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Nebenkosten-StreitSchock in Magdeburger Plattenbau: Heizkosten um 250 Prozent gestiegen

20. April 2024, 17:06 Uhr

Das Wort Wärme-Contracting haben viele noch nicht gehört. Für Mieter in Magdeburg ist diese Praxis richtig teuer geworden. Ihre Heizkosten sind um 250 Prozent gestiegen. Tausende Euro Nachzahlungen bedeutet das für sie. Doch wodurch explodieren die Kosten eigentlich so?

von Christiane Cichy und Carmen Brehme, Redaktion Wirtschaft und Ratgeber

Nicht geheizt und dennoch über 400 Euro nachzahlen

Mieter von Plattenbau-Wohnungen in der Bernhard-Kellermann-Straße in Magdeburg sollen tausende Euro allein für ihre Heizkosten nachzahlen, obwohl sie ihren Verbrauch erheblich gesenkt haben.

Isabell Michel ist eine der Betroffenen. Sie bewohnt eine 48 Quadratmeter große Wohnung. Obwohl sie nur das Wohnzimmer beheizt hat, hat sie laut Abrechnung 3.227 Euro für das Jahr 2022 an Heizkosten mehr verursacht als sie vorausgezahlt hat. Ihre Warmmiete wurde deswegen von 495 auf 690 Euro angehoben. "Das ist Wahnsinn. Ich habe echt schon überlegt, hier auszuziehen und mir eine Einraumwohnung zu suchen", sagt sie dem MDR-Magazin Umschau. Dem MDR lagen eine Vielzahl von Rechnungen vor: Auch Forderungen von über 5.000 Euro sind kein Einzelfall.

Nachbarin Sabine Rösner soll ebenfalls nachzahlen, obwohl sie aus Angst vor hohen Kosten, ihre Heizung gar nicht aufgedreht hat. Im Jahr 2022 war ihr Verbrauch deswegen bei null: "Ich habe nichts verbraucht und muss trotzdem 444,89 Euro nachzahlen. Für nichts", sagt sie. Die Summe ergibt sich aus der 70:30-Regel, bei der anteilig immer 30 Prozent Grundkosten mitberechnet werden – und 70 Prozent den tatsächlichen Verbrauch abbilden.

Ich habe nichts verbraucht und muss trotzdem 444,89 Euro nachzahlen.

Sabine Rösner, Mieterin

Rechtsberater: Heizkosten laut Heizspiegel um 50 Prozent zu hoch

Die Mieter der Plattenbau-Wohnungen in der Bernhard-Kellermann-Straße sehen sich durch ein Wärme-Contracting durch hohe Kosten für die Heizversorgung belastet. Bildrechte: MDR/Umschau

Einige der Mieter haben sich mittlerweile zusammengeschlossen. Sie haben Widerspruch eingelegt und sich Hilfe beim Mieterverein geholt. Zakaria Said vom Mieterverein Magdeburg hat sich vor Ort ein Bild von der Lage gemacht und alle notwendigen Unterlagen vom Vermieter eingefordert und geprüft. "Die Mieter haben im Vergleich von 2021 zu 2022 ein Drittel Energie eingespart. Trotzdem haben sich die Kosten um den Faktor 3,5 - also um 250 Prozent - erhöht", sagt er nach der Einsicht in die Akten. Damit lägen die Heizkosten bei 40 Euro pro Quadratmeter im Jahr. "Laut Heizspiegel sind in dem Fall Kosten von 21 Euro pro Quadratmeter pro Jahr zu hoch", erklärt der Rechtsberater.

Contracting-Vertrag: Heizungsanlage wird von Dienstleister bewirtschaftet

Ein Umstand, der die Heizkosten in die Höhe treibt, ist laut Rechtsberater Said der Wärmeliefervertrag, den der Vermieter mit dem Energieunternehmen G+E Getec Holding GmbH abgeschlossen hat. Die Plattenbau-Wohnungen werden mit einer eigenen Gasheizung im Keller versorgt. Der Vermieter hat die Firma G+E Getec Holding GmbH beauftragt, die Bewirtschaftung der Heizungsanlage zu übernehmen. Hier spricht man von Contracting.

"Der Mieter ist hier ganz eindeutig der Dumme", sagt Zakaria Said vom Mieterverein Magdeburg. Bildrechte: MDR/Umschau

Der Beauftragte, der Contractor, kümmert sich um alles rund um die Heizung, er wartet die Anlage, nimmt Reparaturen vor oder erneuert diese.  Für den Vermieter ist das finanziell attraktiv: Die Kosten für diese Dienstleistung, muss er nun nicht mehr selbst finanzieren, sondern diese werden über den Wärmepreis auf den Mieter umgelegt. "Mit Sicherheit wäre es günstiger, wenn kein Dritter nochmal zusätzlich dazwischen geschaltet wird, der mit der Heizungsanlage Gewinne machen muss, damit es sich für ihn rechnet. Das zahlen dann in diesem Fall zu 100 Prozent die Mieter. Der Mieter ist hier ganz eindeutig der Dumme", sagt Rechtsberater Said. Zumindest müssen die Mieter über einen Contracting-Vertrag gemäß Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB) informiert werden. "Der Vermieter hat die Umstellung spätestens drei Monate zuvor in Textform anzukündigen", heißt es im BGB dazu.

Pacht für Kellerraum, in der die Heizungsanlage steht, wird auf Mieter umgelegt

Der Vermieter im Falle des Magdeburger Plattenbaus spart sich hier nicht nur die Kosten für die Reparaturen der Heizungsanlage, er verdient laut Vertrag auch noch rund 10.000 Euro, weil er eine Art Pacht für den Kellerraum kassiert, in der die Heizungsanlage steht. "Um die 10.000 Euro nur für einen Keller. Das sind Kosten, die man eigentlich mit einer 100-Quadratmeter-Wohnung in bester Lage als Vermieter erwirtschaften müsste", schätzt Said vom Mieterverein Magdeburg ein.

Wärmecontracting macht aus Gaskessel eine teure Fernwärmeanlage?

Ein weiterer Grund für die Preisexplosion in der Magdeburger Plattenbausiedlung: Wärme-Contracting zählt rein rechtlich zur Fernwärme und unterliegt somit der Fernwärmeverordnung, auch wenn es sich rein technisch um eine Gasanlage handelt. Das heißt: Die Mieter zahlen dann keinen Gas-, sondern einen sogenannten Wärmepreis, der sich aus einem Grund- und einem Arbeitspreis zusammensetzt. Im Fall der Magdeburger war der Arbeitspreis besonders hoch. Im vierten Quartal 2022 betrug dieser fast 62 Cent pro Kilowattstunde. Das war ein sehr hoher Wert, wenn man sich die Preise anderer Energieanbieter im Vergleich anschaut.

Energieexperte Max Hengstenberg sieht den Gesetzgeber gefordert, Mieter vor derartigen Preiskalkulationen zu schützen. Bildrechte: MDR/Umschau

Der Preis spiegelt jedoch nicht die tatsächlichen Beschaffungskosten wider, sondern berechnet sich nach komplizierten Formeln, die für Laien intransparent sind. Max Hengstenberg von der Energieberatungsfirma Senercon in Berlin hat sich die Magdeburger Preisformel angeschaut. In diese fließt ihm zu Folge ein Börsenwert vom Gasmarkt ein. "Das sorgt dann dafür, dass die Preise regelrecht explodieren. Der Versorger hat zu diesen Konditionen mit Sicherheit nicht sein Gas eingekauft, wenn, dann zu einem ganz kleinen Teil", sagt der Energieexperte dem MDR-Magazin Umschau.

Solche Beispiele würden zeigen, dass der Gesetzgeber hier gefordert ist, regulierend einzugreifen. "Er muss ein Konstrukt erschaffen, dass die Mieter vor so einer Situation bewahrt", so Hengstenberg.

Das Bundeswirtschaftsministerium sieht keine Gesetzeslücke. Ob die erhöhten Preise rechtens seien, "kann von den Betroffenen zivilrechtlich bzw. über die Missbrauchsaufsicht durch das Bundeskartellamt geprüft werden", heißt es auf MDR-Anfrage. Keinen Handlungsbedarf sieht auch die G+E Getec Holding GmbH, die die Heizungsanlage der Plattenbau-Wohnungen in der Bernhard-Kellermann-Straße in Magdeburg bewirtschaftet. "Nach unserer Auffassung erfüllt die hier in Rede stehende Preisgleitklausel sämtliche gesetzgeberischen Anforderungen", schreibt das Unternehmen.

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MDR (cbr)

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR um 2 | 24. April 2024 | 14:00 Uhr

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