiben. Der Weg findet sich. Wichtiger als das Smartphone: ein Pilgerstab namens Otto. Aus dem eigenen Garten. Zwei, drei, viertausend Kilometer sei er mit dem Pilgerstab schon gelaufen. "Aber es ist ja eigentlich egal, wie weit man geht. Die Frage ist: Wie kommt man zu sich", sagt er.

Im Video erzählt Hans-Michael Strube, wie das Pilgern Menschen verändern kann.

Es ist ja eigentlich egal, wie weit man geht. Die Frage ist: Wie kommt man zu sich.

Hans-Michael Strube | Pilger

Regelmäßig tauscht er den Businessanzug gegen den Pilgerstab und läuft los. Wochenlang. Schläft in Pilgerherbergen, bei Privatleuten, klingelt irgendwo, wenn seine Wasserflasche leer ist. Deutschland sei ein tolles Pilgerland, sagt er. Unterwegs zu sein, mit sich, das hilft. "Die Gedanken, die kommen, wie Wolken fliegen zu lassen und nicht festzuhalten und zu versuchen zu lösen, sondern an sich vorbeischweben zu lassen." Das sei ganz, ganz wichtig. Pilgern, das bedeutet auch: Erdung. Zu sehen, was wesentlich ist. Unterwegs zu sein, nur mit Dingen, die es wirklich braucht.

Übernachten in Pfarrhäusern

Nur das Allernötigste hat auch Tomáš dabei. Er läuft von Berlin nach Italien, um dort Mönch zu werden. An einem Wochentag im April sitzt er abends auf einer Bank im Kloster Helfta. Er schläft in Pfarrhäusern, manchmal auch draußen. In dieser Nacht in Räumen, die ihm die Ordensschwestern im Kloster zur Verfügung stellen. Sein Startkapital? 50 Euro, sagt er. Nach Schicksalsschlägen will er in einem Kloster leben. Das Pilgern sei eine gute Vorbereitung. "Man soll nicht viel überlegen", stellt er fest. Er habe lange Zeit gehadert, ob er losgehen wolle. Pilgern war er schon vor seiner Reise. Allerdings von Hotel zu Hotel, mit Gepäcktransport. Jetzt laufe er, wie in alten Zeiten. Dazu gehöre allerdings auch, Kilometer an der Bundesstraße entlang zu laufen.

Im Video erzählt Tomáš, wie er zum Pilgern gekommen ist.

Pilgern ist nicht gleich wandern

Der Jakobsweg führt auch durch Gewerbegebiete, triste Landstraßen das Wetter spielt nicht immer mit. Aber, der Weg kann auch idyllisch sein – er führt an Kirchen entlang, Sehenswürdigkeiten, Aussichtspunkten. Die Strecke allerdings, kann sich auch ziehen. Aber, es geht voran. "Der Jakobsweg gibt dir nicht das, was Du willst, sondern was Du brauchst" – so lautet deshalb eine Binsenweisheit unter Pilgern.

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MDR (Tom Gräbe, Luca Deutschländer)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 18. Juli 2023 | 06:40 Uhr

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