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"Problemviertel" in MagdeburgDieser Mann will das Leben in der Neuen Neustadt besser machen

27. November 2022, 11:59 Uhr

Die Neue Neustadt in Magdeburg gilt als Problemviertel. Leerstand, Lärm, Müll und soziale Konflikte prägen das mediale Bild. Der neue Geschäftsstraßenmanager will das ändern und sagt: Die Neue Neustadt ist viel besser als ihr Ruf. Und sie soll noch besser werden. Seine Pläne treffen auf Zuspruch und Skepsis. Ein Besuch.

Wenn Patrick Egeward durch die Straßen der Neuen Neustadt in Magdeburg läuft, beginnen seine Augen zu leuchten. Immer wieder deutet er auf Gebäude und Plätze und erzählt von Projekten, die dort geplant oder schon umgesetzt worden sind. Zwischendurch hält er an und unterhält sich, viele Menschen hier kennt er mit Namen.

Seit einem halben Jahr ist Egeward der Geschäftsstraßenmanager der Neuen Neustadt. Der gelernte Bürokaufmann soll das Image der Lübecker Straße verbessern und zu einer positiven Entwicklung des Stadtteils beitragen. Sowohl wirtschaftlich als auch sozial. Denn die Neue Neustadt ist im Wandel und gilt bei vielen Magdeburgern als Problemviertel.

Auf der Geschäftsstraße der Neuen Neustadt ist Patrick Egeward oft unterwegs und spricht mit den Menschen über ihre Bedürfnisse. Bildrechte: MDR/Leonard Schubert

Patrick Egeward kennt das negative Bild der Neuen Neustadt. Er ist oft unterwegs, auch nachts, spricht im Stadtteilladen und in den Geschäften mit den Menschen über ihre Probleme und Wünsche. Viele Probleme nimmt er ernst. Einige, sagt er, würden aber auch medial aufgebauscht.

Was ist das Geschäftsstraßenmanagement?

Das Geschäftsstraßenmanagement für die Neue Neustadt wurde durch die Stadt Magdeburg eingeführt, um das Image und die Wettbewerbsfähigkeit der Geschäftsstraße (Lübecker Straße) der Neuen Neustadt zu stärken. Dazu soll die wirtschaftliche, baulich-räumliche und soziale Entwicklung im Stadtteil unterstützt werden. So soll die Lebensqualität aller gesteigert werden.

Um diese Entwicklung zu erreichen, soll der Geschäftsstraßenmanager zum Beispiel verschiedene Akteure und die Stadtverwaltung vernetzen und unterstützen; Aktionen zur Aufwertung des Stadtteils initiieren; robuste Sozialstrukturen schaffen; bei der Sanierung und Stärkung der Infrastruktur als Kommunikator unterstützen.

Der Geschäftsstraßenmanager hat dazu ein Budget von 15.000 Euro jährlich zur Verfügung. Die Stadt selbst versucht mit baulichen Investitionen zu helfen.

Neben dem Geschäftsstraßenmanagement gibt es auch noch die Stadtteilmanagerin Franziska Müller, die ebenfalls einen Fokus auf die Entwicklung von Alter und Neuer Neustadt hat, insbesondere auf den sozialen Zusammenhalt. Die Aufgaben überlappen und ergänzen sich zum Teil.

Die Neustadt im Wandel: Warum sie als "Problemviertel" wahrgenommen wird.

Das Stadtviertel befindet sich seit Jahren in einem starken Wandel. Durch Online-Handel und umliegende Einkaufszentren sind in den vergangenen Jahren alteingesessene Läden abgewandert. Der Leerstand hat zugenommen. Viele Schnellimbisse, Spätshops und Gemüseläden haben aufgemacht.

Gleichzeitig hat es einen starken Zuzug gegeben, nach Angaben der Stadt vor Allem von Menschen aus Osteuropa. Mehr als 30 Nationalitäten leben inzwischen hier zusammen. Laut Stadtteilmanagerin Franziska Müller gibt es hier auch viele Menschen, die von Armut betroffen sind.

Immer wieder entstehen auch soziale Konflikte. Regelmäßig gibt es Beschwerden über Lärm und Müll. Einige Anwohner geben an, sich nicht mehr sicher hier zu fühlen, beschweren sich über die Zugezogenen.

Neue Neustadt in Magdeburg "ist viel besser als ihr Ruf"

Franziska Müller, die als Stadtteilmanagerin der Neuen Neustadt arbeitet, sagt: "Ich will die Probleme nicht kleinreden. Aber dieses übertriebene negative Bild der Neustadt entspricht einfach nicht dem, was man hier vor Ort täglich erlebt." Natürlich gebe es auch Probleme, aber selten in der dargestellten Brisanz. Unterschwellig gehe es oft um die Frage: "Wie leben wir miteinander und wie begegnen wir fremden Kulturen." Deshalb müsse sie in ihrem Job häufig Brücken bauen.

Im "Neustadtladen" ist Franziska Müller Ansprechpartnerin für Probleme und Projekte. Die Stadtteilmanagerin arbeitet eng mit Patrick Egeward zusammen. Bildrechte: MDR/Leonard Schubert

Müller sagt, die Problemen würden unter dem Brennglas betrachtet. Was dafür weniger betrachtet werde, sei, wie vielfältig und schön der Stadtteil eigentlich sei – zum Beispiel wegen seines reichen Kulturangebots, der vielen Projekte, dem guten Essen. Sie sei sehr gerne hier und fühle sich sicher, auch abends.

Auch Patrick Egeward erlebt den Stadtteil sehr positiv. "Ich fühle mich hier richtig wohl! Ich überlege gerade, hierher zu ziehen!" erzählt er. Er mag die Begegnungen, die Vielfalt und Herzlichkeit. "Hier ist die Zukunft", sagt er. Und ist überzeugt, dass sich die bestehenden Probleme durch gemeinsame Projekte lösen lassen.

Friseurin in der Neuen Neustadt wünscht sich, "es wäre wie früher"

Sylvia, deren kleinen Friseursalon wir kurz darauf betreten, sieht das anders. Sie vermisst die alten Läden und den respektvollen Umgang, den sie von früher kennt. All das habe sich verschlechtert. Viele Kunden fühlten sich nicht mehr sicher. Und es sei viel dreckiger als früher, weil sich viele Geschäfte nicht darum kümmerten. Norbert, der sich gerade die Haare schneiden lässt, stimmt ihr zu.

Auch Lutz, der ebenfalls zum Haareschneiden kommt, betrachtet die Veränderung der Neustadt mit Sorge. Er wünscht sich, dass alle Menschen hier mehr aufeinander zugehen und mehr Verantwortung für die Neustadt übernehmen.

Sylvia und Norbert sind da skeptisch. Sie haben den Eindruck: "Viele Menschen, die herkommen, wollen nicht arbeiten oder etwas beitragen. Die wollen von unserem Geld leben. Und das geht nicht." Am liebsten, sagt Sylvia, wäre es ihr, es wäre hier wieder wie früher. Diese Meinung äußern einige Menschen, denen wir auf unserem Rundgang begegnen.

Aktionen gegen den Müll im Stadtteil

Der neue Geschäftsstraßenmanager kennt den Wunsch und die Problematik. Er hält dagegen, dass es nicht schlecht sein müsse, dass sich die Neue Neustadt in einem Wandel befinde. Sondern darum gehen müsse, diesen Wandel positiv zu gestalten. "Viele arbeiten. Und ohne die neuen Geschäfte und die Zuzüge hätten wir noch viel mehr Leerstand."

Er weiß, wie sehr der Müll das Zusammenleben belastet. Er versucht deshalb, in Gesprächen ein Bewusstsein für richtige Müllentsorgung zu schaffen, organisiert Clean-Up-Days, gibt Hinweise an die städtische Abfallwirtschaft und sammelt auch selbst immer wieder Müll ein. Für ihn ist das nicht nur ein Job. "Eine saubere Straße schafft auch ein Sicherheitsempfinden und Frieden in den Menschen", meint er.

Erste Erfolge hat er schon erzielt. Das gibt auch Sylvia zu. Im Gegensatz zu Patrick Egeward glaubt sie aber nicht daran, dass die Aktionen langfristig Wirkung zeigen und zu einem besseren Miteinander führen werden. Aber sie freut sich über sein Engagement.

"Jetzt ist es hier lebendig, zu DDR Zeiten war es hier langweilig"

Nur ein paar Schritte weiter, in der Balkanbäckerei in der Moritzstraße, sind die Leute geradezu begeistert von der Entwicklung der Neuen Neustadt. "Es ist, als hätten wir ein Stück New York in Magdeburg. Multikulti. Wir können viel voneinander lernen", erklärt Temaj, der Bäcker. Es fehle höchstens ein bisschen Infrastruktur für den Müll, aber die könne ja noch kommen.

Judith, eine Kundin die schon seit vielen Jahren hier lebt, gefällt die Neue Neustadt, besonders die ausländischen Geschäfte. Früher, sagt sie, sei es sehr öde hier gewesen. Aber heute sei es hier lebendig und vielfältig.

Auch Sandro gefällt die Neue Neustadt, so wie sie ist. Er ist trotz der negativen Berichte in den Umfassungsweg gezogen und sagt, er lebe sehr gerne hier. Probleme gebe es kaum. Nur sauberer könne es sein.

"Den Menschen unsere Gemeinschaft plausibel machen"

Judiths Partner Klaus findet: "Es ist wichtig, den Menschen unsere Gemeinschaft plausibel zu machen." Wenn man den Leuten Ordnung und Regeln auf Augenhöhe erkläre und die Menschen an die Hand nehme, stoße man fast immer auf Gegenliebe und Dankbarkeit. Auf seiner Arbeit als Hausmeister in der Neuen Neustadt funktioniere das wunderbar.

In der Neuen Neustadt erlebe er die Stimmung vieler Deutscher anderen gegenüber zunehmend frostig. Mit einem Lächeln und einem gemeinsamen Ansatz komme man viel weiter.

Brücken bauen und Einladungen aussprechen

Der Polarspielplatz soll in einem gemeinsamen Stadtteilprojekt gestaltet und verbessert werden. Bildrechte: MDR/Leonard Schubert

Patrick Egeward und Franziska Müller verfolgen als Geschäftsstraßen- und Stadtteilmanager einen ganz ähnlichen Ansatz. Beide versuchen, verschiedene Akteure miteinander zu vernetzen, Brücken zu bauen und Einladungen auszusprechen, den Stadtteil gemeinsam zu gestalten. Dazu sei es enorm wichtig, allen Beteiligten auf Augenhöhe zu begegnen und einander ernst zu nehmen.

Egeward berichtet, auf diese Weise habe er bereits viele Konflikte zwischen Geschäften, der Stadt und Anwohnern regeln können. Zum Beispiel sei schadhaftes Kopfsteinpflaster vor Geschäften ausgetauscht worden. Eine Gruppe Anwohnerinnen aus Rumänien helfe seit Neuestem dabei, den Moritzplatz sauber zu halten. Es gebe tolle neue Pläne für den Polarspielplatz. Überall entwickle sich die Gemeinschaft. Er ist sich sicher, dass die einzelnen Aktionen eine umfassende Strahlkraft entwickeln und auch große Probleme lösen können.

Langfristig, ist er überzeugt, helfe ein gutes Image und ein gutes Zusammenleben auch der Wirtschaft des Stadtteils. Denn wenn die Stimmung gut sei, wenn Menschen mit Kaufkraft herkämen, dann ziehe die Wirtschaft automatisch nach.

Neue Neustadt soll gemeinsam entwickelt werden

Wegen der bisherigen Erfolge ist Egeward zuversichtlich, dass auch seine zukünftigen Pläne langfristig Früchte tragen könnten. Von gemeinsamer Begrünung des Stadtteils über weitere Clean-Up-Aktionen und viele weitere Ideen hat er einiges vor und wartet auf das "Go" seiner Arbeitgeber. Auch im "Neustadtladen" sei man immer ansprechbar, offen für Probleme oder neue Ideen.

"Gemeinsam können wir das hier richtig schön gestalten", sagt er. Damit das funktioniere, müssten die Leute aber auch wollen, sagt Egeward. Dazu wünscht er sich zukünftig mehr Beteiligung.

Mehr zum Thema: Die Neue Neustadt in Magdeburg

MDR (Leonard Schubert)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT | MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 29. November 2022 | 10:00 Uhr

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