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AbfallentsorgungMagdeburg-Rothensee: Das Industriedorf, der Müll – und kein Protest

06. Februar 2022, 13:21 Uhr

In Magdeburg-Rothensee steht die größte Müllverbrennungsanlage Sachsen-Anhalts. Zu Beginn gab es Sorgen, die Probleme und Belastungen für die Anwohnerinnen und Anwohner würden zu groß werden – wie in anderen Fällen in Sachsen-Anhalt. Doch das Unternehmen und die Menschen vor Ort haben frühzeitig Gespäche geführt und sich gut miteinander arrangiert.

  • In der Vergangenheit gab es in Sachsen-Anhalt zahlreiche Müllskandale.
  • Als die Müllverbrennungsanlage in Magdeburg-Rothensee gebaut werden sollte, gab es lediglich am Anfang Proteste.
  • Seither sind das Unternehmen und die Anwohnerinnen und Anwohner in engem Austausch – auch für die neu geplante Erweiterung.

Erst im November vergangenen Jahres wurde die Sanierung der illegalen Müllkippen bei Möckern und Vehlitz abgeschlossen. Dort war in ehemaligen Tongruben Hausmüll entsorgt worden, der zunächst für Gestank sorgte und später zur Verseuchung des Bodens führte. Die ehemaligen Betreiber wurden zu Haftstrafen verurteilt, zudem verlor der damalige Landrat wegen Bestechlichkeit sein Amt. Die Sanierung der Gruben kostete den Steuerzahler 29 Millionen Euro.

Proteste und Probleme in ganz Sachsen-Anhalt

Aber auch anderswo sorgt das Thema Müll für Probleme. In Brüchau geht es um eine Giftschlammdeponie, die schon seit DDR-Zeiten existiert und für erhebliche Probleme sorgt. Die Anwohner verlangen eine Auskofferung der gefährlichen Chemie-Brühe. In Teutschental klagen die Einwohner seit Jahren über den Gestank, der von einem alten Bergwerk aufsteigt, in dem Industrieabfälle gelagert werden.

Rund um Gräfenhainichen laufen die Anwohner Sturm gegen die Pläne eines Investors, in der Nähe der Konzertarena Ferropolis eine Mülldeponie zu betreiben. Und in Sandersdorf-Brehna sind Einwohner und Stadtverwaltung aufgebracht, weil die dortige Papierfabrik nun zusätzlich den Bau einer Müllverbrennung plant. Dabei gibt es bereits jetzt vor Ort Geruchsprobleme.

Industriestandort mit langer Mülltradition

Müll ist also vielerorts in Sachsen-Anhalt ein Problem – nur nicht in Magdeburg-Rothensee, wo Sachsen-Anhalts größte Müllverbrennungsanlage steht. Dabei hat man im Norden Magdeburgs eine mehr als einhundertjährige Industriegeschichte mit erheblichen Nachwirkungen für die Umwelt. Die ehemalige Großgaserei schloss im Jahr 1993 und hinterließ sieben Teerseen, die aufwändig saniert werden mussten. Zu Kriegszeiten gab es im Industriegebiet zudem ein Hydrierwerk zur Herstellung von Benzin aus Braunkohle, eine Zinkhütte sowie große Tanklager.

Jahrzehnte später fanden sich im Boden noch immer Phenol und Schwermetalle wie Zink, Cadmium, Chrom, Arsen oder Quecksilber. Als mit dem Zusammenbruch der DDR-Industrie nach und nach die Schornsteine erloschen, hofften die Anwohner in Rothensee auf eine deutlich umweltfreundlichere Zukunft.

Sachsen-Anhalts größte Müllverbrennungsanlage

Doch dann wurden Pläne bekannt, auf dem Gelände des gerade abgerissenen Braunkohlekraftwerks eine Müllverbrennung zu errichten. Vor Ort gründete sich eine Bürgerinitiative, die sofort gegen die Pläne protestierte. Doch fährt man heute über den August-Bebel-Damm, dann sieht man schon von weitem die beiden Doppelschlote der Müllöfen, ein großes Schild mit der Aufschrift "MHKW" weist den Weg zum Firmensitz. Biegt man in die andere Richtung, fährt man nach Rothensee. Seit 17 Jahren lebt man hier nun mit einer der größten Müllverbrennungsanlagen in Deutschland. War also die Initiative von damals erfolglos?

Firma macht Angebote für Kontakte

Auf keinen Fall, so Wolfgang Ortlepp von der Interessengemeinschaft Rothenseer Bürger. Der Verein hat die Nachfolge einer Bürgerinitiative angetreten. Aus einem Gegeneinander sei damals recht schnell ein Miteinander geworden, so Ortlepp: "Das Müllheizkraftwerk, beziehungsweise die Firma, die es errichtete, hat sehr viel unternommen, um mit den Bürgern in Rothensee in Kontakt zu kommen und sie zu informieren, was da auf sie zukommt und wie dieses Werk eines Tages arbeiten wird." Die Betriebsleitung bot Exkursionen für die Anwohner an, zunächst auf die Baustelle, später dann auch in den Betrieb. Über die Jahre sei so ein enges Verhältnis entstanden, so Ortlepp.

Industrie ist zurückgekehrt

Inzwischen reden die Rothenseer selbst etwas ironisch von einem Industriedorf, wenn sie über ihren Ort sprechen, und so finden sich denkmalgeschützte Vier-Seiten-Höfe der ehemaligen Großbauern ebenso im Ort wie Plattenbauten. Doch wo sich einst Äcker anschlossen, erstrecken sich nun Industrieareale. Inzwischen ist das Industriegebiet Rothensee für die Landeshauptstadt der wichtigste Standort für Unternehmensansiedlungen geworden.

Das ist auch im Ort selbst zu spüren, so Ortlepp von der Interessenvereinigung: "Dass die Industrie, die sich hier angesiedelt hat, natürlich präsent ist und gesehen wird und auch gehört wird und teilweise auch gerochen wird, das ist natürlich klar. Und immer dann, wenn so etwas auftaucht und störend wirkt, dann werden wir angesprochen." In einem weiteren Schritt versucht dann die Bürgervereinigung, auf einem möglichst kurzen Dienstweg das Problem zu klären.

Transparenz als Baustein für Zusammenarbeit

Ein Rotes Telefon gibt es nicht im Müllheizkraftwerk auf der anderen Straßenseite des August-Bebel-Damms. Dennoch aber kennt man sich, bestätigt Rolf Oesterhoff, der Geschäftsführer des Müllheizkraftwerks Rothensee (MHKW). An dem Unternehmen sind die Städtischen Werke Magdeburg (SWM) zu 49 Prozent beteiligt. Insofern sind die Rothenseer im übertragen Sinn auch Miteigentümer des MHKW. Aber nicht nur deshalb setzt man auf eine enge Zusammenarbeit mit dem Umfeld.

Mit Erfolg offenbar, denn Bürgerproteste wie in anderen Regionen Sachsen-Anhalts gab es bislang in Rothensee nicht. Der Kontakt nicht nur mit Kunden, sondern auch mit Anwohnern sei wichtig, so Oesterhoff.

Das ist natürlich anspruchsvoll, bei den Themen, die wir hier bereden. Wichtig ist, dass wir sehr transparent sind. Unsere Türen sind immer offen für die Rothenseer. Die kommen auch gerne vorbei, schauen sich die Anlage an und fragen, welche Emissionswerte wir hier fahren.

Rolf Oesterhoff

Erweiterung nach Zugeständnissen

Derzeit werden im Rothenseer Müllheizkraftwerk jährlich 650.000 Tonnen Müll verbrannt. Und obwohl die Anlagen in unmittelbarer Elbnähe stehen, kommt der Müll überwiegend per LKW zu den Öfen. Nun plant das MHKW allerdings den Bau einer dritten Verbrennungsanlage. Bereits frühzeitig habe man die Rothenseer in die Planungen mit einbezogen und die Debatten seien durchaus auch schmerzlich gewesen, räumt MHKW-Chef Oesterhoff ein.

Verkehrssituation wird verbessert

Insbesondere befürchteten die Anwohner eine deutliche Zunahme des Lastverkehrs. Dem habe man Rechnung getragen, so Oesterhoff: "Wir haben eine neue Verkehrsspur gebaut in der Anfahrt zum Müllheizkraftwerk, um letztlich zu vermeiden, dass es einen Rückstau auf dem August-Bebel-Damm gibt, was auch die Kreuzungssituation für Rothensee verbessert." Zudem werde es eine neue Verkehrsführung Richtung Autobahn geben, so dass der Verkehr um Rothensee herum geführt werden kann. Das koste zwar Geld, so Oeterhoff, aber man schulde das den Anwohnern.

Wäre Rothensee eine selbstständige Gemeinde, wäre sie wohl eine der reichsten in Sachsen-Anhalt. Doch nicht ohne Hintersinn haben die Städtväter vor mehr als einhundert Jahren den Ort eingemeindet. Seitdem fließen nämlich die Steuereinnahmen elbaufwärts ins Magdeburger Rathaus. Doch so ganz ohne Nutzen ist das industrielle Umfeld für die Rothenseer nicht.

Das bestätigt auch Wolfgang Ortlepp von der Interessengemeinschaft Rothenseer Bürger. Wenn es etwa darum geht, die Rothenseer Grundschule mit digitalen Tafeln auszurüsten, dann sind die notwendigen 12.000 Euro schnell beschafft. Der alljährliche Weihnachtsmarkt wird ebenso von den ortansässigen Firmen unterstützt wie die Rothenseer Begegnungsstätte.

Wer als Rothenseer seine Heimatverbundenheit besonders zeigen will, der klebt einen Sticker ans Auto. "Rothensee ist dufte", kann man darauf lesen. Mit Blick auf die Industrielandschaft ist das wohl sicherlich auch ein wenig selbstironisch gemeint.

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MDR (Uli Wittstock)

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